"Haben Sie das schon einmal gespielt?", fragt die Platznachbarin im Saal des Rilke-Gymnasiums. Aber das ist nur rhetorisch gemeint. Schnell sind hier zwei Amateur-Geiger nach dem ersten Programmteil des Quatuor Hermès miteinander ins Gespräch gekommen. Auf der Bühne haben die vier französischen Musiker gerade ihre Interpretation von Claude Debussys g-Moll-Streichquartett beendet und damit für einen ersten Glücksrausch unter den Zuhörern gesorgt.
Völlig klar, dass Amateure ihre Mühe hätten, wenn sie sich an diese Musik wagen würden, die über weite Strecken mit äußerst durchsichtigem Satz geschrieben ist. Jetzt waren hier großartige Profis am Werk. Schon im ersten Satz "Animé et très décidé", in dem sich die Musiker noch ein wenig warm spielten, zeigte das 2008 gegründete Quatuor Hermès seine enorme Bandbreite zwischen kraftvoll-markantem Fortissimo und klanglichen Abschattierungen bis an den Rand der Tonlosigkeit. Im "Assez vif et rythmé" hatten die Violinisten Omer Bouchez und Elise Liu, die Bratschistin Yung-Hsin Lou Chang und der Cellist Yan Levionnois das Niveau erreicht, für das dieses Streichquartett international gefeiert wird.
Im Zusammenspiel ist der Klang der vier sehr homogen, in der individuellen Stärke jedes Einzelnen sind sie gleichauf. Da spielen also drei den Pizzicato-Teppich und Yung-Hsin Lou Chang gibt ein starkes Bratschensolo, bevor alle vier im schillernden Gamelan-Orchester-Sound schimmern. Zu dem hat sich Debussy nach einem Besuch der Weltausstellung im Jahr 1889 inspirieren lassen. Dreimal hat er sein einziges Quartett umgearbeitet, bevor er es 1893 fertiggestellt hat. Ein Stück früher Moderne, das mit der traditionellen Form gebrochen hat. Bemerkbar daran, dass der langsame Satz nicht wie bislang üblich an zweiter, sondern an dritter Stelle folgt. Meisterhaft bewältigten die Streicher des Quatuor Hermès die vielen heikel und offenliegenden Motive, an denen schnell erkennbar wird, wieweit ausgebildete, vollendete Tongebung reicht.
Klug haben die Musiker den zweiten Programmpunkt des Abends noch kurzfristig in die Konzerthälfte nach der Pause verlegt. Denn so sehr Anton Weberns sechs Bagatellen op. 9 auch als Nachklang zu Debussy geeignet gewesen wären, formlos und emotional unmittelbar in der Wirkung. Noch besser dienten sie als Übergang zum abschließenden "Rosamunde-Quartett" von Franz Schubert. Das Quatuor Hermès hatte extra darum gebeten, auf den Beifall zwischen Webern und Schubert zu verzichten. Und so wirkte das zarte, gesangliche Rosamunde-Thema nach der letzten der neutönenden Webern-Bagatellen wie ein sanfter Sprung zurück in die Romantik, ohne Absatz und Form, dramaturgisch perfekt auf die unmittelbare Wirkung der Musik abgezielt. Und Schubert erwies sich einmal mehr als ein Meister der einfachen Melodien gepaart mit rhythmischem Drängen und hintergründigen klanglichen Schattierungen.
Ein großartiger Abend im kleinen Ickinger Mekka der Kammermusik, der auf die Gesichter der Zuhörer, ob Amateurmusiker oder nicht, beglücktes Lächeln zauberte. Die Zugabe nach den vielen Bravi hätte allerdings etwas anderes sein können, als noch einmal der zweite Debussy-Satz. Aber auch der klang jetzt noch gelöster und souveräner als anfangs.
Nächster Termin bei Klangwelt Klassik Icking: Klavierabend mit dem japanischen Pianisten Wataru Hisasue, dritter Preisträger beim ARD-Musikwettbewerb 2017: 14. März, 19.30 Uhr