Kinostart in Bayern:Dreiviertelblutsbrüder

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Auf zu neuen Musikwelten: Gerd Baumann (rechts, hier mit Sebastian Horn im Dreviertelblut-Film "Weltraumtouristen") betreibt nun auch eine zweite Pop-Bühne. (Foto: Südkino)

Markus H. Rosenmüller hat einen Arthouse-Film über Sebastian Horn und Gerd Baumann gedreht. "Weltraumtouristen" zeigt die beiden Musiker ebenso poetisch wie humorvoll in Schwarz-Weiß.

Von Petra Schneider, Lenggries

Fast am Ende des Films gibt es diese Szene: Sebastian Horn nistet sich tief in einer Erdhöhle ein. Die Kamera wandert durch das Loch nach oben, zurück zu einer schneebedeckten Landschaft. Alles ist sehr ruhig und sehr weiß, bis ein Flugzeug mit einiger Geschwindigkeit über die eingefrorene Szenerie fliegt. Der Pilot ist nicht zu erkennen in dem collagenhaft eingefügten Fluggerät. Vermutlich ist es Gerd Baumann, der am Anfang des Films "Weltraumtouristen" mit seinem Raumschiff in der Waldhütte seines Dreiviertelblutsbruders gelandet ist.

Sieben Jahre ist es jetzt her, dass sich diese beiden Musiker gefunden haben: der Tölzer Sebastian Horn und der Münchner Gerd Baumann, die ebenso bodenständige wie aufregende Musik machen. Mit ihrer Band Dreiviertelblut haben sie einen kometenhaften Aufstieg hingelegt und inzwischen drei Alben veröffentlicht. Baumann, der die Musik zu fast allen Filmen von Marcus H. Rosenmüller geschrieben und fünfmal unter dessen Regie das Nockherberg-Singspiel komponiert hat. Horn, Frontman der Bananafishbones, der ebenfalls mit im Singspiel-Team war. "Und so drängt es sich auf, diese beiden Ausnahmemusiker und ihr Schaffen näher zu betrachten", heißt es im Pressetext der Produktionsgesellschaft "Südkino". Fünf Jahre haben Rosenmüller und Johannes Kaltenhauser, der auch hinter der Kamera stand, die beiden begleitet und einen Dokumentarfilm gedreht, der am 6. August in die bayerischen Kinos kommt.

Ein klassischer Dokumentarfilm ist "Dreiviertelblut - Weltraumtouristen" nicht. Bunte Bilder aus dem Familienalbum? Fehlanzeige. Entstanden ist ein außergewöhnlicher Arthouse-Film in Schwarz-Weiß, mit surrealen Elementen, Dada-Humor und eindringlichen Landschaften; mal verkopft, mal verspielt; kühl in der Bildsprache und immer eingebettet in die vielschichtige Musik von Dreiviertelblut. Auch bisher unveröffentlichte Mitschnitte eines Konzerts mit den Münchner Symphonikern sind in dieses poetische Filmgedicht eingewoben.

Die Leidenschaft und der liebevolle Blick auf das Orchester, das habe ihn am meisten beeindruckt, als er den Film gesehen habe, erzählt Horn im Gespräch mit der SZ. Wie ist es, das eigene Leben als Film zu sehen? Das sei schon komisch, so eine "Überdosis Horn" in 90 Minuten, sagt er. Sobald eine Kamera laufe, sei es schwierig, authentisch zu bleiben. Dass man sich selbst inszeniere, das lasse sich nicht vermeiden.

Rosenmüller hat in den fünf Jahren für den Film stundenlange Gespräche aufgezeichnet. Ein Drehbuch gab es nicht, "wir haben uns treiben lassen", sagt Horn. Im Film wirkt nichts zufällig. Alles ist präzise gesetzt, die Schnitte sind beherzt: Tischtennis im Garten von Horns Haus in Lenggries. Auf regennassen Autobahnen zum nächsten Auftritt. In der Münchner Musikhochschule, wo Baumann seit 2013 als Professor im Fachbereich "Komposition für Film und Medien" lehrt. Beim Eisbaden im Tratenbach. In der Waldhütte am Keilkopf. Die kafkaeske Szene in einem Hotel am Nockherberg. Horn mit Trachtenhut bei der Tölzer Leonhardifahrt.

Beinahe wäre der Lenggrieser Musiker Horn Diplombiologe geworden, wenn ihn der Erfolg der Bananafishbones nicht vom Abschluss abgehalten hätte. Der Wald spielt im Film und in seinem Leben eine wichtige Rolle. Mit Staunen beobachtet er winzige Flechten an einem Ast, weiße Pilze, die wie Wachs aussehen, Sonnenlicht, das schräg durch die Bäume fällt. "Im Wald findest du alles", sagt er. "Und alles fügt sich ein." In einer Einstellung sieht man ihn beim Bild der Zigeunerin in einem Wald bei Leger, der Dreiviertelblut die schaurige Ballade "Falak" gewidmet haben, die einzige auf Hochdeutsch. Eine Szene wie aus einem Mystery-Thriller, Horn mit nervösem, fliehendem Blick. Eines seiner zentralen Themen ist die Zeit: Ihre unterschiedliche Wahrnehmung, die unfassbare Geschwindigkeit, mit der wir auf unserem "blauen Stoa" durch die Unendlichkeit rasen, die Zeit als Maß der Vergänglichkeit. "Wir gehen im Wald auf Leichen von Hunderten von Jahren", sagt er mit seiner tiefen Stimme.

Horn ist ein schwerblütiger Romantiker, der als Bub droben in einem Apfelbaum einen kurzen Moment vollkommener Alleinheit erlebt hat; Einssein mit der Natur, Entgrenzung, Nacht - viele Versatzstücke romantischer Sehnsucht finden sich im Film. "Meine Texte sind eine Reduktion auf meine Welt", sagt der 49-Jährige. "Und mich dann mit dem Gerd hinzuhocken, der genau weiß, wohin diese Reise musikalisch gehen soll, das ist schön."

Baumann, im Film der Astronaut, löst Sinnfragen in den Humor seiner sinnfreien Gedichte Ringelnatzscher Prägung auf. Er habe sich bei der Nasa als Astronaut beworben, sagt er etwa. "Aber da darfst keine Höhenangst haben." Hat er nicht, Probleme macht dem 53-Jährigen eher zu viel Enge. Dass er einmal in einer Band mit bairisch singendem Sänger spielen würde, das hätte er vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten, sagt er. "Dialektmusik ist sehr schnell ausgrenzend." Aber beim Wastl sei das anders. "Das hat was Weltoffenes, durch die Art, wie er das singt." Gelungen ist das eindrücklich im Lied "Mia san ned nur mia" von 2015, als die vielen Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Sein Blick auf Bayern sei mitunter "sehr zwiegespalten", sagt Horn. Bei aller Verbundenheit mit Dialekt, Leonhardi, Landschaft - es sei doch keine persönliche Leistung, wo man geboren sei.

Ein Höhepunkt im Film ist eine Aufnahme von "Der Sturm" mit den Münchner Symphonikern. Eine musikalische Metapher, die Baumann im Jahr 2016 unter dem Eindruck von Pegida und Trump komponiert hat. Die Gesichter der Orchestermusiker in Nahaufnahme, ihre konzentrierte Selbstvergessenheit, das leidenschaftliche Dirigat von Olivier Tardy. Lichtblitze, die das Prinzregententheater durchzucken, Horn, dessen Gesang sich in Schreie verwandelt - Musik, wie ein großes Weltengebrause.

Fünf-Seen-Film-Festival 2020 , Open-Air-Kino im Seebad Starnberg: "Dreiviertelblut - Weltraumtouristen", Freitag, 7. August, Filmbeginn: 21 Uhr, Einlass 20 Uhr; das Filmteam ist anwesend, www.fsff.de

© SZ vom 04.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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