Kabarett in Bad Tölz:Leonhardi im Zululand

Der Kulturverein "Lust" wirft wieder einen teils ernsten, teils schrägen Blick auf die Tölzer Traditionswallfahrt. Stargast ist diesmal Stadtpfarrer Peter Demmelmair, der nicht bloß den religiösen Aspekt sieht, sondern vom "größten Heiratsmarkt im Oberland" spricht

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Und da steht er dann, der allerletzte Leonhardi-Wagen. Abgehängt im Badeteil, wo sich keiner mehr auskennt, seit das Alpamare und der Jodquellenhof dicht gemacht haben und neuerdings so viele greislige Häuser stehen. Überhaupt ist die ganze Leonhardi-Fahrt irgendwie verkorkst: Die Chantale (Jeannette Stahlberg) aus Berlin fährt heuer im Frauenwagen mit, die zwar nicht katholisch, aber immerhin vegan ist. Rotkariertes Dirndl samt Plastikblume im Haar, "hallöchen, det is ja ne geile Karre". Sie hat sich im Internet über den Verhaltenskodex bei Leonhardi informiert, Schnaps und eine Schachtel Negerküsse dabei, das Gebet vom schmerzhaften Rosenkranz runtergeladen.

Die Goaßl vom Brettlhupfer Veit (Jan Richter) will nicht recht schnalzen, aber zum Glück gibts ja eine Goaßl-App. Das Navi kann den Weg auf den Kalvarienberg nicht weisen und vermerkt eine "behördlich genehmigte Tierdemo" samt Umleitung. Da hilft nur einer: Peter Frech (Paul Mayer) mit seinem Strickmützerl und dem prägnanten Bart, "ohne den in Tölz überhaupt nix los wär", wie die Frauen finden. Und der den vergessenen Wagen mit seiner Security durchboxt - anders als sein Hotelprojekt am Bichler Hof, raunt es aus dem Frauenwagen.

Kabarett in Bad Tölz: Skurriles rund um die Pferdewallfahrt und ordentlich Spektakel boten die Mitglieder der "Lust".

Skurriles rund um die Pferdewallfahrt und ordentlich Spektakel boten die Mitglieder der "Lust".

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Was wäre Leonhardi ohne den Kleinkunstabend in der Lust, ohne den manchmal rotzfrechen, aber stets liebevollen Blick auf die Stadt und ihre Wallfahrt? Vor zehn Jahren haben die Mitglieder des Kulturvereins Lust, Wiggerl Retzer, Sepp Müller und Redakteur Christoph Schnitzer, das Konzept ausgetüftelt und sich nie träumen lassen, dass sich der Lehardsabend zur Tölzer Leonhardifahrt als ganz eigene Traditionsveranstaltung etabliert, wie sie am Dienstag erklären - heuer erstmals an drei Abenden, die alle ausverkauft waren. "Wir wollten Spiritualität über die Spirituose erreichen", witzelt Müller. Auch ganz nüchtern betrachtet ist die Jubiläums-Veranstaltung wieder eine prall gefüllte Wundertüte und ein höchst unterhaltsamer Blick auf den Tölzer Nationalfeiertag, der nicht nur eine Pferdewallfahrt ist, sondern ein Lebensgefühl.

"Eine Kanalleitung, aus der das Evangelium fließt, manchmal auch nur eine Kanalleitung", wie Stadtpfarrer Peter Demmelmair definiert. Er ist am Dienstag der Stargast des Abends. Im Trachtenanzug beantwortet er gut gelaunt Fragen von Schnitzer, spricht über den Heiligen Sankt Leonhard ("500 Jahre total in der Versenkung und dann der absolute Renner"). Erklärt den Unterschied zwischen Wallfahrten und Pilgern und findet, dass Leonhardi als "größter Heiratsmarkt des Oberlands" durchaus auch nicht-spirituelle Qualitäten habe: "Viele quälen sich im Internet ab, bei uns gibt's das analog", sagt der Stadtpfarrer und lacht.

Kabarett in Bad Tölz: Stadtpfarrer Peter Demmelmair (rechts) war Stargast des Abends, hier im Interview mit Christoph Schnitzler.

Stadtpfarrer Peter Demmelmair (rechts) war Stargast des Abends, hier im Interview mit Christoph Schnitzler.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Choreographie des Abends folgt auch diesmal dem bewährten Konzept: Ernsthaftes trifft Schräges. Schnitzer trägt allerhand Wissenswertes und Skurriles rund um die Pferdewallfahrt bei, die Lust-Gruppe macht dazu ordentlich Spektakel. Wo sonst kann man Wiggerl Retzer als kugelrunden Leberknödel sehen? Wo trifft fernöstlicher Oomm-Singsang auf Volkslied, oder afrikanischer Trommelrhythmus auf bayerische Polka, mitreißend gespielt von der Danzlmusi der Tölzer Stadtkapelle? Im Zululand hat sich diese Verbindung nicht lange gehalten, wie man erfährt. Denn 1925 habe der Heilbrunner Missionspater Magnus Meiller die Leonhardifahrt vor lauter Heimweh nach Südafrika exportiert. Es sei eine einmalige Veranstaltung geblieben, sagt Schnitzer. Auch das "erste Tölzer Fernsehen mit der Tagesschau" wartet mit seriöser Information auf: Da wird zum Beispiel berichtet, dass 1923 zwei Damen im Herrensattel bei der Leonhardifahrt mitgeritten waren, was die Tölzer mit Schimpftiraden über "Profanisierung und Geschmacklosigkeit" quittiert hatten. Oder das zweifellos ebenso ungebührliche Ansinnen eines Händlers, der 1956 Coca Cola aus einem Lastwagen vor der Kirche verkaufen wollte.

Es ist ein Lust-voller Blick auf die Leonhardifahrt. Kein Brauchtums-Bashing, denn auch der Lehardsabend hat nach zehn Jahren schon seine Traditionen entwickelt: Dazu gehört das gemeinsam gesungene Pinzgauer Wallfahrerlied am Ende, dessen Refrain sich einbrennt. Bis zum nächsten Jahr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: