Neueröffnung im Gewerbegebiet:"Inklusion schmeckt richtig lecker"

Neueröffnung im Gewerbegebiet: Franziska Bock prüft die Kaffeebohnen in der großen Rosttrommel.

Franziska Bock prüft die Kaffeebohnen in der großen Rosttrommel.

(Foto: Manfred Naubauer)

Bei der Kaffeerösterei "Yoanda" in Wolfratshausen arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Sie ist damit der 101. Betrieb dieser Art in Bayern. Zur Eröffnung kommt auch die Sozialministerin.

Von Susanne Hauck

Franziska Bock hat alle Hände voll zu tun. Die Schlange an Menschen, die für eine Espresso anstehen, wird einfach nicht kürzer. Davon lässt sich die junge Barista aber nicht aus dem Konzept bringen. Mit ihrem neuen Arbeitsplatz ist sie glücklich. Jeder Handgriff sitzt, sie ist mit Feuereifer bei der Sache. Auch wenn sie schlechter sehen kann als andere und ihr wegen ihres Klumpfußes das lange Stehen schwer fällt. Behende füllt sie das Kaffeepulver in den Siebträger und drückt es mit dem Tamper zurecht, stellt eine frische Tasse unter die Trägeröffnung und startet den Brühvorgang.

Man merkt sofort, dass sie eine kontaktfreudige, aufgeschlossene junge Frau ist. Aber ihr Lächeln kann niemand sehen. Die 29-Jährige leidet seit ihrer Geburt unter dem Möbius-Syndrom, einer sehr seltenen angeborenen Behinderung, bei der das Gesicht gelähmt ist. Das macht es nicht nur beim Essen und Trinken schwer. Viele Menschen können nicht damit umgehen, dass Franziska Bock keine Mimik zeigen kann. Sie starren sie auf der Straße ungeniert an. Und sie bringen nicht die Geduld auf, ihr aufmerksam genug zuzuhören, weil sie etwas undeutlich spricht.

Neueröffnung im Gewerbegebiet: Die Bohnen kommen aus fairem Handel und werden in Wolfratshausen schonend geröstet.

Die Bohnen kommen aus fairem Handel und werden in Wolfratshausen schonend geröstet.

(Foto: Manfred Neubauer)

Franziska Bock arbeitet in der Wolfratshauser Kaffeerösterei "Yoanda", die am Freitagnachmittag im Beisein von vielen Ehrengästen aus der Politik groß eröffnet wurde - als der 101. Inklusionsbetrieb in Bayern. Davon ist auch Sozialministerin Ulrike Scharf begeistert. "Die Kaffeerösterei wird Eindruck machen und Vorbild sein", lobt sie. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, bekennt sich dazu, ein "alter Kaffeejunkie" zu sein und findet: "Inklusion schmeckt richtig lecker."

Die inklusive Kaffeerösterei mit Kaffeebar ist am Hans-Urmiller-Ring 23 zu finden und wird vom Verein für berufliche Integration betrieben. Der Münchner Verein hat das Haus, in dem früher eine Bäderausstellung untergebracht war, gekauft und hergerichtet. Und es ist richtig schön geworden: Im vorderen Bereich gibt es eine professionell anmutende Theke und ein paar gemütliche Sitzmöglichkeiten vor einer exotischen Dschungeltapete. Weiter hinten befindet sich der Arbeitsbereich mit den verschiedenen Maschinen, dessen Mittelpunkt der imposant große Trommelröster ist. Hier wird der Kaffee langsam und schonend aromatisch veredelt. In rustikalen Säcken aus Rupfen befinden sich die ungerösteten Bohnen, die wie hellgrüne Erdnüsse aussehen und ein bisschen nach Heu riechen.

Neueröffnung im Gewerbegebiet: Mit einer großen Siebträgermaschine brühen die Mitarbeiter ihren Kaffee für die Kunden auf.

Mit einer großen Siebträgermaschine brühen die Mitarbeiter ihren Kaffee für die Kunden auf.

