Kirchenkritik und "Charlie Hebdo":Wir sind so frei

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In der Kleinkunstbühne Hinterhalt wird der Kunstpreis "Der freche Mario" ausgelobt. Da gibt es nicht viel zu lachen. Bis der Kabarettist Sigi Zimmerschied auftritt.

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

"Hinterhalt"-Wirt Wolf Steinberger eröffnet den Abend mit einem Witz, über den niemand lacht. Ein Pfarrer kommt zum Urologen und klagt über Schmerzen im Gemächt: Der Arzt sieht sich die Sache an, verschreibt eine Salbe und weist den Pfarrer an, diese zweimal täglich aufzutragen. Der Pfarrer will es genau wissen und fragt, was es denn sein kann, doch nicht Krebs? Der Arzt kann ihn beruhigen. Nein, nur ein Milchzahn.

Wenn einer einen Witz erzählt und niemand lacht, hat das normalerweise etwas Peinliches. Anders an diesem Donnerstagabend in der gestopft vollen Geltinger Kulturbühne "Hinterhalt", in der die ungefähr 120 Gäste feierlich die Vernissage zur fünften Ausschreibung des kirchenkritischen Kunstpreises "Der Freche Mario" eröffnen. Es ist nicht so, dass es nichts zu lachen gäbe, ganz im Gegenteil: Die zum Jahrestag des Attentats auf Charlie Hebdo im Nachbarraum ausgestellten "Mario"-Einsendungen der vergangenen Jahre sind zum Schießen komisch, andere nachdenklich, wieder andere einfach nur wahr und deshalb schmerzhaft, so wie Steinbergers Witz zum Einstieg. Satire soll und darf das - es ist die Freiheit der Kunst, die Meinungsfreiheit, die Freiheit des Geistes, die sich darin ausdrückt. Und die in Gefahr ist, sagen die Veranstalter. Eingeladen haben der Hinterhalt, der Bund für Geistesfreiheit, die Giordano Bruno Stiftung und der Bund der Konfessionslosen und Atheisten.

Der im Zweijahresturnus verliehene Kunstpreis soll die Forderung nach der Abschaffung des Paragrafen 166 StGB unterstützen, des sogenannten Gotteslästerungsparagrafen. Nach diesem war in den Siebzigerjahren Sigi Zimmerschied angeklagt, gemeinsam mit Bruno Jonas und Rudolf Klaffenböck - wegen seines religions- und kirchenkritischen Programms "Himmelskonferenz". Kein Zufall also, dass Zimmerschied den kabarettistischen Rahmen des Abends gestaltet: Gegen halb Neun Uhr betritt der Passauer die Bühne - sicherlich einer der Gründe, warum der "Hinterhalt" so voll ist, dass nicht wenige mangels Sitzgelegenheit stehen müssen.

Es wird kein kurzer Abend. Wirtin Assunta Tammelleo schließt um 18 Uhr die Türen auf, links geht es zum sich rasch füllenden Bühnensaal, rechts zur Ausstellung. Dort zu sehen: Einsendungen und Preisträger aus vier "Marios", aber auch in Zeitungen erspähte und ausgeschnittene Karikatur-Perlen. Eine Wand widmet sich Charlie Hebdo, dem französischen Satire-Magazin, das vor genau einem Jahr zum Ziel eines Anschlags wurde, bei dem zwölf Menschen starben. Die Vernissage findet aus gutem Grund zum Jahrestag der Katastrophe statt: "Schluss mit lustig", heißt es auf einer Karikatur, auf der ein Islamist von einer Tuschefeder erdolcht wird. Auch mit dabei: Das Charlie Hebdo-Titelbild der Ausgabe nach dem Attentat mit dem weinenden Mohammed: "Tout est pardonné", alles ist vergeben.

