Jugendkultur:Letzte Ausfahrt München

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Junge Leute im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen haben nicht viele Möglichkeiten, mal auszugehen. Jugendtreffs - wie das Jugendcafé in Bad Tölz - versuchen, dem Mangel mit Angeboten entgegenzuwirken. (Foto: Manfred Neubauer)

Im Landkreis fehlen Möglichkeiten für Jugendliche zum Ausgehen und zur Freizeitgestaltung. Wer ein Auto hat, fährt in die Großstadt. Angebote von Jugendtreffs und eine neu entstandene Subkultur sollen diesen Mangel abfedern.

Von Sophia Coper, Bad Tölz-Wolfratshausen

In den Bayerischen Regiobahnen quer durch den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen herrscht meist ein reges Getümmel. Neben Touristen und stummen Berufspendlern quetschen sich vor allem Schulkinder mit dicken Ranzen in die Waggons. Ältere Jugendliche rollen genervt ihre Augen und wenden sich wieder ihren Smartphones zu. Auf den Bildschirmen spiegelt sich sanft das Voralpenpanorama. Wer im Bad Tölz, Geretsried, Lenggries, Penzberg oder Wolfratshausen aufwächst, hat vielleicht nicht mehr jeden Tag Augen für die vorbeiziehende Landschaft — doch was beschäftigt Jugendliche und junge Erwachsene aus der Region stattdessen? Ein Blick in die Städte und Gemeinden zeigt ein einheitliches und facettenreiches Bild zugleich.

Klar ist, dass der Anteil der heranwachsenden Generation im Landkreis gering ist. Nach den Daten des Landesamtes für Statistik sind von insgesamt knapp 130 000 Einwohnern und Einwohnerinnen nur rund 17 700 zwischen zehn und 25 Jahre alt. Mehr als doppelt so viele hingegen zählen die über 60-jährigen — Tendenz steigend. Im Gegensatz zu Erwachsenen haben Jugendliche aber häufig nicht die Möglichkeit, sich von ihrem Wohnraum weit wegzubewegen. Sie sind auf die Beschäftigungsmöglichkeiten in ihrer Umgebung angewiesen. Fernab der Vereinskultur sind diese jedoch im Landkreis spärlich gesät.

Seit 2019 leitet Sozialpädagoge Max Aichbichler das Jugendhaus La Vida in Wolfratshausen (Foto: Harry Wolfsbauer)

„In Wolfratshausen ist leider wenig Platz für Neues und das Angebot für die Jugend gering. Deswegen ist es umso wichtiger, dass es uns gibt, die wenig verlangen können“, erzählt Max Aichbichler. Der Sozialpädagoge ist seit 2019 Leiter vom Jugendhaus La Vida, einer städtischen Freizeiteinrichtung für Kinder im Alter von zehn bis 21 Jahren. Auf mehreren Ebenen können sie dort Gitarre oder Billard spielen, Bubble-Tea für 1,50 Euro trinken oder einfach nur auf dem Sofa herumliegen. Nach Aichbichler werden im La Vida die Begriffe Abgrenzung und Begegnung zusammengedacht. „Jugendliche können hier miteinander so sein, wie sie sind. Ohne Erwachsene.“ Um die Tür uneingeschränkt offen zu halten, sei das Angebot kostenlos und richte sich an alle, die kommen wollen. Vergleichbare Institutionen finden sich in Bad Tölz, Geretsried, Lenggries und Penzberg — sie alle stellen einen niedrigschwelligen, sozialen Treffpunkt für Jugendliche aus der Umgebung dar.

Der Jugendtreff Lenggries ist im Pfarrzentrum in den Räumen der ehemaligen Schloßbrauerei Hohenburg zu finden. (Foto: Manfred Neubauer)

In Gesprächen mit den jeweiligen Verantwortlichen ploppen immer wieder dieselben Thematiken und Probleme auf. „Die Folgen der Pandemie merken wir deutlich in unterschiedlichen Facetten. Manche brauchen einen Anschub, andere hingegen ein Einbremsen“, berichtet Stefan Müller-Laugk, Leiter des Jugendtreffs Lenggries. Neben Konzentrationsschwächen bereite es auch einigen Schwierigkeiten, ihre Emotionen in Sprache auszudrücken. „Es ist zum Dauerthema geworden, dass mit dem Recht des Stärkeren keine Konflikte gelöst werden können. Vor Corona war das anders“, sagt Franz Späth von der Tölzer Jugendförderung. Zudem sei der Stellenwert von sozialen Medien enorm. „Viele kommen zwar mit ihren Freunden, sitzen dann aber nur nebeneinander vorm Smartphone“, erzählt Sozialpädagogin Heidi Kollmannsberger vom Jugendzentrum Penzberg.

