Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Touristen, die auf Berge starren

Orte wie Lenggries setzen stark auf den Wintersport. Dabei wollen viele Gäste gar nicht mehr Pisten hinunterjagen - sondern nur entspannen. Doch das bringt weniger Geld.

Von Pia Ratzesberger, Lenggries

Oben am Gipfel ist es sogar wärmer als im Tal. Die Sonne lässt den Schnee auf Felsen und Pisten leuchten, doch die Tannen ragen noch immer in dunklem Grün empor. Peter Lorenz, Geschäftsführer der Brauneckbahn, stapft über die Restaurant-Terrasse und blickt prüfend die Hänge hinab. Die Lifte dort stehen still, die Schneekanonen warten auf ihren Einsatz. "Bei null Grad klappt es manchmal schon mit der künstlichen Beschneiung, aber richtig gut erst bei minus vier Grad", sagt Lorenz, die Hände in den Hosentaschen. Die Daunenjacke trägt er offen. Noch ist es nicht kalt genug, um die Skisaison zu eröffnen.

Obwohl das Geschäft mit dem Schnee auf sich warten lässt, soll Lorenz heute 14 Tourismus-Studentinnen der Hochschule München von der Zukunft des Wintertourismus erzählen - oder vielleicht auch gerade deswegen. Schon lange nämlich können sich Orte im bayerischen Alpenvorland wie Lenggries nicht mehr darauf verlassen, dass in den kalten Monaten genügend Schnee liegt. Dass sie allein durch Wintersportangebote genügend Touristen locken. Sieht man sich die Übernachtungszahlen des vergangenen Jahres an, hatte Lenggries 2014 zwar eine ziemlich gute Saison mit mehr als 67 300 Übernachtungen in den Monaten zwischen November und April. In den vorigen vierzehn Jahren aber zählte die Gemeinde im Winter nie mehr als 55 500 Übernachtungen, in den meisten Fällen waren es sogar deutlich unter 50 000. Vergleicht man etwa das Jahr 2013 mit der Situation Mitte der 80er-Jahre, ergibt sich ein Rückgang um neun bis vierzehn Prozent.

Nicht so schlimm, wiegelt Peter Lorenz ab. Urlaubsgäste machten für ihn sowieso nur zehn bis fünfzehn Prozent vom Umsatz aus. Wichtig seien vor allem die Tagesgäste aus der Region, die den alljährlichen Skiurlaub zwar mittlerweile auf den großen Pisten in Österreich verbrächten - am Wochenende aber nach wie vor in die Bayerische Oberlandbahn stiegen. "Die Hälfte der Münchner hat hier im Umland doch Skifahren gelernt", sagt Lorenz ein wenig stolz. Spricht damit aber gleich ein weiteres Problem an: Während etwa in den 90er-Jahren gerade in den alpennahen Regionen Skifreizeiten an den Schulen zum Standard gehörten, lernen heute viele erst gar nicht mehr Skifahren. Skifreizeiten sind vielerorts die Ausnahme, nicht mehr die Regel. "Es gibt diesen gesellschaftlichen Automatismus nicht mehr", sagt Thomas Bausch, Professor an der Fakultät Tourismus der Hochschule München. Ihm zufolge habe der klassische Wintersporturlaub ohnehin an Attraktivität verloren, die Leute sehnten sich nach Gemütlichkeit statt nach Anstrengung. Man schaut jetzt lieber auf die Berge, statt dass man sie hinunterfährt.

Dafür spricht auch, dass die Brauneck-Bergbahn bereits am vergangenen Wochenende 800 Leute zum Gipfel gebracht hat. Skifahren wollte von denen keiner. Allerdings bringt ein fauler Tourist weniger Geld ein als ein aktiver, der Skipässe und Ausrüstung kaufen muss. Deshalb investiert man am Brauneck weiter in den Wintersport. Erst vor drei Jahren hat Peter Lorenz oben am Berg einen großen Teich anlegen lassen, in dem sich auf 100 000 Kubikmetern im Sommer das Wasser der Hänge und Quellen staut. So muss er für die Schneekanonen im oberen Abschnitt des Brauneck kein Wasser aus dem Tal hochpumpen, die Beschneiung wird leichter. Auch ein neuer Sessellift in Wegscheid ist installiert; kürzlich hat der Gemeinderat befürwortet, dass das Milchhäusl neu gebaut wird. Nichts deutet darauf hin, dass man in Lenggries dem Wintertourismus nicht mehr trauen würde.

Wie der Klimawandel den Skitourismus beeinflusst

Auf der ganzen Welt ist die durchschnittliche Temperatur in den vergangenen 100 Jahren um rund ein Grad Celsius angestiegen. In den Alpen aber ist es im gleichen Zeitraum um fast zwei Grad wärmer geworden - das hat die Alpenschutzkommission CIPRA berechnet, die Ende Oktober in Benediktbeuern tagte. Die Erwärmung macht es den Betreibern von Bergbahnen und Skiliften immer schwerer, genügend Schnee auf die Pisten zu bekommen. Bei einem Temperaturanstieg um 0,5 Grad sind am Brauneck etwa nur 21 Prozent der Pistenfläche "schneesicher", also 100 Tage im Jahr ausreichend mit Naturschnee bedeckt. Das geht aus einer Studie der Universität Innsbruck und des Deutschen Alpenvereins hervor. Bei einem Anstieg um ein Grad sind es nur noch vier Prozent und ab 1,5 Grad ist überhaupt keine Schneesicherheit mehr gewährleistet. Zumindest ohne künstliche Beschneiung. Mit Hilfe der Schneekanonen dagegen ist bei einem Temperaturanstieg um 0,5 Grad noch weit mehr als die Hälfte der Piste schneesicher (69 Prozent), auch bei einem sowie 1,5 Grad sind es immerhin noch 58 Prozent. Schwierig dagegen wird es ab zwei Grad: Dann sind gerade einmal noch vier Prozent der Flächen schneesicher. Und bei plus drei Grad gar keine mehr. ratz

"Ja, für die nächsten 15 bis 20 Jahre ist das der richtige Weg für uns", sagt Lorenz. Es sei ja nicht so, dass man neue Skigebiete erschließe. Da drüben in der Jachenau zum Beispiel, das sei alles Schutzgebiet, das lasse man in Ruhe. Lorenz deutet zur gegenüberliegenden Bergkette. Aber hier am Brauneck, da fahren die Leute schon seit mehr als 60 Jahren Ski, sagt er. Und das sollen sie auch weiterhin. Thomas Bausch hebt die Hand zum Widerspruch, er glaubt, dass die bayerischen Ferienorte viel zu stark mit dem Wintersport werben - obwohl sie mit ihren kleinen Skigebieten doch sowieso nicht gegen die österreichischen Konkurrenz ankämen. "In jedem Prospekt sieht man zuerst ein Riesenfoto mit Skifahrern, dabei wollen viele sowieso nicht mehr auf die Piste." Lorenz aber sagt: Es sei schon alles gut so, wie es bisher liefe. Selbst wenn die Leute am Berg nur spazieren gehen möchten. Den Schnee wünschten sie sich schließlich trotzdem.

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Quelle:
SZ vom 16.12.2015
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