Jugendsiedlung Hochland:Vom Propaganda-Ort zur Bildungsstätte

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Mit der "Demokratiewerkstatt" arbeitet die Einrichtung in Königsdorf die eigene bewegte Geschichte auf. Das von der EU geförderte Projekt soll ein digitales Archiv und eine Ausstellung hervorbringen

Von Nils Hannes Klotz, Königsdorf

Wo wäre ein Leuchtturmprojekt für demokratische Bildung besser angesiedelt als an einem Ort, an dem vor rund 80 Jahren jungen Menschen das genaue Gegenteil indoktriniert wurde? Eine solch wechselhafte Historie prägt die Jugendsiedlung Hochland in Königsdorf. Sie wurde von einer antisemitisch ausgerichteten Erziehungsstätte der Hitlerjugend zu einem Lager für jüdische Überlebende des Holocausts und ist heute eine weltoffene, basisdemokratische Bildungsstätte für Jugendliche. Unter dem Projekttitel "Demokratiewerkstatt" hat es sich die Jugendsiedlung nun zur Aufgabe gemacht, die Vergangenheit dieses geschichtsträchtigen Ortes aufzuarbeiten.

Im Rahmen des Projekts, das mit Mitteln des Leader-Programms der Europäischen Union und des Förderkreises Jugendsiedlung Hochland finanziert wird, soll ein Archiv entstehen, in dem Fakten und Wendepunkte aus der Geschichte des Geländes zusammengetragen werden. Hierfür präsentierte der Historiker Thomas Wagner kürzlich in Königsdorf nach mehr als einem Jahr intensiver Recherche seine Forschungsergebnisse. Die Jugendsiedlung hatte Wagner mit dieser Arbeit beauftragt. Er verfügt nicht nur über großes Fachwissen auf dem Gebiet der Geschichte des Nationalsozialismus, er ist auch vernetzt mit Einrichtungen wie der KZ-Gedenkstätte Dachau und dem NS-Dokumentationszentrum in München. Das digitale Archiv soll auch Schulklassen zur Verfügung gestellt werden, erklärt Roland Herzog, Leiter der Jugendsiedlung, auf Nachfrage. Man wolle über die Vergangenheit aufklären und ein Bewusstsein schaffen, so Herzog. Einzelne Exponate, wie eine Geländekarte aus dem Jahr 1950, lägen auch als erhaltene Zeitdokumente vor.

Die Recherchearbeit von Historiker Wagner ist nun beendet. Am Montag fand die symbolische Stabübergabe an Michael Geigl statt. Geigl studiert Soziale Arbeit in Benediktbeuern und war bereits in der Vergangenheit als freier Mitarbeiter in der geschichtlichen Jugendbildung tätig. Nun erarbeitet er Konzepte für pädagogische Angebote der Demokratiewerkstatt. Angedacht ist eine multimediale Führung, bei der mit Hilfe einer App die Geschichte des Geländes erzählt werden soll. Auch eine Führung mit historischen Gegenständen ist geplant. Zu sehen gibt es unter anderem eine Propagandaschrift aus dem Jahr 1937 und die Gründungssatzung der Jugendsiedlung von 1949. Eine "Geschichtswerkstatt" soll zudem einen Austausch mit der älteren Bevölkerung ermöglichen.

Ein Kernelement der "Demokratiewerkstatt" ist für Herzog neben der Aufklärung auch die Wertebildung. Nachdem die Nationalsozialisten den Ort für die Erziehung einer systemtreuen und völkisch denkenden Generation nutzten, habe sich der 1949 gegründete Verein "Jugendsiedlung Hochland" klar vom Nationalsozialismus abgegrenzt, so Herzog. Einem ehemaligen Hausmeister sei die erneute Anstellung verweigert worden. Die Jugendsiedlung sei seit ihrer Gründung engagiert, Jugendarbeit und -bildung für eine demokratische Zivilgesellschaft zu leisten, sagt Herzog. Es gebe eine enge Zusammenarbeit mit dem Verein "Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald". In der Nachkriegszeit war Waldram, früher Föhrenwald, ein Lager für so genannte Displaced Persons - also für jüdische Überlebende, die nach dem Krieg zeitlich begrenzt dort untergebracht wurden. Zwischen 1946 und 1948 war die heutige Jugendsiedlung Hochland eine Außenstelle des Lagers Föhrenwald. Das Badehaus in Waldram ist heute ein Erinnerungsort.

Das Projekt "Demokratiewerkstatt" wolle mit der eigenen Geschichte die Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie erklären und der Frage nachgehen, welche Möglichkeiten es gibt, sich als Individuum für die Demokratie zu engagieren, sagt Herzog. Noch bis Dezember 2019 werde das Projekt durch die Fördergelder der Europäischen Union in Höhe von rund 20 000 Euro unterstützt. Mit dem Ende der Konzeptentwicklung werde die Öffentlichkeit von 2020 an dann Zugang zu einer Ausstellung haben. Texte, Dokumente und Bilder aus unterschiedlichen Dekaden sollen den Besuchern Auskunft über die Vergangenheit der Jugendsiedlung geben.

Leader ist ein Förderprogramm der Europäischen Union, das Projekte zur Entwicklung des ländlichen Raums unterstützt. Für den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sieht das Programm bis 2020 eine Fördersumme von 1,1 Millionen Euro vor. Es gibt vier Handlungsfelder. Die "Demokratiewerkstatt" ist ein Projekt des Feldes Bildung und Kultur.

© SZ vom 29.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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