Süddeutsche Zeitung

125 Jahre Kesselbergstraße:Die Dauerbaustelle über dem Kochelsee

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Als Transitroute der Region wird der Kesselberg weiter wichtig bleiben. Doch am Passübergang sind laufend Sanierungsmaßnahmen notwendig, auch weil alpine Gefahren drohen.

Von Benjamin Engel, Kochel am See

Vom Saumpfad über die nur mit Hilfe von vorgespannten Pferden überwindbare herzoglich-bayerische alte Bergstraße bis zur Autotransitverbindungsroute in ihrer modernen Form: Die Kesselbergstraße zwischen Kochel- und Walchensee hat sich in den Jahrhunderten ihrer Existenz stets gewandelt - und wird Dauerbaustelle bleiben. Allein schon deshalb, weil die Verkehrsinfrastruktur regelmäßig erneuert werden muss, um funktionstüchtig zu bleiben.

Wie teuer das werden kann, hat ein Föhnsturm im vergangenen November verdeutlicht. Durch den starken Wind riss es eine etwa hundert Meter oberhalb der Strecke stehende Buche samt Wurzeln aus dem steilen Hang. Der Baum stürzte mit weiteren Exemplaren und Felsbrocken auf die Straße. 115 000 Euro waren allein für neue Steinschlagschutzzäune und Felsvernetzungen auf einer Länge von nur 150 Metern erforderlich.

Aktuell ist die Kesselbergstraße zwar kaum durch Felsabbrüche, Muren oder Lawinen gefährdet. Generell werden solche Risiken aber gerade im Alpenraum wahrscheinlicher, wenn es heftig regnet. "Mit der Zunahme von Starkregen werden Murenabgänge häufiger", sagt Martin Herda. Dafür existiert im Staatlichen Bauamt Weilheim, dessen Abteilungsleiter für den Straßenbau im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen er ist, seit drei Jahren das Sachgebiet Georisiken.

Gefährdet sind in der Region vor allem die für den öffentlichen Verkehr gesperrte Staatsstraße zwischen Urfeld und Sachenbach am Nordostufer des Walchensees unterhalb des Desselgrabens sowie die Reißenwand an dessen Nordwestufer. Kleinere Steinschläge kommen aber laut Herda auch am Kesselberg vor. Alle paar Jahre müssten die dortigen Steinschlagschutzzäune von Felsbrocken oder Laub geräumt werden.

Derartige Sicherheitsbauwerke sind mittlerweile an mehreren Stellen entlang der in ihrem Verlauf seit 125 Jahren kaum veränderten Passstraße installiert. Die Linienführung sei nur leicht verändert worden, etwa an der Lehmbachbrücke etwas nach Osten, so Herda. Über der historischen Brücke existiert heute ein Parkplatz. Allein den Bestand zu erhalten ist aber wegen des begrenzten Raums am Berg herausfordernd genug. So ist die Fahrbahn inzwischen bis an die gepflasterten Böschungen auf der Talseite verbreitert worden. Der Platz für die üblichen eineinhalb Meter Bankett am Straßenrand fehle damit, so Herda. In den Schutzplanken gebe es keine Widerlager. Das mache es nötig, teils mit Stützmauern an der Hangseite nachzurüsten.

Aber auch das allgemeine Verkehrsaufkommen nutzt eine Straße ab. Für umfassende Sanierungen am Belag wird das Staatliche Bauamt die Kesselbergstraße innerhalb der kommenden fünf Jahre daher ganz sperren müssen. 1,5 Millionen Euro sind laut Herda eingeplant, um zwischen Kochel und Urfeld auf einer Länge von sechs Kilometern die obersten vier Zentimeter abzufräsen und zu erneuern. Zwei Wochen lang müsse der Pass dafür vollständig gesperrt werden. Im kurvigen Gelände sei dies einfacher, als wenn nur halbseitig gesperrt werde. Und es könne eine für Frost schadensanfällige Mittelnaht vermieden werden.

