Gesundheitspolitik:Krankenhäuser fordern Korrekturen

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Wertvolle Arbeit: Pfleger Alen Petrovic auf der Intensivstation der Kreisklinik Wolfratshausen während der Corona-Pandemie. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Reform von Bundesgesundheitsminister Lauterbach bedroht die kleineren Kliniken in der Region in ihrer Existenz. Das sagt auch der Tölzer Landrat Niedermaier. Die Chefs der Häuser fordern deshalb Nachbesserungen nach der Bundestagswahl.

Von Konstantin Kaip, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach initiierte Krankenhausreform ist schon im Vorfeld viel kritisiert worden. Trotz des Widerstands mehrerer Länder, darunter Bayern, hat auch der Bundesrat Ende November mehrheitlich seine Zustimmung erteilt. Zum Jahresbeginn ist das „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz“ des Bundes nun in Kraft getreten. Ob es jedoch tatsächlich wie geplant umgesetzt wird, ist angesichts der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar fraglich: Die Union hat bereits angekündigt, im Falle eines Wahlsieges die Krankenhausreform rasch wieder korrigieren zu wollen. Das halten auch die Chefs der Kliniken in der Region für dringend nötig.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bewirbt die Krankenhausreform auf seiner Homepage als „Gewährleistung einer flächendeckenden medizinischen Versorgung, Steigerung der Effizienz in der Krankenhausversorgung sowie Entbürokratisierung“. Das System der Fallpauschalen, das die Kliniken unter starke ökonomische Zwänge gesetzt habe, soll nun teilweise durch sogenannte Vorhaltepauschalen ersetzt werden, die „notwendige Kliniken“ erhalten, „wenn sie die maßgeblichen Qualitätskriterien erfüllen und die Länder ihnen die jeweilige Leistungsgruppe zugewiesen haben“. Nach Ansicht des BMG ist das eine Art Existenzgarantie auch für Häuser, die vergleichsweise wenige Behandlungen anbieten. „Somit bestimmt die Qualität und nicht mehr die Quantität die Versorgung.“

Der Bundes-Klinik-Atlas soll die Qualität der Häuser anzeigen

Entscheidend ist, wie diese bemessen werden soll. Laut BMG sollen allgemeine Qualitätskriterien festgelegt werden für die sogenannten Leistungsgruppen, denen die Häuser von den Ländern zugeteilt werden. Wesentlicher Bestandteil der Reform ist auch der seit Mai freigeschaltete Bundes-Klinik-Atlas, der allen potenziellen Patientinnen und Patienten vor einer Behandlung „verständlich und transparent Informationen über den Umfang und die Qualität des stationären Versorgungsgeschehens in Deutschland sowie Informationen über die Personalausstattung in den Krankenhäusern“ geben soll.

Dort kann man Kliniken suchen und miteinander vergleichen – allerdings lediglich auf Basis zweier Werte: der Anzahl der jährlichen Behandlungsfälle und des sogenannten Pflegepersonalquotienten, der das Verhältnis der Behandlungsfälle zum Pflegepersonal angibt. Die zugrunde gelegte Annahme ist, dass Häuser mit höheren Fallzahlen in der Regel mehr Erfahrung und Routine bei der Behandlung aufweisen und solche mit mehr Pflegepersonal besser auf die Patientinnen und Patienten eingehen können.

In dieser einfachen Rechnung schneidet die Asklepios-Stadtklinik Bad Tölz vergleichsweise gut ab: Mit 11 840 gibt es dort laut Klinik-Atlas „viele“ Behandlungsfälle (mehr als bei 60 Prozent der anderen Häuser), mit 276 Angestellten in der Pflege hat die Klinik einen Pflegepersonalquotienten von 36,68 und ist demnach „weit überdurchschnittlich“ aufgestellt (besser als 80 Prozent der anderen). Die Kreisklinik Wolfratshausen liegt indes mit 5639 Fällen und 149 Pflegekräften (Pflegepersonalquotient von 49,08) in beiden Kriterien im mittleren Bereich. Das Klinikum Penzberg hat nur „wenige“ Behandlungsfälle im Jahr und gehört mit 4109 zu den unteren 40 Prozent. Der Pflegepersonalquotient liegt dort mit 52,92 bei 64 Pflegekräften im mittleren Sektor. Die Geburtshilfe an der Kreisklinik Wolfratshausen, die als Außenstelle des Klinikums Starnberg gesondert aufgeführt wird, dreht die Zeiger beider Messungen auf die Extreme: Sie hat mit 1247 „sehr wenige“ Behandlungsfälle im Jahr, bei den zwölf dort angestellten Pflegekräften wird der Personalquotient jedoch mit 26,73 bemessen und als „weit überdurchschnittlich“ bezeichnet.

