Bierbrauerei Reutberg in der Corona-KriseViele Flaschen, leere Fässer

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Auf dem Reutberg in Sachsenkam wird seit 1677 Bier gebraut. Die Corona-Pandemie ist nicht die erste Krise, die die kleine Traditionsbrauerei überlebt hat. In der Bevölkerung ist sie beliebt.
Auf dem Reutberg in Sachsenkam wird seit 1677 Bier gebraut. Die Corona-Pandemie ist nicht die erste Krise, die die kleine Traditionsbrauerei überlebt hat. In der Bevölkerung ist sie beliebt. (Foto: Manfred Neubauer/SZ)

Das Klosterbräu in Sachsenkam ist das letzte seiner Art im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Die Pandemie setzt auch ihm stark zu, doch sein Absatz in den Supermärkten steigt.

Von Marie Heßlinger, Sachsenkam

Es ist ein grimmiger Brief, den August Maerz im Dezember an die Genossinnen und Genossen der Brauerei Reutberg richtet. 2019 noch hätte die Klosterbrauerei Maibaumwachen und Sonnenwendfeiern, Bierzelte und Gartenfeste mit ihren Fässern beliefert. 2020 sei alles über Nacht weggebrochen, schreibt der Vorsitzende. Und trotzdem verzeichnet das Unternehmen schwarze Zahlen. Es ist nicht das erste Mal, dass die kleine Traditionsbrauerei eine Krise übersteht.

August Maerz ist ein massiger Mann mit bayerischer Tracht und bairischer Aussprache. Er ist in Lenggries unter einer Brauerei geboren und lebt noch heute dort, bloß die Brauerei gibt es nicht mehr - die Reutberger Brauereigenossenschaft, deren Vorsitzender er nun ist, gehört zur letzten existierenden Traditionsbrauerei unter einst vielen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. "Eine der kleinsten und unbedeutendsten hat überlebt", sagt der 61-Jährige.

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Fachmännisch führt der gelernte Zimmerer durch den Braukeller am Reutberg und streut seine Witze mit so ernster Miene ein, dass man sie manchmal schier überhört. "Im Gegenteil zu Beamten arbeitet Holz immer", scherzt er im Raum mit den Holzfässern. Bier im Holzfass werde bei falscher Lagerung schnell schlecht, geeignete Keller gebe es heutzutage kaum mehr. "Dann schaut das nicht mehr aus wie Bier, sondern wie ein urologisches Problem." Doch das Problem in diesem Jahr ist nicht die Haltbarkeit des Bieres in Holzfässern, sondern, ob diese überhaupt befüllt werden.

August Maerz, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaftsbrauerei am Reutberg, wirft einen Blick in den Sudkessel. Mit dem Lockdown im November 2020 musste er zusehen, wie Bier im Wert von 40 000 Euro weggekippt wurde.
August Maerz, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaftsbrauerei am Reutberg, wirft einen Blick in den Sudkessel. Mit dem Lockdown im November 2020 musste er zusehen, wie Bier im Wert von 40 000 Euro weggekippt wurde. (Foto: Manfred Neubauer/SZ)

Über die Corona-Regelungen der vergangenen zwei Jahre, über das viele Hin und Her, die kurzfristigen Ankündigungen und noch kurzfristigeren Rückzieher der Regierung ärgere er sich "fürchterlich", sagt Maerz. Ein Unternehmen wie seines muss langfristig planen. Als der Lockdown im November 2020 kam, mussten die Reutberger Brauer nach und nach Bier im Wert von insgesamt 40 000 Euro wegkippen, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten war. Und die Brauerei lebt vor allem von den Gaststätten, die ihr Bier ausschenken, von Dorffesten, Maibaumwachen, Johannifeiern, Hochzeiten und Gartenfeiern, die ihre Fässer anfordern. Allein sechs Gaststätten, die Reutberger Bier vertrieben, befinden sich aufgrund der Pandemie in der Schließung. Nachfolger sind nicht in Sicht. Im Jahr 2019, vor Corona, verzeichnete die Reutberger Brauerei noch einen Jahresüberschuss von rund 195 000 Euro, im Jahr 2020 hingegen nur noch rund 60 000 Euro. Aber trotzdem: Die Brauerei machte Gewinn, auch im vergangenen Jahr.

Die 18 Mitarbeiter des kleinen Unternehmens meldeten Kurzarbeit an und begannen zu sparen, wo sie nur konnten. Doch nicht nur das: Die Reutberger Klosterbrauerei erfuhr auch viel Unterstützung aus der Bevölkerung. Schon mehrmals in der Geschichte war das so.

1987 sollte die Reutberger Brauerei mit einer anderen fusionieren. Im letzten Moment wurde das aufgehalten.
1987 sollte die Reutberger Brauerei mit einer anderen fusionieren. Im letzten Moment wurde das aufgehalten. (Foto: Manfred Neubauer/SZ)

"Seit 1677 wird am Reutberg Bier gebraut", trägt Maerz vor. "Es ging viel ab- und manchmal schon aufwärts." Anfang des 20. Jahrhunderts überlegten die Franziskanerinnen, ihre Klosterbraustube zu schließen. Doch aus den umliegenden Dörfern regte sich so viel Widerstand - die Bevölkerung drohte, das Kloster abzufackeln -, dass die Ordensschwestern ihr Vorhaben wieder verwarfen. 1987, als die Klosterbrauerei bereits 63 Jahre in den Händen der Genossenschaft war, erlebte diese ihre bislang wohl größte Krise. Die Nachfrage nach dem Bier war so stark gestiegen, dass die Brauerei fremdes Bier zukaufte und mischte. Die Qualität ließ nach. 1987 sollte die Reutberger Brauerei mit jener in Holzkirchen fusionieren. Da ergriff der Landwirt Hans Kappelsberger das Wort: "Wenn zwei Kranke heiraten, ist noch lange keiner gesund", wird er noch heute zitiert. Er wurde neuer Vorstand und führte die Brauerei aus der Misswirtschaft.