3000 Fahrzeuge im Tagesschnitt

An touristischen Strecken wie dem Kesselberg ist es schwierig, für Sanierungen und Sperrungen den richtigen Zeitpunkt im Jahr zu finden. Das habe die einwöchige Vollsperrung nach dem Felssturz im vergangenen November gezeigt, so Herda. Der Schülerverkehr mit Bussen sei auf direktem Weg zwischen Walchen- und Kochelsee unmöglich gewesen. Die Schüler hätten also entweder von zu Hause aus den Unterricht verfolgen oder lange Umwege über Garmisch-Partenkirchen auf sich nehmen müssen. Letzteres habe sich durch den Zeitaufwand als wenig praktikabel erwiesen.

Zu den Straßen mit äußerst teurem Unterhalt dürfte der Kesselberg trotzdem nicht zählen. Zwar staut es sich über den Pass besonders an schönen Tagen regelmäßig kilometerlang. Doch insgesamt ist das Verkehrsaufkommen hier wesentlich geringer als etwa an der Tölzer Flinthöhe oder auf der Bundesstraße 11 zwischen Wolfratshausen und Geretsried. Durchschnittlich seien nach Erhebungen dort 35.000 beziehungsweise 40 000 Fahrzeuge pro Tag unterwegs, so Herda. "Am Kesselberg sind es im Normalfall um die 3000 Fahrzeuge." In Spitzenzeiten seien es maximal 11 000 Fahrzeuge am Kesselbergpass. Zudem gebe es weniger Schwerlastverkehr als anderswo. Dieser schädige die Fahrbahn am meisten. "Ein Lkw wirkt sich aus wie 100 000 Pkw", sagt Herda.

Weniger Verkehr sollte also auch seltenere Sanierungen bedeuten. Dafür ist laut Herda aber der Betriebsdienst der Straßenmeistereien am Kesselberg viel häufiger gefordert. Die Mitarbeitenden müssen mehr unterwegs sein, wenn es schneit, was aufgrund der Höhenlage am Kesselberg öfter vorkommt als im niedrigeren Alpenvorland.

Noch längere Zeit werden am Kesselberg wohl rasende Motorräder die Behörden beschäftigen. Bislang ließ sich die Problematik - insbesondere der damit einhergehende Motorenlärm - trotz zahlreicher Gegenmaßnahmen nicht vollständig in den Griff bekommen. Seit 1978 gilt schon das Fahrverbot in Bergaufrichtung für Motorräder an Wochenenden und Feiertagen. Das Überholverbot, die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 60 Stundenkilometer sowie der Unterfahrschutz an den Schutzplanken dürften wenigstens geholfen haben, schwerere Verletzungen zu verhindern. Gleiches gilt wohl für die in Kurven eingezogenen Fahrbahnteiler. Diese verhindern, dass Motorradfahrer riskant überholen können oder in Schräglage in den Gegenverkehr geraten.

Ein Toter seit 2013

Das legen zumindest die Statistiken nahe. Seit 2013 gab es nach Zahlen des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd nur einen tödlich verunglückten Motorradfahrer am Kesselberg. Waren es 2013 noch 16 Schwerverletzte, so wurden 2021 insgesamt 14 registriert. In den beiden Vergleichsjahren nahm die Zahl der Verkehrsunfälle von 44 auf 53 zu. Wieder aufgegeben haben die Behörden den Versuch, Raser mittels eingefräster Rüttelstreifen auszubremsen. Die Motorradfahrer hätten schnell gelernt, an den entsprechenden Stellen abzubremsen und möglichst gerade darüberzufahren, so Herda. Die zwischen 2014 und 2018 existierenden Rillen seien zudem rasch abgefahren und weniger griffig gewesen. Das habe die Situation für andere Verkehrsteilnehmer unsicherer gemacht, berichtet Herda.

Das Repertoire an baulichen Maßnahmen, um Motorradfahrer auszubremsen, ist damit für Herda erst einmal ausgeschöpft. Der Gesetzgeber werde aber gefordert sein, den Lärm durch strengere Vorgaben zu minimieren. Außerdem stehe noch eine Ausweitung des zeitlich begrenzten Fahrverbots für Motorräder zur Diskussion.

Mehr zur SZ-Serie "125 Jahre Kesselberg" hier: Auf den Spuren des "Bergkönigs"

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