"Gegenwärtig besteht die Gefahr, dass die Kliniken zum Spielball der Politik werden", sagt Ingo Kühn, Geschäftsführer der Kreisklinik Wolfratshausen. (Foto: Hartmut Pöstges)

„Die Idee des Bundes-Klinik-Atlas ist sicherlich gut“, erklärt dazu der Geschäftsführer der Kreisklinik Wolfratshausen, Ingo Kühn. Als Instrument zur Transparenz solle er Patienten wertvolle Informationen liefern. Die verwendete Datengrundlage sei jedoch „völlig veraltet und spiegelt keinesfalls die geleistete Arbeit der Gegenwart wider“. Aus mehr als zwei Jahre alten Daten ein Analysesystem aufzubauen, sei „wenig sinnvoll“, findet er. „Alle Bemühungen der vergangenen 24 Monate bleiben dadurch unberücksichtigt.“ Der Personalaufbau im Pflegedienst an der Kreisklinik werde so etwa nicht abgebildet. Auch regionale Besonderheiten fänden keine Berücksichtigung. „Aus unserer Sicht ist der Klinikatlas daher nicht aussagekräftig und verfehlt sein ursprüngliches Ziel.“

Kühn sieht in der Krankenhausreform eine „erhebliche Herausforderung“. Der „Fokus auf Zentralisierung und die Stärkung großer Häuser“ konfrontiere gerade kleinere Kliniken im ländlichen Raum mit „der Gefahr der Schließung oder der Reduzierung von Leistungen“. Weil mehr als 90 Prozent der bayerischen Kliniken über weniger als 500 Betten verfügten, könne sich das „negativ auf die flächendeckende Gesundheitsversorgung auswirken“. Die wohnortnahe Versorgung drohe verloren zu gehen. „Für die Kreisklinik Wolfratshausen bedeutet die Reform, dass wir daran arbeiten, alle bisherigen Leistungen der Bevölkerung auch in Zukunft anbieten zu können und die Qualitätsoffensive aktiv mitgestalten.“

„Die Maximalversorger sind bereits jetzt an ihrer Kapazitätsgrenze“

Allerdings seien die Gefahren, die sie berge, vielfältig: Wenn die Budgets der Kostenträger nicht erhöht würden, gleichzeitig aber die strengeren Qualitätskriterien wie etwa mehr qualifiziertes Personal höhere Ausgaben bewirkten, gerieten die kleineren Häuser finanziell immer mehr unter Druck, so Kühn. Zudem führe die geplante Transformation zu längeren Anfahrtswegen, die im Einzelfall problematisch werden könnten. „Insbesondere bei der Schlaganfallversorgung zählt jede Sekunde.“ Die Grund- und Notfallversorgung, die viele kleinere Kliniken übernehmen, könne durch die Reform gefährdet werden. „Die Maximalversorger sind nach unserer praktischen Erfahrung bereits jetzt teils an ihren Kapazitätsgrenzen angekommen. Dies kann zu längeren Wartezeiten in Notaufnahmen führen oder auch zu weit entlegenen Patiententransporten.“

Durch die Reform müsse die Kreisklinik ihre Struktur in den kommenden Jahren „noch stärker an den Anforderungen ausrichten“, sagt Kühn. Das bedeute, den bereits beschrittenen Weg der Spezialisierung, etwa in den Bereichen Endoprothetik, Akutgeriatrie, Intensivmedizin, aber auch in der neuen Hauptabteilung Gastroenterologie, weiter auszubauen, „sowohl strukturell als auch personell“.

Nach der Bundestagswahl erhofft sich der Kreisklinik-Geschäftsführer eine gezieltere Förderung kleiner und mittlerer Kliniken im ländlichen Raum. „Vor allem mit Blick auf den demografischen Wandel und den zukünftig entstehenden Versorgungsbedarf betrachten wir einen angestrebten Bettenabbau über ganz Deutschland hinweg als äußerst kritisch.“ Das geplante Vorhaltebudget stecke die Kliniken „erneut in eine wirtschaftliche Zwangsjacke“. Darüber hinaus erbrachte Leistungen würden nur unzureichend refinanziert. Investitionen dürften nicht aus dem Betriebskostenbudget abgezweigt werden, fordert Kühn. „Hier sind die Länder und der Bund in der Pflicht, ihrer Aufgabe nachzukommen.“

„Die medizinische Versorgung wird sich in vielen Regionen verschlechtern“

Auf Anfrage bei der Tölzer Stadtklinik erklärt ein Sprecher des Klinik-Konzerns Asklepios, dass die Krankenhausreform mit den neuen Bedingungen den Kliniken zwar „zunächst ein Stück Klarheit“ gebe. Die Vorhaltefinanzierung bilde jedoch nur einen Teil der Erlöse ab und hänge von der Zuteilung der Leistungsgruppen ab, die wiederum verzögert von der Zahl der Fälle abhängig seien. „Damit bleibt nicht nur Unsicherheit, der wirtschaftliche Druck steigt sogar weiter und wird voraussichtlich in sehr vielen Krankenhäusern zum Wegfall von Behandlungsangeboten führen“, prophezeit der Asklepios-Sprecher. „Die medizinische Versorgung wird sich damit in vielen Regionen verschlechtern und in manchen sogar wegbrechen.“

