In der Reihe "Quartettissimo":Kontinuität durch Veränderung

In der Reihe "Quartettissimo": "Quartettissimo": mit dem Juilliard String Quartet.

"Quartettissimo": mit dem Juilliard String Quartet.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Das Juilliard Quartet präsentiert im Tölzer Kurhaus die deutsche Erstaufführung einer Komposition von Jörg Widmann. Das Ensemble hat sich im Lauf seiner 75-jährigen Geschichte mehrmals erneuert.

Von Ulrich Möller-Arnsberg, Bad Tölz

Fast lautlos sinken die Klänge der Streicher zu Beginn tiefer und tiefer. Nur das Cello markiert einen plötzlichen Akzent. Dann schimmern unter dem Klangteppich entrückte Motive der "Cavatina" aus Beethovens Streichquartett op. 130. Der Klassiker steht aber beim Juilliard String Quartet, das am Sonntagabend in der Reihe "Quartettissimo" im Tölzer Kurhaus gastiert, nicht auf den Notenpulten. Vielmehr eine Entgegnung darauf, die der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann 2020 als sein 10. Streichquartett beendet hat. Mit der deutschen Erstaufführung eines neuen Werks ein Streichquartett-Programm zu eröffnen, statt mit Haydn oder Mozart, wie es jahrzehntelang üblich war, das passt zu den Amerikanern und dem internationalen Ruf, den das Juilliard String Quartet seit seiner Gründung vor mehr als 75 Jahren genießt.

Drei Frauen und ein Mann sitzen heute auf dem Podium und stehen für den Namen dieses Ensembles, das seit 1947 mit seinem feinsinnig-modernen, enervierenden Klang legendär geworden ist. Erst 1997 schied Primarius Robert Mann als Letzter der ursprünglichen Vier-Herren-Besetzung nach 50 Jahren aus. Anfangs fielen er und seine Mitstreiter damit auf, dass sie neben den Klassikern und Romantikern immer auch zeitgenössische oder ganz neue Werke aufs Programm setzten. Ihr Bartok-Zyklus war einer der ersten seiner Art. Ein Ansatz, der viel Auseinandersetzung über interpretatorische Fragen voraussetzt. "Dass die Musiker dasselbe denken, gibt es nicht", erklärte Mann vor seinem Ausscheiden aus dem Quartett in einem Rundfunkinterview. Trotzdem hat sich das Juilliard String Quartet in den 25 weiteren Jahren bis heute sein spezielles Klangbild bewahrt.

Robert Manns Rezept: "Wenn ein Musiker das Quartett verlässt, müssen die anderen drei nach einem Neuen suchen, der zwar nicht exakt den alten Musiker ersetzt, trotzdem aber zu einem passt." Vor 25 Jahren ist es der zweite Geiger Ronald Copes, der als Neuling ins Quartett einsteigt. Heute steht er als ältestes Mitglied für die musikalische Kontinuität in der aktuellen Besetzung. Cellistin Astrid Schween stieg 2016 ein, als jüngstes Mitglied kam die Bratschistin Molly Carr 2022 dazu. An die Stelle der Primgeigerin Areta Zhulla (seit 2018) trat für die jetzige Europa-Tournee Michelle Ross als Einspringerin. Viel mehr Beweglichkeit trotz Kontinuität geht kaum. Gut möglich, dass aus der ursprünglichen reinen Männer-Besetzung am Ende eine aus vier Frauen wird. Das würde den modernen Geist der Juilliards nur bestätigen.

Ihr Programm ist quasi ein "rückwärtsgestricktes". Nach Jörg Widmanns 20-minütigem Werk, das anders als sein Anfang ganz innerlich in einer faszinierend gesanglichen Helligkeit endet, geht es zurück zu dem populären Streichquartett von Ravel. Besser kann in diesem Moment gar nicht bewusst werden, dass dessen Klänge schon 120 Jahre alt sind. Mit viel Gespür für seine damals neuen Farben und in spannungsvoller Dramaturgie gestalten die Juilliards die Komposition des Franzosen. Anders als andere Streichquartette reizen sie ihn auf angenehme Art nicht in Extremen aus. Trotzdem gelingt ihre Interpretation überzeugend plastisch und dynamisch.

Nach der Pause geht es noch einmal (allerdings nur neun Jahre) zurück - zu Antonín Dvořáks Streichquartett op. 105 von 1895. Im ersten Satz, noch in New York geschrieben, wo der Tscheche drei Jahre weilte, tauchen noch die jazzigen Synkopen auf, die das "amerikanische Quartett" op. 96 so sehr prägte und für alle Ewigkeit unter Musikern und Hörern beliebt machte. Musikgeschichtlich ist aber vor allem dieses weniger bekannte op. 105 spannend. Im Verlauf der weitern drei Sätze verschwindet die Sprache der "neuen Welt" zugunsten der für Dvořák typischen slawischen Gesanglichkeit. Auch bei diesem Romantiker verfallen die vier Streicher des Juilliard String Quartets nicht in Extreme und sichern ihm so eine schlanke, transparente Gestalt.

Ein großartiger Abend, für den es langen Beifall gab. Drauf gaben die Amerikaner einfach noch einmal Dvořáks Finale als Zugabe.

Das nächste Ereignis: 1. Internationaler Streichquartett-Wettbewerb Bad Tölz, 16. bis 20. April www.quartettissimo.de/competition-badtoelz-2023

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