Die Freiheit der Satire, also der Kunst, ist in Gefahr: nicht nur wegen der Islamisten. Steinberger sagt, ihnen werde immer wieder vorgeworfen, sich zu sehr mit der Christentum und zu wenig mit dem Islam auseinanderzusetzen. Das Christentum sei in Europa nun einmal die dominierende Religion: "Es ist nicht nur der Islam, vor der eigenen Tür müssen wir kehren." Die Bedrohung komme jedoch oft genug ohnehin von staatlicher Seite.

Er habe gerade mit "Stern"-Karikaturist Gerhard Haderer und dem Aktionskünstler Wolfram Kastner eine Klage vor dem Verfassungsgericht laufen, erzählt Steinberger - weil es einfach nicht sein könne, dass er sich als atheistischer Wirt einem kirchlichen Feiertag unterwerfen müsse, dem Karfreitag. Und Kastner konstatiert: "Wer die Unwahrheit sagt, wird auf Händen getragen, wer die Wahrheit sagt, braucht eine Leibwache, findet aber keine", was sich problemlos auf die Satire anwenden lasse, nur dass ein Satiriker sogar zwei Leibwächter bräuchte, aber keinen einzigen finde. "Es steht nicht besonders gut um die Freiheit der Kunst und der Satire in diesem Land." Staatliche Einschränkung, Morddrohungen an Künstler mit anschließender Apathie der Justiz - alles keine Seltenheit. Das Verheerende daran, so Kastner: "Viel zu viele sind eingeschüchtert und runden ihre spitzen Stifte ab."

Diesen eingeschüchterten Karikaturisten ruft Gerhard Haderer in seinem Grußwort zu, wenn sie Angst hätten, sollten sie den Job wechseln. Er kritisiert auch den Ruf "Wir sind Charlie", der nach den Anschlägen durch die Welt ging und von der Politik aufgegriffen wurde - etwa von der deutschen Bundesregierung. "Nein", erwidert Haderer nun ein Jahr später, "wir sind nicht Charlie. Aber es würde uns gut tun, mehr Charlie zu werden."

So gibt es bis halb Neun Uhr nicht allzu viel zu lachen, aber viel Stoff zum Nachdenken. Dann berichtet Zimmerschied von seinen Feindbildern, die - anders als die der "Marios" - allmählich wegbröckelten. Bischöfe lebten in revolutionären WGs und vom schwulen Russen bis hin zum Österreicher würde alles einfach ins Land gelassen. Schlechte Zeiten für einen Kabarettisten, sagt dar Passauer, dessen Programm "Tendenz steigend" in der vom Publikum gewohnten - und geliebten - Mischung aus Kabarett und Theater vom kongruent zu Zimmerschieds Stimmung steigenden Pegel des Inns berichtet.

Obwohl die Katastrophe vorhersehbar ist, reagiert in Zimmerschieds überspitztem, aber doch sehr vertraut wirkendem Kosmos keiner so richtig alarmiert: In Pullach warten die ausrangierten Spione darauf, dass die von ihnen gehüteten Geheimnisse endlich vergessen sind; der deutsche Islamist träumt auf Facebook vom Dschihad; und der Rest der Menschheit will hinterher nichts gewusst haben - wobei jeder, der mehr als zehn Apps auf seinem Smartphone hat, nach der Definition Zimmerschieds beim Hochwasser ohnehin keine Hilfe wäre.

"Twitter, Posten, Facebook - wer das für sozialen Fortschritt hält, ist auf dem geistigen Niveau von Fliegen!", tobt er. "Ja, Fliegen! Fliegen halten auch jeden Scheißhaufen für eine Kommunikationsplattform." Schlussendlich aber sinkt der Pegel wieder, die Stimmung wird versöhnlicher. Das Resümee: "Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähl ihm von deinen Tränen."

Der Abend endet gegen halb elf Uhr, nachdem Zimmerschied genauso von der Bühne verschwunden ist, wie er sie betreten hat: mit einem versunkenen, zufriedenen Summen auf den Lippen.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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