Von Anfang an baut Beethoven in der Einleitung zu seinem Streichquartett op. 74 Spannung auf, die sich nach weiten harmonischen Umwegen mit dem Auftritt des ersten Themas in der Grundtonart Es-Dur löst. Das Kölner Amaryllis-Quartett fand während des ersten Satzes schnell zu seinem Ensembleklang und spielte das Allegro mit seinen Wiederholungen und Tremoli so prägnant wie die Pizzicati, für die das Werk den Beinamen Harfenquartett bekam. Sie lassen durchaus an „Harfenpling“ denken, wie das die Musikjournalistin Eleonore Büning einmal bezeichnete. Ansteckend zärtlich beginnt das Adagio mit einem zauberhaften Gesang der Violinen und mit nicht minder magischen Rückungen in völlig andere Tonartenräume. Die Bratsche hat dann kurz die Hauptrolle mit einer weichen Kantilene, umspielt von den anderen Instrumenten. Der atemlose dritte Satz führt attacca, also ohne Pause, in die sechs Variationen über ein schlichtes Originalthema. In keinem anderen Quartett hat sich Beethoven für diese Form als Schlusssatz entschieden. Das Stück ist längst nicht so revolutionär für seine Zeit wie die vorangegangene Dreiergruppe der Razumowsky-Quartette op. 59 und wird entsprechend seltener aufgeführt. Im Kurhaus von Bad Tölz kamen schon nach diesem ersten Werk laute Bravo-Rufe, was die Musiker überrascht genossen.
Bei den bekennenden Streichquartett-Puristen Christoph und Susanne Kessler waren bislang größere Ensembles eher die Ausnahme. Doch zum Saisonabschluss der Reihe „quartettissimo!“ am Sonntag holten sich die Musiker Verstärkung, die phänomenale französische Pianistin Lise de la Salle. Der für Kultur verantwortliche Tölzer Bürgermeister Christof Botzenhardt und Kessler bestätigten: „Das wird es weiter regelmäßig geben. Im Februar kommt das amerikanische Marmen Quartet, zum Sextett erweitert. Für Herbst 2026 ist Amaryllis erneut eingeladen, zu einem mindestens so anspruchsvollen Projekt, dem zweiten Streichquartett von Arnold Schönberg, zusammen mit der Sopranistin Juliane Banse.“
Immer Raum zu müheloser Entfaltung
Der Klavierquartettsatz a-moll ist das einzige erhaltene Kammermusikwerk von Gustav Mahler. Leise, dunkel setzt das Klavier ein, diese Grundstimmung bleibt zunächst erhalten, trotz einer Aufhellung durch das sangliche Hauptthema. Aber der Symphoniker Mahler nimmt Fahrt auf mit mächtigen Akkorden, ganz wie bei einem ausgewachsenen Klavierkonzert, und lässt das immer wiederkehrende Thema aufblühen. Auch hier ist die zierliche Lise de la Salle ganz in ihrem Element. Souverän spielt sie die Klangfülle ihres Flügels aus, lässt dabei aber ihren Partnern an Geige, Bratsche und Cello immer Raum zu müheloser Entfaltung. Das eben macht gute Kammermusik-Ensembles aus: jedes Instrument ist hörbar präsent, aber keines, auch nicht ein Klavier, drängt ein anders beiseite. Amaryllis, bestehend aus Gustav Frielinghaus und Lena Sandoz an den Violinen, Mareike Hefti an der Viola und Yves Sandoz am Cello, und ihrer Pianistin Lise de la Salle gelingt das scheinbar selbstverständlich. Man spürt, zwischen ihnen stimmt die Chemie.
Vermutlich aus demselben ansonsten verschollenen Werk von Mahler stammt auch ein Fragment von nur wenigen Takten eines Scherzo-Satzes, das Herz des wilden, knapp achtminütigen Klavierquartetts, das der russisch-deutsche Komponist Alfred Schnittke darum herum entwickelt. Die Musiker spielen Schnittke ohne Pause nach Mahler, um den Zusammenhang trotz völlig unterschiedlicher Tonsprachen zu verdeutlichen. Die zunehmende Dynamik des knapp zehnminütigen Brockens hat es in sich, er fordert trotz seiner Kürze volle Konzentration von Musikern und Zuhörern. Aus grellen, dichten Dissonanzen, sirenenartigen Streicher-Glissandi und clusterartigen Klavierschlägen schimmern unerwartet harmonische Melodiefetzen durch. Zunächst verborgen, dann immer wieder und deutlicher: es ist das originale Thema aus Mahlers Scherzo, das sich schließlich nach einer Pause von mehreren Takten ohne Konkurrenz durchsetzt.
Berechtigte Begeisterung
Manchmal wird ein so extremes Werk nach kurzer Pause ein zweites Mal gespielt, auch auf erfahrene Hörer wirkt es dann wie ein ganz anderes Stück. Stattdessen entführte Antonín Dvořáks Klavierquintett A-Dur, op. 81, mit ausgelassener Melodik und Rhythmik in vorwiegend sonnige Gefilde, zur spürbaren Freude des Publikums. Dabei ist das keine „echte“ Volksmusik. Die gefühlvolle Dumka mit ihren bewegteren Zwischenteilen im zweiten, der rasante Furiant im dritten Satz sind keine originalen Volkstänze. Auch das stürmische Finale, bei dem manche gar nicht mehr richtig stillhalten konnten, ist eine geniale Erfindung des böhmischen Vollblutmusikanten. Hingebungsvoller Gesang der Streicher, oft liebevoll vom Klavier umspielt, beschert kurz auch ruhigere Momente, Dvořák lotet so die gesamte emotionale Bandbreite seiner musikalischen Heimat aus. Spielfreude pur auf der Bühne, und da kam es dann doch vor, dass das triumphierende Klavier die Streicher ein paar Takte lang in den Schatten stellte - aber der berechtigten Begeisterung im Saal tat das nicht den geringsten Abbruch.