Süddeutsche Zeitung

Kochel am See:Mit Sicherheit Spaß

Wenn das Wetter schön wird, sind am Kesselberg wieder viele Motorradfahrer unterwegs. Das nutzt die Polizei, um die Biker darüber aufzuklären, wie sie gesund wieder nach Hause kommen.

Von Thekla Krausseneck, Kochel am See

Die Kurven am Kesselberg sind eben immer noch die besten, findet Maximilian Mühlbauer: In angenehm geschnittenen Windungen fließt die Straße den Berg hinunter, ein Spaßfaktor, für den er nicht mal schnell fahren müsse. Am Morgen ist der 23-jährige Chemiestudent in Innsbruck auf seine BMW S1000R gestiegen, mit 160 PS ging es nach Kochel am See. Das Wetter könnte kaum besser sein: Eine leichte Brise, tiefblauer Himmel mit kleinen Wolkenfetzen, auf der einen Seite aufragende Felsen, auf der anderen der Kochelsee. So schnell verlässt Mühlbauer diesen Ort nicht mehr. Und so geht es den Kesselberg nicht nur hinunter, sondern auch wieder hinauf.

Der Kesselberg und auch das Sudelfeld sind die klassischen Lieblingsziele von Bikern, und dort geschehen auch die meisten Unfälle. Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd führt eine in dieser Hinsicht alarmierende Statistik (siehe Kasten). Um vorzubeugen veranstaltet das Polizeipräsidium jedes Jahr einen Präventionstag an beiden Orten. Vergangene Woche standen die Beamten am Sudelfeld, am Freitag haben sie ihr Equipment am Kesselberg aufgebaut. Der Infostand der Verkehrswacht, die silber-grünen Einsatzwagen und die uniformierten Beamten sind für Maximilian Mühlbauer nur schwer zu übersehen: Nachdem er den Kesselberg ein paar Mal auf und ab gefahren ist, schert er mit seiner Maschine in die Parkbucht ein und sieht sich die Aktion genauer an.

Unter den Beamten sind ebenso leidenschaftliche Biker, wie Mühlbauer einer ist: etwa Robert Kopp, Präsident des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. Seit 25 Jahren fährt er durchgehend Motorrad - unfallfrei. "Man hat als Motorradfahrer eine Riesenverantwortung", sagt Kopp aus Erfahrung, "wenn da mal was passiert, ist die Hölle los." Besonders gefährlich seien Biker-Kolonnen, in denen vom Anfänger bis zum Profi alles dabei sei. Wenn der Profi an seine Grenzen gehe, dann könne das den Anfänger zum Mithalten motivieren - mit katastrophalen Folgen. Die meisten Unfälle gebe es im Frühjahr, wenn die Biker ihre Fähigkeiten überschätzten und sich die Autofahrer erst wieder an die Motorräder gewöhnen müssten.

Rainer Moskot fängt im Frühjahr stets vorsichtig an - mit kurzen Touren. Erst dann kommen die langen Reisen, wie die nach Italien, von der er gerade zurückkehrt. "Es dauert immer, bis man wieder drin ist", sagt der 56-jährige Niedersachse. Er habe bereits zwei Unfälle miterlebt, von Bikern, die mit ihm in einer Kolonne gefahren seien. Ein Unfall sei tödlich ausgegangen. Kein menschliches Versagen, sagt er: Der Fahrer sei nicht zu schnell gefahren, sondern in der Kurve weggerutscht und unter die Leitplanke geraten. Moskot tut sein Möglichstes für seine Sicherheit: Alle zwei Jahre gehe er zum Fahrtraining, sagt er, auch habe er immer eine gelbe Leuchtjacke dabei.

Bei schönem Wetter stellt sich Steffen Wiedemann schon morgens auf Unfälle ein. Der Polizeihauptkommissar leitet die Polizeistation in Kochel am See. Mehrmals die Woche müssen die Beamten ausrücken, weil es am Kesselberg gekracht hat. In der Polizeistation gebe es viele begeisterte Motorradfahrer, sagt Wiedemann. Er selbst gehöre auch dazu. Gerade deshalb fehle ihm das Verständnis für die Risikobereitschaft mancher Biker. Er selbst fahre seit 30 Jahren unfallfrei; jetzt lege er gerade eine Pause ein.

