Jugendkriminalität im FünfseenlandKinderpornografie-Delikte nehmen zu

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Ladendiebstahl ist im Landkreis Starnberg seit Jahren das häufigste Delikt im Bereich der Jugendkriminalität. Kommt es zur Anzeige, landen die minderjährigen oder heranwachsenden Täterinnen und Täter vor dem Jugendrichter und werden im Anschluss vom Verein „Brücke“ betreut.
Ladendiebstahl ist im Landkreis Starnberg seit Jahren das häufigste Delikt im Bereich der Jugendkriminalität. Kommt es zur Anzeige, landen die minderjährigen oder heranwachsenden Täterinnen und Täter vor dem Jugendrichter und werden im Anschluss vom Verein „Brücke“ betreut. (Foto: Imago)

Vermeintliche Mutproben, Gedankenlosigkeit, Unwissenheit: Junge Menschen verstoßen oft unabsichtlich gegen Gesetze. Der Starnberger Verein „Brücke“ kümmert sich um straffällig gewordene Jugendliche.

Von Peter Haacke, Starnberg

Die Zeit des Heranwachsens ist für manch Jugendlichen eine schwierige Zeit. Erstaunlich ist immer wieder, auf welche originellen, aber auch unsinnige und gefährliche Ideen junge Menschen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren kommen. Doch spätestens dann, wenn es zur Strafanzeige kommt, hat der Spaß ein Ende. Dominierten in den vergangenen Jahren Diebstahl, Körperverletzung und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz regelmäßig die Verhandlungshitparade am Starnberger Jugendgericht, verdoppelten sich die Fallzahlen in einem Bereich signifikant: Besitz oder Verbreitung kinderpornografischer Inhalte. Der Verein „Brücke Starnberg“, der sich seit 45 Jahren um straffällig gewordene junge Menschen kümmert, präsentierte jüngst seinen Jahresbericht für 2024.

„Der tolle Landkreis Starnberg hat auch seine Schattenseiten“, sagte Vereinsvorsitzender Gerd Weger angesichts der neuesten Zahlen. Insgesamt 196 Personen – 135 Erst- und 61 Wiederholungstäter – betreute das Brücke-Team im Vorjahr, 25 weniger als im Jahr 2023. Auf den ersten Blick ein vermeintlich erfreuliches Ergebnis, doch die Zahlen täuschen: „Durch die politisch gewollte Liberalisierung des Betäubungsmittelgesetzes dahin gehend, dass Besitz und Gebrauch von Cannabis in einem gewissen Rahmen nicht mehr strafbar ist“, heißt es im Bericht, „hatte für unseren Tätigkeitsbereich zur Folge, dass der Deliktanteil von 16 auf knapp sieben Prozent zurückgegangen ist“.

Unabhängig davon stellt der Verein in seinem Jahresbericht insbesondere fest, dass im Bereich der „Sozialen Medien“ den Fantasien, der Gedankenlosigkeit und Unwissenheit junger Menschen offenbar keine Grenzen gesetzt sind. So haben sich etwa Delikte im Bereich Kinder- und Jugendpornografie binnen eines Jahres verdoppelt. Manche verbreiten die anstößigen Inhalte bewusst, andere tappen unbedarft in eine Falle.

Wenn etwa ein 14-Jähriger einen Anhang mit pornografischem Inhalt an einen 13-Jährigen weiterleitet, macht er sich strafbar. Ohnehin sind die einschlägigen digitalen Plattformen und Netzwerke oft genug Ideengeber für vermeintliche Mutproben, die zum unreflektierten Nachahmen animieren. Sehr beliebt bei der Jugend sind praktische Anleitungen etwa zum Ladendiebstahl.

Über das Smartphone ist der Zugriff auf Pornoseiten auch für Jugendliche leicht möglich. Wer anstößige Dateien an Minderjährige weitergibt, macht sich strafbar. Und kinderpornografische Inhalte sind generell verboten. 
Über das Smartphone ist der Zugriff auf Pornoseiten auch für Jugendliche leicht möglich. Wer anstößige Dateien an Minderjährige weitergibt, macht sich strafbar. Und kinderpornografische Inhalte sind generell verboten.  (Foto: Silas Stein/dpa)

Die Liste der Delikte ist besorgniserregend lang, insgesamt nennt der Bericht mehr als 40 verschiedene Straftaten. Neben den Spitzenreitern finden sich Beleidigung, Hausfriedensbruch, Bedrohung und Nötigung, aber auch Verstöße gegen das Waffengesetz, Urkundenfälschung, Volksverhetzung, Herstellung von Jugendpornografie oder schwerer Raub.

Der Katalog sei „ein Spiegelbild der Gesellschaft“, findet Weger, und relativiert zugleich: Die Zahlen zur Jugendkriminalität im Landkreis Starnberg seien im bundesdeutschen Vergleich nicht außergewöhnlich, überwiegend seien es eher kleine Delikte. Zudem würden Verstöße immer schneller und häufiger durch die Polizei angezeigt.

