Beim Abschlusskonzerts des Projekts "You(th) can Sing" muss das Publikum in der Wolfratshauser Loisachhalle die Köpfe verrenken. Denn die Musik spielt hinter ihm. Mehrstimmiger Gesang klingt von der Tribüne oben herab. Der Chor aus Kairo eröffnet auf Arabisch, die Jugendlichen aus Klaipeda erwidern auf Litauisch und dann jodeln die Sängerinnen aus Wolfratshausen. Drei Chöre aus drei Nationen treten am Freitag gemeinsam in der Loisachhalle auf. Das Konzert ist der Höhepunkt nach einer gemeinsamen Chorwoche in Kreuth am Tegernsee. Das Ergebnis ist ein beeindruckendes Programm, das die die 48 Jugendlichen ganz ohne Noten abliefern: Die drei Chöre geben jeweils drei Lieder aus ihrem Repertoire zum Besten und singen dann gemeinsam. Der Abend gipfelt in einer musikalischen Performance, die Vorstufe zu einem neuen Stück der Komponistin Helga Pogatschar, die sie gemeinsam mit den drei Chören entwickelt.
Nach der trilingualen Eröffnung beginnt der Kinderchor Wolfratshausen mit Eric Claptons "Tears In Heaven". Chorleiter Yoshihisa Kinoshita dirigiert seine Schüler gekonnt durch das getragene Stück, in dem eine Bassstimme einen klangvollen Kontrast zum übrigen Gesang bildet. Ihr ganzes Können beweisen die Wolfratshauser im Höhepunkt ihres Soloprogramms: Sie singen einen komplizierten Kanon, der die Zuhörer an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit bringt.
Dann kommt der Pasch-Chor aus Kairo auf die Bühne. Die Sängerinnen und Sänger besuchen in der ägyptischen Hauptstadt unterschiedliche Schulen, singen aber zusammen. Die Gemeinsamkeit bildet der Deutschunterricht, der an allen Schulen eine besondere Stellung einnimmt. "Pasch" heißt die Initiative des Auswärtigen Amtes, die Deutschunterricht an ausländischen Schulen fördert. Kairo und Wolfratshausen verbinde eine langjährige Partnerschaft, sagt Kordula Hunold, die am Goethe-Institut-Kairo für die Pasch-Partnerschulen verantwortlich ist. Viele der Jugendlichen aus Kairo sind nicht das erste Mal in Deutschland. Die 14-jährige Mariam etwa ist schon zum dritten Mal da. "Für mich war es sehr schön wieder hier zu sein", sagt sie. "Ich habe meine ehemalige Gastfamilie heute wiedergesehen." Auf der Bühne sind alle voll bei der Sache und haben sichtlich Freude am Singen. "Helwa ya Balady" heißt das erste Stück in der Muttersprache Arabisch, in "Salma ya Salama", wechseln sie für einige Zeilen auf Deutsch. Das dritte Lied "Wade In the Water" singen sie auf Englisch. Das Publikum spendet begeistert Applaus.
Das letzte Soloprogramm liefert dann Hzg Sound, der Schulchor des Hermann-Sudermann-Gymnasiums der litauischen Hafenstadt Klaipeda. Die Schule wurde 1992 für die deutschsprachige Minderheit der Stadt gegründet und ist ebenfalls Teil des Pasch-Programms. Der Chor der Litauer unterfüttert seinen Auftritt mit Perkussionsinstrumenten und schrillem Flötenspiel.
Abschließend treten alle drei Chore gemeinsam auf - und mischen in ihrem Gesang die drei Sprachen Litauisch, Deutsch und Arabisch bunt durcheinander. "Es war komischerweise sehr einfach Litauisch zu lernen", sagt Omar, der für den Pasch-Chor singt. "Ich dachte, es sei eine sehr schwere Sprache, aber ich habe die Lieder an nur einem Tag gelernt." Auch Matas aus Klaipeda hatte wenig Probleme, die Lieder in der fremden Sprache zu lernen: "Arabisch zu singen war zuerst schwer, aber mit der Zeit habe ich es gelernt und konnte die Lieder gut singen", sagt er nach dem Auftritt.
Den Abschluss des Konzerts bildet eine gemeinsame Performance, eine Rohversion des neu komponierten Chorstücks, an dem Pogatschar gemeinsam mit den Jugendlichen arbeitet. In schwarz gekleidet sitzen alle still auf dem Boden der Loisachhalle. Durch eine Berührung auf den Rücken wird einer nach dem anderen zum Leben erweckt und singt einen individuellen Ton. Bald sind alle aufgestanden, und eine Vielzahl von Stimmen erfüllt den Raum. Es bilden sich mehrere Gruppen, die sich um einen Dirigenten in der Mitte versammeln und gemeinsam in der von ihm angezeigten Tonhöhe singen. Schließlich treffen sich alle Gruppen auf einer Tonlage und strömen zur Mitte der Bühne, wo sie zu einem Pulk verschmelzen. Die Performance mündet im letzten Lied des Abends. Laut Kinoshita soll das Stück das Zusammentreffen verschiedener Kulturen in der Musik abbilden. "Die Komposition ist aus Übungen entstanden", erklärt der Chorleiter. "Der Prozess an sich ist total wichtig. Das Ziel ist, dass die Komposition diesen Prozess einfängt und auch für Leute begreifbar macht, die den Weg nicht gegangen sind."
Den interkulturellen Austausch betonen alle Beteiligten des internationalen Chorprojekts, auch der Leiter der Musikschule Wolfratshausen, Manfred Heller: "Am Ende wusste man gar nicht mehr, wer woher kommt. Und das war auch gar nicht mehr wichtig." Im kommenden Jahr will Pogatschar ihre Komposition vollenden. Uraufgeführt wird sie dann in Ägypten, wenn die drei Chöre das nächste Mal zusammentreffen.