Süddeutsche Zeitung

Karrierechancen:Das Schlüssel-Schloss-Prinzip

Mehr als 200 Frauen kommen zum Aktionstag für beruflichen Wiedereinstieg ins Tölzer Landratsamt. An kreativen Ideen mangelt es den Besucherinnen nicht - doch die decken sich nicht immer mit dem, was gefragt ist

Von Viktoria Spinrad, Bad Tölz

Der Saal ist so voll, dass sich Isabel Hasenmüller von draußen einen Stuhl nehmen muss. Kein Problem für die 46-Jährige, sie ist das Anpacken gewohnt: Lange hat sie als Dekorateurin gearbeitet, doch dann ging die Firma pleite. Seitdem hängt sie im "beruflichen Nirwana", wie sie es nennt. Die Umbruchphase will sie nutzen, um sich selbständig zu machen, die Weiterbildung als Geokulturcoach hat sie bereits in der Tasche, jetzt will sie die Fallstricke der Selbstständigkeit kennenlernen. Gleich soll ein Vortrag zur Existenzgründung beginnen. Kann der Redner ihr die entscheidende Anschubhilfe geben?

Am Donnerstagvormittag tummeln sich rund 220 Besucher, vor allem Frauen, im großen Sitzungssaal des Tölzer Landratsamts. Sie sind gekommen, um auf der Berufsmesse nach einer Pause im Job den Wiedereinstieg zu finden, oder sich aus freien Stücken neu zu orientieren. Dabei helfen sollen die 31 Aussteller, darunter Dienstleistungsfirmen, Wohlfahrtsverbände, Kliniken, Bildungsträger. Der Vormittag zeigt zugleich die Crux, der Frauen in der Region begegnen, wenn sie den Wiedereinstieg wagen wollen.

Denn während die Frauen, häufig Mütter, nach Flexibilität suchen, sind die Branchen, in der hier Mitarbeiter gesucht werden, eher schwierig mit ihren Vorstellungen und Qualifikationen vereinbar: "Die Schwerpunkte im Landkreis sind Bau und Hotelgewerbe", sagt Markus Aicher. Er steht am Jobcenter-Stand und fasst die Knackpunkte bei der Zusammenführung von Frau und Job mit einem Dreiklang zusammen: Qualifikation, Flexibilität, Mobilität. So würden Firmen bei veralteten Zeugnissen hadern, einer Frau eine Chance zu geben, zudem seien nicht alle Frauen so mobil, dass sie im großen Landkreis flexibel arbeiten könnten.

Das möchten aber viele Frauen - und sich deshalb selbständig machen. Isabel Hasenmüller ist jetzt im kleinen Sitzungssaal, wo manche auf dem Boden sitzen, und macht sich wie viele andere Notizen zur Existenzgründung. Im Schweinsgalopp geht Harald Hof von der Weilheimer Industrie-und Handelskammer durch die Knackpunkte: Versicherungen, Buchführung, Businessplan, Datenschutz. Als betriebswirtschaftlicher Berater weiß er, dass viele Gründer den Kapitalbedarf unterschätzen und zu vorschnell in die Vollen gehen. "Stecken Sie die Ziele nicht zu hoch, planen sie realistisch", rät er den Frauen. Hasenmüller nickt. Sie will sich trauen, etwas Neues zu starten.

Eben das rät Karin Weiß. "Viele sind noch zu sicherheitsorientiert, dabei muss man heutzutage flexibel sein", sagt die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises. Dazu komme, dass viele Firmen eine Rückkehr in Teilzeit ablehnten. Ein Problem, das Sandra Donhauser kennt. Sie ist Vertreterin der Servicestelle "Frau und Beruf", die die Messe nun zum vierten Mal auf die Beine gestellt hat. "Sowohl die Frauen als auch die Firmen müssen flexibler werden", sagt sie - 30 Wochenstunden seien machbar, "wenn man sich entsprechend aufstellt". Sie rät Frauen, viel zu netzwerken: "Oft ergibt sich dann etwas."

Zum Netzwerken ist auch Anne-Katrin Worm hier. Die 38-jährige Gaißacherin und Mutter eines einjährigen Kindes steht am Stand des Tölzer Kreisbildungswerks und hört Bettina Geue-Decker zu. Diese spricht über Eltern-Kind-Gruppen, für die noch Betreuer gesucht werden, was mehr einer Beschäftigung als einem Job gleicht. Worms Vision ist eine andere. Auch sie möchte sich selbständig machen, auch sie hat bereits eine Geschäftsidee: Sie möchte prä- und postnatale Kurse für Schwangere und Mütter anbieten. "Das wäre gut vereinbar", sagt sie. Und Isabel Hasenmüller? Der Vortrag hat ihre Recherchen bestätigt: nichts überstürzen, das neue Projekt erst als Nebenstandbein aufbauen. Sie weiß jetzt: Sie ist auf dem richtigen Weg.

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SZ vom 14.02.2020
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