Motorradfahrer, die den Kesselberg befahren, geraten automatisch vor das Visier des Laserhandmessgeräts von Thomas Wackerle. Er ist Gruppenführer beim Einsatzzug in Murnau und zeigt dem Biker Sascha Frick, wie das auf einem Stativ aufgebaute Gerät funktioniert. Beamte wie Wackerle stehen mit ihren Lasern in der Regel etwas versteckter. Beim Präventionstag aber gehe es nicht primär darum, die Raser aus dem Verkehr zu ziehen, sagt Wackerle - auch, wenn man in ganz schweren Fällen nicht tatenlos bleiben würde. Strafen gebe es an diesem Tag jedoch nicht, dafür aber eine ausführliche Belehrung.

Biker Frick blickt durch das Guckloch, sieht einen kleinen, schwarzen Kreis mit Punkt in der Mitte und acht horizontale Striche: Sobald sich ein Fahrzeug nähere, könne man "schießen", sagt Wackerle. Frick betätigt den Abzug, als gerade ein Motorrad um die Kurve fährt. Das Gerät klackert und piept, dann erscheint das Messergebnis. 50 Stundenkilometer, also noch völlig im Rahmen. Die meisten hielten sich an dieser Stelle an die Begrenzung von 60 Stundenkilometern, sagt Wackerle; einerseits, weil die Polizei gut sichtbar in der Parkbucht stehe, andererseits, weil die Straßenwindung an dieser Stelle ein zu schnelles Fahren schlecht zulasse. Rasende Motorradfahrer hat Wackerle bis zum frühen Nachmittag daher noch nicht vors Visier bekommen. Alle fuhren moderat.

Bessere Leitplanken

Die Straßen werden sicherer für Biker: Die besonders gefährlichen Leitplanken etwa werden bundesweit nach und nach mit einem Unterfahrschutz versehen, der verhindert, dass verunglückende Motorradfahrer unter den Planken hindurch rutschen und sich beim Hängenbleiben schwer verletzen. Doch nur jeder zweite Biker sei selbst Schuld an einem Unfall, sagt Robert Kopp, Präsident des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. 22 Unfälle mit Bikern gab es im Jahr 2015 am Kesselberg, dabei wurden 21 Menschen verletzt, 14 schwer und sieben leicht. Am Sudelfeld gab es 16 Zweirad-Unfälle, wobei 13 Menschen verletzt wurden, sechs schwer und vier leicht. An beiden Orten schwankt die Anzahl der Verletzten von Jahr zu Jahr, abhängig vom Wetter. Je schöner der Sommer, desto zahlreicher die Unfälle. thek

Dass das am Kesselberg keineswegs die Regel ist, weiß Jan Zangenfeind besonders gut. Der Polizeioberkommissar leitet die Kontrollgruppe Motorrad: In ziviler Ledermontur steht er neben seinem Motorrad, das heute Demonstrationszwecke erfüllt. Wenn Zangenfeind im Einsatz ist, folgt er Bikern, die sich auffällig verhalten, in dem sie zu schnell fahren, unrechtmäßig überholen oder ihr Fahrzeug modifiziert haben, etwa durch unzulässige Bremshebel. Dabei unterstützt ihn eine ins Motorrad eingebaute Kamera. 2500 Biker wurden 2015 auf diese Weise kontrolliert, 800-mal hatten die Beamten etwas zu beanstanden. Heuer sei es schon früh damit losgegangen: Am Sudelfeld sei jemand 170 Stundenkilometer gefahren - 80 waren erlaubt. Das häufigste Vergehen seien aber nicht etwa Geschwindigkeitsüberschreitungen, sagt Zangenfeind, sondern abgefahrene Reifen. Speziell im vergangenen Jahr habe die geringe Anzahl der gefassten Raser aber auch andere Gründe gehabt. Denn da habe wegen des G 7-Gipfels einfach das Personal gefehlt.

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SZ vom 07.05.2016
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