Im Tölzer Jugendcafé kümmern sich (v.l.) Matthias Moser, Veronika Kolb, Naime Ayvaz Cincil und Bernd Gassl um die jungen Besucher. (Foto: Manfred Neubauer)

Eingebettet in Pandemie und Digitalisierung sind es indes immer noch klassische Themen, die die Jugendlichen am meisten beschäftigen. „Unangefochtener Spitzenreiter sind Beziehungs- und Cliquendynamiken“, berichtet Max Aichbichler. „Wir sind auch froh, dass es diese typischen Probleme gibt“, so der Leiter aus Wolfratshausen. Gerade während der Pubertät lerne man, soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Hinzu gesellten sich Fragen nach der eigenen Identität und Zukunft. „Wohin will ich, wer will ich sein? Da gibt es weder pauschale Antworten noch einen einheitlichen Weg, diese zu finden“, so Aichbichler. Mit den Gedanken sind die Jugendlichen im Landkreis nicht allein. Laut einer 2023 veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung treiben junge Erwachsene im Alter von zwölf bis 18 Jahren vor allem private Angelegenheiten um. Der Wunsch nach persönlicher Entfaltung, schulischer Leistungsdruck oder die Angst vor dem Verlust enger Familienangehöriger führen die Umfrageergebnisse zu den Einstellungen und Sorgen der jungen Generation Deutschlands an.

Anspruchsvolle Freizeitgestaltung: Jekabs Gustovskis stellt mit einem Buch von Jeremy Silman berühmte Schachpartien nach. (Foto: Manfred Neubauer)

Zurück im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Dort tönt zusätzlich der Frust über mangelnde Ausgehmöglichkeiten durch. „Es ist wirklich schwierig für Heranwachsende“, erzählt Felix Leipold, Jugendreferent in Geretsried. „Zwar gibt es immer mal wieder Kneipen oder Cafés für junge Erwachsene, aber leider halten die sich nie lange.“ Der Stadt seien in dieser Hinsicht die Hände gebunden, denn Betrieben sei es selbst überlassen, für welches Zielpublikum sie ihre Tore öffnen. „Die Miete ist nicht gerade günstig, und Jugendliche besitzen kein großes Budget. Da würde ich mir als Gastronom natürlich überlegen, ob ich dieses Risiko eingehe“, sagt Leipold.

„Als Jugendliche klettert man nicht täglich auf das Brauneck“

In anderen Städten und Gemeinden des Landkreises sieht es ähnlich aus. „Alle, die ein Auto haben, fahren nach München“, erzählt die 17-jährige Ronja im Tölzer Jugendcafé. Positiv hervorgehoben wird indes die schöne Natur. In Bad Tölz gilt im Sommer die Isar als Treffpunkt mit hoher Aufenthaltsqualität, ebenso die Isarauen in Geretsried. Auch in Lenggries lässt sich viel Zeit in der Natur vertreiben, doch nicht uneingeschränkt. „Es macht Spaß, im Wald zu spielen, aber im Dunkeln oder im Winter geht das nicht“, erzählt die zwölfjährige Nele im Jugendtreff Lenggries. „Man kann natürlich viel machen, aber als Jugendliche klettert man nicht täglich auf das Brauneck“, pflichtet ihr Sozialpädagogin Verena Thomas bei.

Partynächte veranstalten Loic Kölbl (l.) und Philipp Goodluck (r.) vom Techno-Kollektiv "Kolor" im Merkurdrome, das von Stefan Eckardt (sitzend) betrieben wird. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Wo nicht viel ist, kann Neues entstehen. „Unser Ziel war es, hier etwas anzubieten, was es in Großstädten auch gibt“, erzählen Loic Kölbl und Phillipp Goodluck aus Wolfratshausen. Die beiden 28-Jährigen sind Teil des Techno-Kollektivs „Kolor“, eines losen Netzwerks junger Kreativer aus der Umgebung. Seit 2019 veranstalten sie Partynächte an wechselnden Orten, nach längerer Station im Turm-Gebäude sind sie nun regelmäßig im Merkurdrome anzutreffen. „Ich habe von meinen Kindern mitbekommen, dass für sie kulturell hier nicht viel geboten wird“, erzählt Betreiber Stefan Eckardt, „umso mehr habe ich mich über die Kooperation mit den Jungs von Kolor gefreut.“

„Von Freunden für Freunde – das war unser Grundgedanke damals“

Kölbl und Goodluck geht es um mehr als die Musik. „Wir verfolgen einen künstlerischen Anspruch, der sich auch im Licht oder der Bühne widerspiegelt“, erklären sie. Seit geraumer Zeit unterstützen sie das gemeinnützige Brimbamborium-Festival. „Von Freunden für Freunde — das war unser Grundgedanke damals“, schildert Mitgründer Sebastian Tschamler die Anfänge. Aus Münsing, Geretsried und Eurasburg schlossen sich 2003 Freiwillige zusammen, um unter freien Himmel laut dem eigenen Musikgeschmack zu frönen. Das Konzept bewährte sich so sehr, dass es ein sommerlicher Fixpunkt in der Region geworden ist.

Vergleichbare Entwicklungen sind in Lenggries zu beobachten. Das elektronische „Season of Sounds“-Festival geht dieses Jahr in die dritte Runde. „Wir wollten dem Partysterben auf dem Land etwas entgegensetzen“, erklärt Veranstalter Florian Müller. „In unserer Sparte kann man hier schwer einen Club hochziehen, doch wir philosophieren schon, wie wir unser Angebot erweitern können. Das ist aber noch Zukunftsmusik.“

Bis es so weit ist, steuern junge, ausgehfreudige Erwachsene im Landkreis mit der Bayerischen Regiobahn in erster Linie Richtung München an. Etablieren sich jedoch die neuen Projekte längerfristig, müssen sie gar nicht erst losfahren.

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