Der Kochler SPD-Gemeinderat und ehemalige Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel (67) ist seit 46 Jahren Mitglied in DGB-Gewerkschaften und aktuell DGB-Vizevorsitzender im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Dass am 1.Mai die Anliegen von Arbeiterinnen und Arbeitern an erster Stelle stehen, ist für ihn aktueller denn je.
SZ: Herr Barthel, warum braucht es den 1. Mai als Feiertag?
Klaus Barthel: Der 1. Mai ist der einzige Feiertag, der daran erinnert, woher die Werte eigentlich kommen, die wir Tag für Tag leben. Die Corona-Pandemie einerseits und die aktuellen Streiks andererseits haben gezeigt: ohne Arbeit und ohne die Menschen, die sie leisten, geht gar nichts. Deshalb hat die internationale Arbeiterbewegung vor mehr als 100 Jahren diesen Feiertag für die Rechte der Arbeitenden erkämpft.
Ist der DGB im Oberland unterrepräsentiert?
Der DGB besteht aus acht Einzelgewerkschaften, die ihre Mitgliederbasis in den Betrieben und Verwaltungen haben. Die Wirtschaftsstruktur in den vielen kleinen und mittleren Betrieben bei uns macht es schwerer als anderswo, die Beschäftigten zu organisieren. Deswegen wollen wir als DGB einen Beitrag leisten, überbetrieblich die Interessen der Arbeitnehmerschaft zu vertreten.
Wie sehen Sie die Situation der Arbeiter im wohlhabenden Oberland?
Sehr differenziert. Einerseits profitieren viele von den Errungenschaften, die die Gewerkschaften insgesamt erkämpft haben. Andererseits geraten viele immer mehr unter den Druck steigender Lebenshaltungskosten, beispielsweise für das Pendeln und das Wohnen. Mieten wie am Starnberger See, Löhne wie im Gastgewerbe und in der Logistik, knapp über der Grundsicherung - das ist die Realität für Tausende. Das sind halt nicht die, die am lautesten schreien.
Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen?
Das Leben im "wohlhabenden Oberland" muss wieder für alle bezahlbar werden. Es kann nicht sein, dass die einen hier unsere Landschaft mit ihren Zweitwohnsitzen mit Sauna und Pool zupflastern und die anderen verdrängt werden, weil es kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt. Und dann wird über den Mangel an Arbeitskräften gejammert.
Zum 1. Mai wird Solidarität hochgehalten. Was bedeutet Solidarität für Sie?
Solidarität heißt für uns, dass die arbeitenden Menschen, auch wenn ihre persönliche Situation unterschiedlich ist, zusammenhalten. Wir haben gerade jetzt in den Tarifrunden gezeigt, was das heißt: nicht gejammert und verzagt, sondern gemeinsam gekämpft. Da haben auch die höheren Lohngruppen gestreikt, damit die, die weniger haben, überdurchschnittlich mehr bekommen.
Geretsried ist die am industriellsten geprägte Stadt im Landkreis, Betriebsräte sind jedoch rar. Warum?
In Geretsried gibt es den klassischen industriellen Großbetrieb nicht. Die historischen, auch die persönlichen Erfahrungen unserer Kollegen und Kolleginnen, aber auch das Verhalten mancher Arbeitgeber bremsen das Engagement bei der Vertretung der eigenen Interessen. Das sehen wir durchaus als Herausforderung für uns.
Wie sieht es bei den Arbeitnehmerrechten aus?
Da gibt es viel zu tun. Wir wollen die Gründung von Betriebsräten erleichtern und in Bayern endlich ein Tariftreuegesetz: bei öffentlichen Aufträgen dürfen nur noch die zum Zuge kommen, die sich an Tarifverträge halten. Es kann nicht sein, dass wir mit Steuergeldern Lohn- und Sozialdumping fördern, bloß weil wir die Billigsten nehmen müssen.
Am Sonntag, 30. April, 16 Uhr, lädt der Kreisverband Bad Tölz-Wolfratshausen zu einer Kundgebung in der Mitmach-Werkstatt Nagel und Faden in Geretsried ein.