Zugegeben, alte Schlösser oder Burgruinen sind im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen eher spärlich gesät. Geschichtsbegeisterte kommen trotzdem nicht zu kurz, denn selbst an unscheinbar wirkenden Ecken versteckt sich zuweilen eine jahrhundertealte Historie. So auch in der Sankt-Georgs-Kapelle in Hornstein im Isartal.
Monika Kroiß ist mit Blick auf das kleine Gotteshaus aufgewachsen, mehr als 50 Jahre hat die studierte Kunsthistorikerin im Eglinger Ortsteil Hornstein gelebt. Zeit, um sich mit dessen Vergangenheit zu beschäftigen, hat sie jedoch erst nach ihrem Renteneintritt gefunden. Im Auftrag des Burgvereins Wolfratshausen hat sie die Geschichte nachrecherchiert. Basierend auf ihren Ergebnissen hat sie für den Historischen Verein Wolfratshausen eine Führung erstellt, zahlreiche Neugierige haben ihre Einladung angenommen.
„An so einer kleinen Kapelle lässt sich so viel Geschichte ablesen“, fasst Kroiß ihre Begeisterung für das neo-klassizistische Bauwerk zusammen. 1315 zum ersten Mal urkundlich erwähnt, diente das Gotteshaus zuerst als Privatkapelle für die wechselnden Besitzer des Schlosses Hornstein. Von dem einst herrschaftlichen Anwesen ist heutzutage nicht mehr viel übrig. Bereits im späten Mittelalter wurde es als Gutshof bezeichnet, heute steht ein Bauernhof auf dem Gelände. Die Kapelle hingegen veränderte in den knapp 700 Jahren weniger ihr Äußeres als ihren Standort. Ursprünglich in der Nähe eines Steinhangs errichtet, drohte sie im 19. Jahrhundert herabzustürzen und wurde daher 300 Meter nach Süden verlegt.
Kroiß’ Aussage zielt jedoch vor allem auf das Innere der Kapelle ab, wo sich in Details die Geschichte Hornsteins und der Umgebung wiederfindet. Tritt man in das kleine Bethaus ein, fällt direkt der Blick auf das Triptychon hinter dem Altar. Dort hängt der Namenspatron — der heilige Georg — flankiert von der heiligen Katharina und dem heiligen Leonhard. Alle drei sind Bauernheilige, deren Verehrung in der Region stark verbreitet war und noch immer fest verankert ist. So gilt der jährliche Leonhardi-Umzug in Bad Tölz, der zu Ehren des Schutzpatrons des Viehs ausgerichtet wird, als einer der wichtigsten Feiertage im Landkreis.
An der Decke der Kapelle prangen indes weltliche Bezüge. Unterschiedliche Wappen weisen auf die verschiedenen Familien hin, die über die Jahrhunderte hinweg in Hornstein die Verwaltungshoheit besaßen. Bei genauem Hinschauen bemerkt man auch hier das Ineinandergreifen von Vergangenheit und Gegenwart. So finden sich etwa die Widderhörner aus dem Wappen der Thorer von Hornstein — einem bedeutenden Adelsgeschlecht im Mittelalter — im heutigen Wappen der Gemeinde Eurasburg wieder.
Von 1630 an befand sich der Gutshof Hornstein im Besitz des Kloster Schäftlarns, was auch die anrainende Bevölkerung zu spüren bekam. Hohe Abgaben und schwere Frondienste gestalteten die Beziehung zu der Dorfgemeinde von vornherein als schwierig. Kunsthistorikerin Monika Kroiß erzählt von den Aufzeichnungen eines Abts, die das unterkühlte Verhältnis erahnen lassen. Der Geistliche berichtete von einem Tag, an dem wie üblich gefällte Baumstämme für den Abtransport an eine Flößerei in Tölz bereitgelegen hätten. „Doch plötzlich brannten diese lichterloh und auch die umliegende Landschaft drohte in Flammen aufzugehen“, erzählt Kroiß. Der Abt vermutete, dass die Untertanen selbst für den „derben Streich“ verantwortlich gewesen seien. Die Hornsteiner hätten es anscheinend gehasst, vom Kloster zum Holzhacken verpflichtet zu werden, so Kroiß. Anfang des 19. Jahrhunderts kehrte dann aber schlussendlich Ruhe ein. Die Säkularisation von 1803 — mit Enteignung von kirchlichen Besitztümern infolge der napoleonischen Kriege — beendete das schmähliche Verhältnis. Nach einigem Hin und Her ging der Gutshof 1829 in privaten Besitz über, bis heute wird er von den Nachkommen derselben Familie verwaltet.
Die Kapelle indes ist noch heute öffentlich zugänglich und wird für Hochzeiten, Taufen oder Trauerfeiern gerne genutzt. Innerhalb des Orts gilt das Kirchlein als „das Herz von Hornstein“, wie Kroiß aus ihren eigenen Erfahrungen berichtet. Als dieses in den 1960er-Jahren einer Renovierung brauchte, habe die gesamte Gemeinde mitangepackt. „Die dunkelblauen Bänke wurden von den Frauen des Dorfes zusammen abgebeizt“, erinnert sich Kroiß. An die „alte schreckliche Farbe“ könne sie sich noch gut erinnern, weil sie als Kind mit ihren Tanten dort den Rosenkranz beten musste. Ihr eigener Vater habe einen neuen Altar gemauert. Der dafür benutzte Tuffstein komme wahrscheinlich aus Wolfratshausen und sei somit erneut ein Indiz dafür, wie viele Facetten des Landkreises in der Kapelle zusammenfließen.