Fotoprojekt:Abschied von der Ewigkeit

Fotoprojekt: "Wir haben immer gedacht, die Berge wären in ihrer Erscheinung unveränderbar": Tobias Hohenacker in seinem Atelier in Bairawies.

"Wir haben immer gedacht, die Berge wären in ihrer Erscheinung unveränderbar": Tobias Hohenacker in seinem Atelier in Bairawies.

(Foto: Manfred Neubauer)

Der Dietramszeller Fotograf Tobias Hohenacker dokumentiert "Gesichter des Klimawandels im alpinen Raum". Landschaftsaufnahmen stellt er Porträts von Menschen gegenüber, die ihre Berge nicht mehr wiedererkennen.

Von Anja Brandstäter

In seinem hellen Atelier in Bairawies hält der Fotograf Tobias Hohenacker ein großformatiges Foto von einem gefrorenen Wasserfall in den Händen. Es ist ein monochrom wirkendes, aber doch farbiges Foto, aufgenommen mit einer Kleinbildkamera. Neben Eiszapfen, grauem Gestein und dunkelbrauner Erde sind nur wenige Farbtupfer zu sehen. Ein typisches Winterbild, das im Januar entstanden ist. Derzeit arbeitet Tobias Hohenacker an dem langfristig ausgelegten Ausstellungsprojekt "Gesichter des Klimawandels im alpinen Raum", das von der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst gefördert wird. Der Fotograf hat eine Serie von zehn Landschaftsbildern geplant, denen er zehn Porträts von Menschen gegenüber stellt, die direkt vom Klimawandel betroffen sind. Weiterhin ergänzt Hohenacker diese Bildpaare mit Interviews, die er mit den Porträtierten geführt hat.

Eines dieser Porträts liegt neben ihm auf dem Tisch, ein Schwarz-Weiß-Foto von Oliver Lindenthal. Der etwa 50-Jährige ist Bergführer und spezialisiert auf Eisklettern. Auf dem Bild trägt er Funktionskleidung, mehrere Schichten übereinander. Im Hintergrund kann man verschwommen einen Wald erkennen. Der letzte gute Eiswinter war für ihn 2014. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er regelmäßig Arbeit. Das ist nun vorbei, denn aufgrund der schnellen Wetterwechsel und der heftigen Temperatursprünge ist es nicht mehr lange genug kalt. Früher konnte er von Silvester bis Ende Februar an den heimischen Eisfällen, den sogenannten Eispalästen, regelmäßig trainieren. Für Lindenthal war Eis das faszinierendste Element beim Bergsteigen, die Eispaläste schätzte er als Naturwunder. Auch zu einigen Alpengletschern hatte er über die Jahre hinweg so etwas wie eine persönliche Beziehung aufgebaut.

"Ohne Eis wirken diese für mich früher magisch anziehenden Orte heute abweisend", sagt Oliver Lindenthal in seinem Interview zum Ausstellungsprojekt. Nicht nur die ästhetische Wahrnehmung sei für ihn ein Problem, sondern auch die Sicherheit am Berg. "Immer öfter schlafe ich schlecht, wenn ich die Begehung einer Hochtour oder Eiswand zugesagt habe und fürchten muss, dass es zu warm ist. In diesem Fall steigt das Risiko von Steinschlag oder Nassschneerutschen, und im brüchigen Fels sind Sicherungspunkte nur schwer anzubringen."

Die Veränderungen des Klimas zeigten sich besonders im Gebirge, sagt Fotograf Hohenacker. "Die zeitliche Verschiebung der Jahreszeiten, Extremwetterereignisse sowie das Auftauen des Permafrostgefüges in Felsregionen bereits unter 3000 Metern verändern zunehmend die alpine Landschaft." Diese Thematik beschäftige ihn seit Jahren. Kann es noch ein Zurück geben? Ist der Klimawandel noch aufzuhalten?

Für die matten Pigmentprints im Format 40 auf 60 Zentimeter hat er Büttenpapier ausgewählt. Gerade ist er dabei, die Fotos von Bergführer Lindenthal und dem gefrorenen Wasserfall in Rahmen zu setzen. Auch dabei legt er Wert auf eine besondere Ästhetik: Auf die Rahmen aus Abachi-Holz hat er warmgraue Wachsbeize aufgetragen, so dass jeder nun ein bisschen anders aussieht. Außerdem sind die Objektrahmen 4,5 Zentimeter eingetieft. Dadurch bleibt zwischen Foto und Glasscheibe viel Platz. "Die räumliche Wahrnehmung wird dadurch intensiver", sagt der Künstler.