Heute produziert die Brauerei aus Sachsenkam ein Dreifaches der damaligen Menge Bier - nämlich 22 000 Hektoliter pro Jahr. In 14 verschiedenen Sorten. "Wir haben alles außer leicht und alkoholfrei", sagt Maerz und grinst. "Nichts, was der Vorstand nicht mag." Seine Brauerei liefert Fässer von Dachau bis nach Tirol, vom Chiemgau bis ins Allgäu. Selbst in Berlin gab es vor Corona einen Stammtisch, der sich mit Reutberger Fassbier beliefern ließ, und manchmal flog das Bier auch in die USA. Doch "das meiste verkaufen wir bei uns um den Kirchturm", sagt Maerz. Und von dort erfuhr seine Brauerei auch die Unterstützung in der Krise: Weil die Menschen nicht in den Biergarten gehen konnten, kauften sie ihr Reutberger Bier im Getränkefachmarkt aus der Flasche.

Um die zehn Prozent ist der Umsatz mit Flaschenbieren während der Corona-Pandemie gestiegen: 2021 verkaufte die Reutberger Brauerei 18 000 Hektoliter Bier aus der Flasche. "Das hat man sich nicht einmal träumen lassen", sagt der Vorstandsvorsitzende August Maerz.
Um die zehn Prozent ist der Umsatz mit Flaschenbieren während der Corona-Pandemie gestiegen: 2021 verkaufte die Reutberger Brauerei 18 000 Hektoliter Bier aus der Flasche. "Das hat man sich nicht einmal träumen lassen", sagt der Vorstandsvorsitzende August Maerz. (Foto: Manfred Neubauer/SZ)

Um die zehn Prozent sei der Umsatz mit Flaschenbieren während der Corona-Pandemie gestiegen, sagt Maerz. 2021 verkaufte die Reutberger Brauerei 18 000 Hektoliter Bier aus der Flasche. "Das hat man sich nicht einmal träumen lassen", sagt Maerz. Zwar habe das den Fassbierabsatz nicht wettgemacht, doch habe es der Brauerei dabei geholfen, nicht ins Minus zu rutschen. Dass das Bier in der Bevölkerung einen so großen Rückhalt erfährt, liegt wohl nicht nur daran, dass der Reutberg die letzte traditionelle Brauerei im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen repräsentiert. Sondern auch daran, dass die Reutberger ihr Bier tatsächlich noch handwerklich brauen.

Eine dicke Schaumschicht schwimmt auf neun Becken voll gärenden Biers. Maerz hat durch Räume mit Kupferkesseln und Tanks geführt, im Gärkeller ist er zum Stehen gekommen. Ein Mann im blauen Anton taucht eine Schaufel in den Schaum. Die Szene wirkt wie aus dem Aquarium eines Zoos. Doch Braumeister Florian Florian Auracher füttert keine Fische, er filtert Hopfenklumpen heraus. "Das ist handwerkliche Bierpflege", sagt Maerz nicht ohne Stolz. "Das ist ein tägliches Ritual."

Anders als große Industriebrauereien filtern die Braumeister der Reutberger Brauerei den sogenannten Kühltrub, kleine Hopfenbröckelchen, händisch aus dem gärenden Bier. In großen Brauereien hingegen werde dieser Arbeitsschritt oft weggelassen, sagt Maerz. Dort würde das Bier zwar am Ende filtriert. Doch Maerz und seine Braumeister sind der Überzeugung, dass mit dem Kühltrub unbekömmliche Bitterstoffe freigesetzt werden. Deshalb lassen sie diesen und andere traditionelle Arbeitsschritte nicht aus. Eine andere Tradition hingegen hat die Reutberger Genossenschaft erst selbst geschaffen: die Festwoche rund um den Josefibock.

Braumeister Florian Auracher filtert Hopfenstückchen aus dem gärenden Bier. Ein händischer Arbeitsschritt, den viele große Industriebrauereien ausließen, sagt Vorstandsvorsitzender August Maerz. Das mache das Bier bitterer und schlechter bekömmlich.
Braumeister Florian Auracher filtert Hopfenstückchen aus dem gärenden Bier. Ein händischer Arbeitsschritt, den viele große Industriebrauereien ausließen, sagt Vorstandsvorsitzender August Maerz. Das mache das Bier bitterer und schlechter bekömmlich. (Foto: Manfred Neubauer/SZ)

Der 19. März war einst ein bayerischer Feiertag zum Gedenken an den heiligen Josef, und ein beliebter Ausflugstag bei Zimmererbetrieben. "Aus diesem Feiertag hat sich am Reutberg eine ganze Festwoche entwickelt", sagt Maerz. Die Reutberger Brauerei braut dafür ein eigenes Starkbier, den Josefibock. Die 5300 Genossen versammeln sich zu diesem Anlass jedes Jahr im Bierzelt und wählen traditionsgemäß zwei der sechs Aufsichtsräte und einen der drei Vorstände. Bereits in den vergangenen zwei Jahren fiel die Versammlung coronabedingt aus. "Wenn wir heuer nicht wählen können, dann haben sich die Wahlen um eine ganze Periode verschoben", sagt Maerz. Bereits jetzt ist es eigentlich schon zu spät, um das Fest noch bis März zu organisieren. Man mache sich Gedanken über Alternativen, schreibt Maerz in seinem Brief an die Mitglieder. "Diese reichen von einer Versammlung in Form von Autokinos bis hin zu einer brieflichen Generalversammlung." Überzeugt klingt er dabei allerdings nicht.

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