Die Reform sei somit eine „vertane Chance“, da sie die meisten Probleme der stationären Versorgung nicht löse: etwa den wirtschaftlichen Druck auf den Kliniken, die mangelhafte Versorgungslage, die Defizite bei der Betriebskostenfinanzierung, die überbordende Bürokratie oder den Fachkräftemangel. „Eine neue Bundesregierung wird hier sehr zeitnah dringende Korrekturen vornehmen müssen“, so das Fazit des Konzern-Sprechers. „Insgesamt ist klar, dass die Reform keine Verbesserungen bringt und Korrekturen oder eine komplette Neujustierung in der kommenden Legislaturperiode zwangsläufig folgen werden, um schwerwiegende Probleme in der medizinischen Versorgung als Folge der Lauterbach-Pläne zu verhindern.“

Für die Starnberg-Kliniken, zu der auch das Klinikum Penzberg und die Geburtshilfe in Wolfratshausen gehören, erklärt eine Sprecherin der Geschäftsführung auf Anfrage zur Reform: „Wir sehen mit Sorge, dass die Anforderung und damit auch die Kosten für die Krankenhäuser noch stärker steigen, aber die Erlöse nicht mitwachsen.“ Die Starnberg-Kliniken hätten deshalb ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass einen möglichen Weg in die Zukunft aufzeigen soll. Erste Ergebnisse sollen dieses Jahr vorgestellt werden. Veränderungen an den Standorten könnten jedoch „nicht ausgeschlossen werden“, da die Leistungsgruppen, deren Zuordnung bis Ende Oktober 2026 getroffen werden müsse, „vermutlich mit sogenannten Mindestvorhaltezahlen verbunden“ seien. Zu den Wünschen an die neue Bundesregierung in Sachen Krankenhausreform heißt es aus Starnberg: „Zentral ist aus unserer Sicht, die Unterfinanzierung der Kliniken endlich zu lösen.“

„Wenn sich fünf Landräte zusammensetzen und auskarteln sollen, welche Klinik denn die Gastroenterologie kriegt, funktioniert das nicht“, sagt Landrat Josef Niedermaier. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Tölzer Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler), der auch Aufsichtsratsvorsitzender der Kreisklinik Wolfratshausen ist, hält an der Krankenhausreform „vieles für gut“ – aber auch einiges für „absolut diskussionswürdig“, weil es die Ziele konterkariere, wie er sagt. So seien die Vorhaltepauschalen auch eine gewisse „Mogelpackung“, denn um zu den vorgesehenen Leistungsgruppen zu gehören, bräuchten die Häuser natürlich auch eine gewisse Anzahl an Behandlungsfällen in dem jeweiligen Fachgebiet. „Eine Leistungsgruppe soll ja für eine Region festgelegt werden“, sagt der Landrat. Und die bekomme eben dann auch nur ein Haus. „Den kleineren beißen die Hunde.“ Insofern sei die Krankenhausreform für kleinere Kliniken in der Region „absolut existenzgefährdend“. Vor allem in einem medizinisch überversorgten Gebiet wie es der Großraum München ja „unstrittig“ sei.

Es gehe aber nicht an, dass man die Zuweisung der Leistungsgruppen den Kommunen oder Regionalkonferenzen überlasse. „Wenn sich fünf Landräte zusammensetzen und auskarteln sollen, welche Klinik denn die Gastroenterologie kriegt, funktioniert das nicht“, sagt Niedermaier. Welches Haus notwendig sei und welches nicht, müsse klar von oben festgelegt werden. „Wir werden um eine stringente Krankenhausplanung nicht herumkommen, und die muss der Freistaat machen“, erklärt der Landrat.

Eine komplette Abkehr von der Reform sei nicht möglich, sagt Niedermaier

Auch Niedermaier glaubt, dass der Bundestag bei der Krankenhausreform in der neuen Legislaturperiode noch nachbessern muss. Eine komplette Abkehr sei aber nicht möglich, da das Gesundheitssystem sonst zusammenbreche. „Wir haben sehr hohe Kosten und nicht die beste Qualität“, sagt er. „Allein daraus ergibt sich ein Handlungsbedarf.“ Und aus der älter werdenden Gesellschaft: „Die Krankenhaus-Struktur, die wir jetzt haben, werden wir aufgrund des demografischen Wandels nicht mit dem nötigen Personal besetzen können“, prophezeit Niedermaier. Das sei ein Fakt, den die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits 2008 ihm und anderen Landräten vorgerechnet habe. „Allein daraus entsteht ein Grund, die Kliniken zu bündeln.“

Kreisklinik-Geschäftsführer Kühn fordert indes: „Die Krankenhausplanung sollte am Bedarf und der Erreichbarkeit ausgerichtet werden.“ Die Grund- und Regelversorgung müsse in der breiten Fläche erhalten bleiben. „Gegenwärtig besteht die Gefahr, dass die Kliniken zum Spielball der Politik werden. Dies kann dazu führen, dass wichtige Kliniken im ländlichen Raum ihr Leistungsangebot drastisch reduzieren müssen, mit negativen Folgen für die Bevölkerung vor Ort. Dies gilt es unbedingt zu verhindern.“

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