Von der Bühne ins Wohnzimmer:Viele Sternstunden in schwerer Zeit

Seit einem Jahr trotzt der Kulturverein Isar Loisach der Corona-Pandemie

Von Wolfgang Schäl

Die Pandemie lässt nicht locker, die Kultur aber auch nicht, jedenfalls nicht in Gelting. Weil Lesungen und Musikveranstaltungen in geschlossenen Räumen zurzeit nicht möglich sind, hat der Kulturverein Isar Loisach (KIL) ein Konzept erdacht, wie man dem Virus in diesen ungewöhnlichen Zeiten ein Schnippchen schlagen könnte: Wo die Menschen nicht in den Hinterhalt kommen dürfen, so die Idee, schweben die Musen eben ersatzweise in die heimischen Wohnzimmer - und das sogar in Echtzeit. Live-Streaming heißt das Zauberwort, das eine Menge IT-Technik und Erfahrung verlangt, mit seiner erstaunlichen Programmgestaltung aber eine akzeptable Alternative zum allseits herrschenden kulturellen Vakuum darstellt. Seit genau einem Jahr geht es so mit viel ehrenamtlichem Aufwand erfolgreich dahin; ein Anlass für den KIL, direkt im Lokal mal wieder mit leibhaftigen Menschen das kleine, aber feine Jubiläum zu feiern, unter strengsten Sicherheitsmaßnahmen freilich - alle Gäste mussten sich einem Corona-Schnelltest unterziehen.

Auch unter diesen Bedingungen stellte sich gleichwohl schon sehr bald die gewohnt entspannte Atmosphäre in der Kunstbühne ein, zumal das Gitarrenduo Titus Vollmer und Peter Schneider, Letzterer Bandleader bei den Stimulators, die vor einem Monat auch schon im Stream aufgetreten sind, beherzt und virtuos in die Saiten griffen. Weil so viele ehrenamtliche Leistungen und eine Menge Spenden für das Projekt nötig waren und nach wie vor sind, gab es allerlei Dankadressen, darunter an den "Großförderer", die Stadt Geretsried, die mit einer Spende von 16 000 Euro sogar die Anschaffung eines Flügels ermöglicht habe, wie KIL-Vorsitzende Assunta Tammelleo feststellte. Der Vertreter der Stadt, Dritter Bürgermeister Gerhard Meinl, hob hervor, dass man an den vielen künstlerischen Events in der Corona-Zeit zweifelsfrei erkennen könne, "dass wir in Geretsried eine Kulturstadt sind". Um die Bedeutung der Künste und die Rolle des Kulturvereins hervorzuheben, bemühte der CSU-Politiker gar einen marxistischen Philosophen: Ernst Bloch zufolge bestehe Hoffnung "nicht in der Erwartung, dass etwas gut ausgeht, sondern in der Gewissheit, dass etwas ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht, Sinn macht".

Von der Bühne ins Wohnzimmer: Seit einem Jahr gibt es Live-Streams aus der Geltinger Kleinkunstbühne Hinterhalt. Das ist nur das Engagement vieler Ehrenamtlicher möglich, die nun das Jubiläum feierten.

Seit einem Jahr gibt es Live-Streams aus der Geltinger Kleinkunstbühne Hinterhalt. Das ist nur das Engagement vieler Ehrenamtlicher möglich, die nun das Jubiläum feierten.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Am Sinn ihres Engagements zweifeln die Aktiven beim KIL gewiss nicht; mindestens 25 Helfer sind es derzeit, die das breite Aufgabenspektrum untereinander aufgeteilt haben. Da gibt es mit Marius Hammerschmied und Hendrik Noeller zwei Licht- und Tontechniker, mit Nikolaus Sankjohanser und Bernd Satzinger zwei Verantwortliche für die Instandhaltung der Requisiten, mit Daniel Schüssler einen Experten für den Sendebetrieb und mit Torsten Thane einen Organisator für die Film- und Kameratechnik. Um die Übertragungen technisch zu bewältigen, galt es immer wieder zu improvisieren, denn der Hinterhalt sei nun mal kein Fernseh-Studio, so Noeller. "Aber wir haben versucht, das Beste rauszuholen", schließlich mache eine Übertragung ohne Ton keinen Sinn. Neue Ideen waren auch bei der Beleuchtung gefragt, "wir haben da eine ganz neue Scheinwerfertechnik verbaut, zeigte sich Hammerschmied stolz. "Wir sind jetzt viel professioneller als am Anfang." Das Flair der Kulturbühne sei bei alledem aber erhalten geblieben. Erklärtermaßen froh und stolz ist auch Sendetechniker Thorsten Thane. Mittlerweile habe man statistisch schon 678 Abonnenten, mehr als 81 843 Video-Klicks und eine Übertragungsdauer von zusammengerechnet 703 Tagen. Viel wichtiger als der technische Erfolg aber ist Thane etwas ganz anderes: "Ich sehe mich als eigentlicher Gewinner der Coronakrise, denn ich habe eine Menge neuer Freunde gewonnen."

Von der Bühne ins Wohnzimmer: Techniker Torsten Thane macht die Live-Übertragungen mit seinen Mitstreitern möglich.

Techniker Torsten Thane macht die Live-Übertragungen mit seinen Mitstreitern möglich.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Schließlich ist da noch Wolf Steinberger. Der Hinterhalt-Eigentümer apostrophiert seine Entscheidung, die Kulturbühne zu übernehmen, nicht gerade als finanziellen Erfolg - "es ist kein Aprilscherz, dass ich das mache, ökonomisch war es eine schlechte Entscheidung." Um die Ökonomie geht es ihm und den vielen Unterstützern, die bisher Spenden von fünf bis 15 000 Euro dem KIL übergeben haben, letztlich aber nicht. Steinberger bringt es auf den Punkt: "Ich habe viele Sternstunden erleben dürfen."

Nächster Auftritt zum Jahrestag der coronabedingten Live-Streams im Hinterhalt ist am heutigen Samstag, 3. April, um 20 Uhr das "Hippiekammerorchester". Der Tenor: eine Hommage an die Melodien einer legendären Aura.

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