(Foto: Manfred Neubauer)

Franziska Bock holt eine Handvoll heraus und lässt die Besucher am Rohkaffee schnuppern. Ihre Aufgabe ist es, hier den Laden zu schmeißen. Kaffee rösten, mahlen, abfüllen, verpacken, versenden, und an der Tagesbar den Kaffee zuzubereiten. Schade, dass an diesem großen Tag nicht ihr Kollege Korbinian Irmer dabei sein kann, aber er ist an Corona erkrankt. Neben den beiden inklusiven Arbeitsplätzen gibt es auch zwei reguläre für die Betriebsleiter Johannes Eigelsreiter und Dagmar Baumgartner. Der Yoanda-Kaffee ist fair gehandelt, kommt aus nachhaltigem Anbau und Ländern wie Costa Rica oder Guatemala. Vier Espresso-, und acht Filterkaffeesorten gibt es, mit blumigen Namen wie "Kisha" oder aufmunternden Mottosprüchen wie "Versüßt den Büroalltag", mit Preisen zwischen sechs und zehn Euro für das halbe Pfund. Den Kaffee kann man dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr vor Ort oder über die Homepage www.yoanda-kaffee.de kaufen. Der Betrieb hofft, besonders Firmen als Kunden zu gewinnen.

Der Verein für berufliche Integration wurde 1987 gegründet, um Menschen mit Behinderungen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine oder nur geringere Chancen haben, in den Arbeitsprozess zu integrieren und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Er betreibt in Wolfratshausen außerdem den Hortus Gartenbau, und in Unterhaching das Ramadama Recyclingunternehmen.

Neueröffnung im Gewerbegebiet: Vier Espresso- und acht Filterkaffee-Sorten bietet Yoanda an.

Vier Espresso- und acht Filterkaffee-Sorten bietet Yoanda an.

(Foto: Manfred Neubauer)

Wie wichtig Inklusionsbetriebe für die Gesellschaft sind, betont auch Sozialministerin Ulrike Scharf, deren Minsiterium das Projekt finanziell unterstützt. Trotzdem gebe es immer noch viel zu wenig inklusive Unternehmen, ist sie sich mit VdK-Präsidentin Bentele einig. Denn auch wenn die Kaffeerösterei der 101. Betrieb dieser Art in Bayern ist: Alle zusammen bieten gerade einmal 1800 Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung, denen ansonsten nur die Werkstätten bleiben. Ein Mitleidsprojekt soll die inklusive Kaffeerösterei aber nicht sein, das unterstreicht die Vereinsvorsitzende Annemarie Böhm-Volkmann. Die Unternehmen müssten sich genauso dem Wettbewerb stellen und attraktive Produkte anbieten. "Die Kunden beauftragen uns nicht wegen ihrer sozialen Einstellung", sagt sie aus Erfahrung. Oftmals würden die Betriebe sogar ziemlich misstrauisch beäugt.

Neueröffnung im Gewerbegebiet: Betriebsleiterin Dagmar Baumgartner ist eine von vier Angestellten in der Rösterei.

Betriebsleiterin Dagmar Baumgartner ist eine von vier Angestellten in der Rösterei.

(Foto: Manfred Naubauer)

Wie schwer es Menschen mit Handicap im beruflichen Alltag haben, dafür ist Franziska Bock mit dem Möbius-Syndrom das beste Beispiel. Eigentlich ist sie für den Job überqualifiziert. Die junge Frau ist geistig völlig fit, sie hat Erziehungswissenschaft studiert und den Master gemacht. Aber mit ihrer Behinderung eine passende Stelle zu finden, war ein Ding der Unmöglichkeit und mit vielen Grausamkeiten und Enttäuschungen verbunden, schildert ihre Mutter. Sich unterkriegen lassen wollte Franziska Bock trotzdem nicht. Auf dem Arbeitsamt erfuhr sie von der Stelle in der Kaffeerösterei und bewarb sich. "Ich bin offen und neugierig", sagt sie über sich selbst. Zuhause Däumchen drehen kam für sie nicht in Frage. "Ich wollte unbedingt beruflich einen Anfang machen." Jetzt könne sie ihr eigenes Geld verdienen und viele Erfahrungen sammeln, sagt sie. "Mir macht es großen Spaß hier und ich lerne jeden Tag etwas Neues."

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