Glaube und ReligionAndachtsort mit Alpenblick

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Die Passion Christi erwartet Besucher oben auf dem Kalvarienberg in Lenggries.
Die Passion Christi erwartet Besucher oben auf dem Kalvarienberg in Lenggries. (Foto: Manfred Neubauer)

Der Lenggrieser Kalvarienberg gehört zu den ältesten seiner Art im deutschsprachigen Raum. Dass er noch immer die Gläubigen erfreut, liegt vor allem am Mesner-Ehepaar Janßen, das die Anlage seit 40 Jahren liebevoll pflegt.

Von Paul Schäufele, Lenggries

Der Herr der Hohenburg hat sich vom Wind helfen lassen. Denn als er, Hanns Wilhelm Graf von Herwarth, sich fragte, wo am besten er dem lieben Gott zu Ehren ein Kreuz aufstellen könne, warf er ein Taschentuch und durfte sich freuen, als kurze Zeit später ein Hirtenbub zu ihm kam. Da und da habe er das Tuch gefunden. Und dort errichtete der Graf 1663 ein Kreuz, markierte damit den Ursprung des Lenggrieser Kalvarienbergs. So geht die Legende, wie Johannes Janßen erzählt. Dem Mesner ist der Kalvarienberg nicht nur Ort des Gebets, sondern auch Zuhause. Seit 40 Jahren pflegen seine Frau und er den Berg und haben dabei nie den Sinn für dessen Schönheit verloren. In der Karwoche kommt sie besonders zur Geltung.

„Ein Traum ist das, so schön gemacht, unwahrscheinlich …“, sagt eine Besucherin, als sie die Heilig-Grab-Kapelle verlässt. Janßen bedankt sich: „Ja, aber es hat nichts Pompöses.“ Nichts Pompöses, dafür eine Fülle an Details, die immer neu entdeckt werden möchte. Dabei teilt der Kalvarienberg in Lenggries sein Thema mit allen anderen Kalvarienbergen. Es geht um die Passion Christi, die sich nach biblischer Überlieferung zu einem großen Teil auf dem Berg Golgatha abspielte. Da Golgatha im Bibeltext selbst als „Schädelstätte“ bezeichnet wird und das lateinische „calva“ Schädel bedeutet, heißen diesem Sujet gewidmete Andachtsorte eben Kalvarienberg.

Mesner Johannes Janßen an der Heiligen Stiege des Lenggrieser Kalvarienbergs.
Mesner Johannes Janßen an der Heiligen Stiege des Lenggrieser Kalvarienbergs. (Foto: Manfred Neubauer)

In Lenggries begegnet man der Geschichte vom Sterben des Christus mehrfach. Dem Ort wendet sich der Kalvarienberg mit einer imposanten symmetrischen Treppenkonstruktion zu, auf der fünf Stiegenkapellen verteilt sind. Dafür wurde der Stein weggesprengt. „Die haben hier schon g’scheit gewerkelt“, sagt Janßen. In expressiven Holzplastiken werden in den Kapellen Passionsszenen dargestellt. So die Geißelung Christi durch zwei besonders grobe Schläger oder der Abschied Marias von ihrem Sohn. Die Frakturschrift, die über den Skulpturen steht, ist von Sonne und Schlagregen verwittert, doch die Verse sind noch zu entziffern: „Deine Sünd, o Mensch, verursacht hat / Daß die zwey Hertzen scheiden. / Dann wegen deiner Missethat / Gibt Jesus sich ins Leyden.“ Die Holzfiguren, teils aus dem 17. Jahrhundert, werden in den kommenden Jahren erneuert.

Weniger vom Wetter des Alpenrands gebleicht sind die Zement-Güsse, die die Spitze des Bergs in 14 Stationen einrahmen. Die Stationen sind Anfertigungen der Mayer’schen Hofkunstanstalt in München und beschreiben einen Kreuzweg in weitem Bogen durch die Gartenanlage. Ergänzt werden sie durch neuere Tafeln, die die jeweilige Szene kommentieren und dazu einladen, die Passionsgeschichte auf das eigene Leben zu beziehen. Wo ließe sich besser über die großen Fragen nach Leiden, Sterben und Verlassenwerden nachdenken als auf einer der Bänke? Der Kalvarienberg ist ein Ort der Meditation, weiß auch Johannes Janßen.

Der Aufstieg ist steil, aber der Ausblick auf die Berge belohnt für die Mühe.
Der Aufstieg ist steil, aber der Ausblick auf die Berge belohnt für die Mühe. (Foto: Manfred Neubauer)

Der gelernte Schreiner und seine Frau kamen 1985 auf den Berg. Im Rückblick wirkt beinahe schicksalhaft, wie das geschah. Das damals noch unverheiratete Paar hatte vor vier Jahrzehnten den Tölzer Kalvarienberg besucht. „Da hab’ ich gleich gesagt, so was würde mir auch gefallen, so einen Berg zu pflegen“, sagt Janßen. Keine vier Wochen später fällt ihm das Lenggrieser Kirchenblatt in die Hände, in dem die Stelle auf dem dortigen Kalvarienberg ausgeschrieben ist. „So haben wir quasi raufgeheiratet.“ Vier Kinder hat das Paar in der Dienstwohnung, dem Benefiziatenhaus, großgezogen. „Im Winter hat sie’s auch mal geschmissen auf der Treppe, das gehört dazu“, sagt Janßen. Größere Probleme hat ihm das Leben auf der Anhöhe nicht bereitet bis jetzt, obwohl die Treppen es in sich haben. Ans Aufhören denkt das Ehepaar deshalb im Moment nicht. „Solange wir gesund sind, machen wir’s.“

Langweilig wird Janßen ohnehin nicht. Denn beide Kapellen des Kalvarienbergs – die Heilig-Grab-Kapelle und die Heilig-Kreuz-Kapelle mit der Heiligen Stiege, die man zur Reduktion der Sündenstrafe auf Knien betend erklimmt – enthalten einen Schatz an Votivtafeln. Janßen hat es sich zur Aufgabe gemacht, mithilfe etwa der Lenggrieser Tauf- und Sterbebücher zu eruieren, von wem die Tafeln stammen. Die teils schlicht volksfrommen, teils kunstvoll gearbeiteten Tafeln sind wie ein üppig bebildertes Geschichtsbuch mit immer wiederkehrenden Motiven. So widmet eine Frau 1947 eine Tafel „Aus Dankbarkeit für die glückliche Heimkehr des Gatten aus dem Krieg“. Eine andere zeigt den Grafen Michael Herwarth, der einen Feldzug im 18. Jahrhundert überstanden hat.

Die Tafeln in der Heilig-Kreuz-Kapelle stammen von Pilgern verschiedener Epochen.
Die Tafeln in der Heilig-Kreuz-Kapelle stammen von Pilgern verschiedener Epochen. (Foto: Manfred Neubauer)

Johannes Janßen erinnert sich noch daran, wie in seiner Anfangszeit auf dem Berg jeden Sonntag wenigstens ein Vertreter der Lenggrieser Höfe zum Beten kam. Das ist heute nicht mehr so. „Das gibt’s nicht mehr, dass einer kommt, einfach, weil man’s so macht.“ Und doch steigen in der Woche vor Ostern einige auf den Berg, beten, meditieren, genießen die Atmosphäre. Für sie erhält Johannes Janßen den Kalvarienberg. „Wir richten alles her, dass die Leute eine schöne Karwoche haben“, sagt er.

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