Das erste Foto-Paar war bereits im Rahmen der 101-Jahr-Feier des Gabriel-von-Seidl-Gymnasiums im Tölzer Stadtmuseum zu sehen. Unter dem Titel "Kunstschmiede" war dort eine Ausstellung von Kunstlehrern und ehemaligen Schülern zu sehen. Hohenacker war sowohl Schüler als auch Referent am Tölzer Gymnasium.

Wie Oliver Lindenthal ist auch Wilhelm Baumgartner vom Klimawandel betroffen. "27 Jahre hat er den Skilift am Buchberg betrieben", erzählt Hohenacker. "Meine Kinder haben dort Skifahren gelernt und es dort geliebt." Sehr familiär sei es am Buchberglift zugegangen, Baumgartner habe seinen Gästen selbst in die Liftbügel geholfen und zudem mit dem Buchbergstüberl am Lift eine gemütliche Gastwirtschaft geleitet. "Es war die persönliche Begegnung, die so viel Freude gemacht hat - und die von einer ausreichend geschlossenen Schneedecke abhing", sagt Hohenacker. Die aber gebe es schon seit einigen Jahren am Buchberg nicht mehr.

Ein anderes Beispiel aus seinem Projekt ist der Alpengarten des Botanischen Gartens München auf dem Schachen. Der Aussichtspunkt liegt im Wettersteingebirge in der Nähe von Elmau auf einer Höhe von 1850 Metern über dem Meeresspiegel. Dort ist der Arbeitsplatz der Reviergärtnerin Jenny Wainwright-Klein. Sie stellt fest, dass die Pflanzenblüte zwei Wochen früher als noch 1994 einsetzt. Die Sonneneinstrahlung scheint intensiver zu sein, so dass zum Beispiel der Himalaya-Scheinmohn in den Schatten umgesetzt werden musste. Weiterhin leidet der Garten unter Trockenheit. Noch vor zehn Jahren nieselte es alle zwei bis drei Tage leicht. Doch jetzt müssen die Pflanzen mit Starkregen zurechtkommen. Die Fachfrau weiß nicht, wie es langfristig mit dem Alpengarten weitergeht. Im Grunde müsste der Garten, der 1901 angelegt wurde, in höhere Lagen verpflanzt werden. Das geht aber nicht, denn dort gibt es kein Quellwasser.

Berge ohne Almwiesen, ohne Kühe und ohne Glockengeläute. Das möchte man sich nicht vorstellen. Doch was tun, wenn es nach Starkregen immer wieder zu Muren-Abgängen kommt? Matthias Ederer ist seit 16 Jahren auf der Kuppel-Alm in 1600 Metern Höhe im Einsatz und kümmert sich um das Vieh. Über das Projekt von Tobias Hohenacker hat sich der Senner gefreut. Endlich mache jemand die Auswirkungen des Klimawandels auch für seinen Berufsstand sichtbar.

Hohenacker schöpft aus seiner Arbeit Mut, denn sie schaffe die nötige Erkenntnis, um Veränderungen in Gang zu setzten. Seine persönlichen Begegnungen mit den Menschen berührten ihn: "All die genannten Personen sind leidenschaftlich, sie lieben ihre Arbeit. Was werden sie tun, wenn sie ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können?"

Er sei überzeugt, dass jeder etwas tun könne, um den Klimawandel einzudämmen. "Zumindest möchte ich für mich das Gefühl haben, der Erde so wenig Schaden wie möglich zuzufügen", sagt er. Die Arbeit an dieser Serie versteht er als kleinen Beitrag, auf die klimatischen Veränderungen und ihre bereits jetzt dramatischen Auswirkungen hinzuweisen. "Wenn ich an der Serie arbeite, empfinde ich es als sinnstiftend. Allerdings ist auch etwas Melancholie dabei, denn es hat mit Abschied zu tun", sagt er. "Wir haben immer gedacht, die Berge wären in ihrer Erscheinung unveränderbar. Jetzt stellen wir fest, dass unsere Zivilisation auch in noch so entlegenen Regionen unumkehrbare Schäden hinterlässt."

Mehr über den Fotografen unter www.tobiashohenacker.de

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