Kabarett:Panoptikum der Parodien

Kabarett: Merkel und Lindenberg: Chris Boettcher schlüpft für seine Comedy in viele Rollen, auch am Keyboard.

Merkel und Lindenberg: Chris Boettcher schlüpft für seine Comedy in viele Rollen, auch am Keyboard.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Chris Boettcher liefert in Dorfen Kabarett mit vielen Stimmen

Von Christa Gebhardt, Icking

Seine alten Bekannten hat er natürlich dabei: den Hansi Hinterseer und den "Loddarmaddäus" im Verbund mit "Kaiser" Franz. Mit diesen wunderbaren Parodien ist er ja bekannt geworden, der Mann in Jeans und Karohemd. Chris Boettcher hat in seiner Karriere als Comedian und Musiker der Wiesn Hits beschert und dem Bayerischen Rundfunk eine Kultserie. In seinem neuen Programm "Freischwimmer" werden aber auch andere Stimmen laut, und die gehören der Politikprominenz: Merkel, Trump und Erdogan. Boettcher ist deutlich politischer geworden, aber nicht weniger lustig.

Obwohl er dem Publikum im Vereineheim Dorfen einen "vierstündigen Originalinstrumenten-Zyklus über die endlose Ödnis der kaukasischen Steppe ohne Pinkelpausen" angekündigt hat, und damit schon mal die Lacher auf seiner Seite hat, entschließt er sich dann doch sein "Freischwimmer"-Programm zu präsentieren. Und das geht Schlag auf Schlag auf konstantem Unterhaltungsniveau und mit ausdrucksstarker Mimik. Sehr virtuos am Keybord in Kuhfelloptik nutzt er bekannte Schlager, Volksmusik und eingängige Chansons, um seine frechen Botschaften zu verkünden. Der US-Präsident ist präsent im Programm, er bekommt sein Fett ab mit "I did it my way", in dem der Comedian mit Trumps Stimme glaubhaft versichert, dass man in Amerika auch keine Terroristen mehr brauche, denn erschießen könnten sich die Menschen dort prima allein. Deutlich eins "in die Fresse" (seit Andrea Nahles politisch korrekt) kriegt er dann mit dem bekannten Lied vom "Bockfotzngsicht", das allerdings auch auf den türkischen Präsidenten Erdoğan passt. Böttcher singt es mit Merkels lispelnder Stimme, was dem Song noch eine fiese Note hinzufügt. Eigentlich gibt er sich einverstanden mit dem Motto der Bundeskanzlerin, erst mal eine Raute vor dem Bauch zu falten und dann tiefenentspannt Probleme einfach auszusitzen. Aber dann singt er plaudernd aus Angelas Nähkästchen, wobei die sexistischen Anspielungen auf die unerotische Ausstrahlung der Bundeskanzlerin auch im #Metoo-Zeitalter keinen im Publikum wirklich zu stören scheinen. "Männer sehen in mir nur optimale Effizienz bei totaler Abstinenz" ist da nur der aller harmloseste Spruch.

Natürlich kennt er sich im Leben jenseits der Politik auch gut aus, etwa im Altrockermilieu: Udo Lindenberg (mit Rollator ohne Hut), Herbert Grönemeyer (behinderter Videoclipdarsteller) und Peter Maffay (Harley mit Stützrädern) treffen sich gemeinsam beim Pizzabacken und vernuscheln, abgehackt stotternd und röhrend ihre größten Hits. Boettcher hat sie parodistisch voll drauf, textlich, musikalisch, stimmlich. Satirisch setzt der Comedian mit seinen Parodien diesen eigenwilligen Musikern ein Denkmal.

Auch Beziehungskisten geben Stimmvarianten zum Nachäffen her: die Shopping Queen, die verschnupfte Ehefrau oder die Künstliche-Intelligenz-Alexa, die sensible Daten an die Krankenkasse meldet. Der Mann über 40 stellt fest, dass er Jugendliche nicht mehr ganz versteht: "voll Aldi die bitch" und "Muschitoaster" lassen sich als billiges Mädchen und Sitzheizung im Auto übersetzen. Das tut nicht weh, macht nicht betroffen, und niemand muss sich fremdschämen. Nach zweieinhalb Stunden Gelächter verlangt das Publikum nach Zugaben. Natürlich darf da das Klagelied auf die "Pubertäter" nicht fehlen, eine Hymne für genervte Eltern.

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