Gerd Weger ist seit Jahrzehnten Vorsitzender des Vereins „Brücke Starnberg“, der mit seinen Angeboten Jugendliche und Heranwachsende dabei unterstützt, keine weiteren Straftaten zu begehen.
Gerd Weger ist seit Jahrzehnten Vorsitzender des Vereins „Brücke Starnberg“, der mit seinen Angeboten Jugendliche und Heranwachsende dabei unterstützt, keine weiteren Straftaten zu begehen. (Foto: Nila Thiel)

Neben den sozialen Plattformen und ungehemmtem Medienkonsum gelten Vereinsamung und falsche Freunde als Ursachen von Jugendkriminalität. „Viele Jugendliche finden zu Hause oft kein Gehör“, sagt Weger, „sie können ihre Themen und Probleme nicht aufarbeiten.“ Kommen Alkohol- und Drogensucht hinzu, ist dies zuweilen der unheilvolle Einstieg in eine verhängnisvolle Abwärtsspirale.

Problematisch sehen die Brücke-Mitarbeiter die angedachte Verschärfung des Jugendstrafrechts. So könnten 18- bis 21-Jährige künftig nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden, unabhängig von ihrem Entwicklungsstand. „Manche Volljährige sind einfach Spätzünder“, stellt Brücke-Mitarbeiter Richard Wutte fest. Damit einhergehen könnte eine Absenkung des Jugendstrafrechts auf zwölf Jahre. „Sollen straffällige zwölfjährige Kinder, womöglich mit Kuscheltier, etwa ins Gefängnis?“, fragt sich Sozialpädagogin Nina Ritter. „Eine merkwürdige Vorstellung.“

83 Prozent der straffällig Gewordenen sind junge Männer

Bei der Verteilung der Delikte nach Geschlecht dominieren statistisch die Männer: Von den 196 straffällig gewordenen Jugendlichen und Heranwachsenden im Fünfseenland waren 162 männlich (83  Prozent), nur 34 weiblich (17 Prozent). Die meisten Delikte bei den Mädchen betrafen – wie schon in den Vorjahren – Ladendiebstähle (56 Prozent) und die Verletzung der Schulpflicht (15 Prozent). Die fünf häufigsten Delikte der männlichen Probanden waren Diebstahl (16 Prozent), Körperverletzung (acht Prozent) sowie Sachbeschädigung, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und Beleidigung (je sechs Prozent).

Körperverletzung, fahrlässige Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, räuberische Körperverletzung: Gewalt ist vornehmlich ein männliches Thema.
Körperverletzung, fahrlässige Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, räuberische Körperverletzung: Gewalt ist vornehmlich ein männliches Thema. (Foto: IMAGO/IMAGO/serienlicht)

Das Durchschnittsalter der straffälligen Jugendlichen lag bei 17,6 Jahren, zahlenmäßig am stärksten vertreten sind die 15- bis 17-Jährigen. Bezogen auf die Schul- und Ausbildungssituation dominierten Mittelschüler (24 Prozent) vor Auszubildenden (15 Prozent) und Gymnasiasten (13 Prozent). Gesunken im Vergleich zum Vorjahr ist der Anteil deutscher Klienten (106 Jugendliche), deutlich gestiegen bei Angehörigen der übrigen erfassten 22 Nationen (90 Personen). Die meisten von ihnen sind Staatsangehörige aus Afghanistan (26), Syrien (10), der Ukraine (9) und Kroatien (8). Knapp die Hälfte aller zugewiesenen Jugendlichen kamen aus den einwohnerstärksten Kommunen Starnberg, Gauting und Gilching.

Zumeist seien sich straffällig gewordene Jugendliche gar nicht über ihr Verhalten bewusst, sagt Wutte. Und sie überlegten auch nicht, was sie potenziell Geschädigten psychisch antun, wenn sie alten Damen die Handtasche entreißen, Wehrlose zusammenschlagen, diskriminierende Fotos ins Internet stellen oder sexuelle Gewalt ausüben.

Hoffnung setzen die Brücke-Mitarbeiter auf das Projekt „Teen Court“, bei dem speziell ausgebildete Jugendliche in Kooperation mit Amtsgerichten und Staatsanwälten über straffällige Jugendliche richten – allerdings nur bei weniger schwerwiegenden Delikten. In gut 20 bayerischen Landkreisen gibt es das bereits, in Starnberg wartet man noch darauf. „Wir sind bereit“, sagt Nina Ritter.

Ein Projekt für Medienkompetenz soll helfen

Neben der Überwachung von Arbeitsweisungen – hier geht es um Sozialstunden etwa im Seebad, Tierheim, in Kinderhäusern oder Senioreneinrichtungen – setzt man vorwiegend auf psychosoziale Gespräche. Neu ist ein Baustein, der insbesondere Medienkompetenz vermitteln soll – ein an vielen Schulen sträflich vernachlässigter Aspekt: Ab Oktober ist bei der Brücke ein Training geplant, an dem maximal neun Jugendliche teilnehmen können.

Mit zunehmender Ausbreitung von sozialen Medien fehlt es vielen Jugendlichen an der nötigen Kompetenz, Straftaten sind auf dem Vormarsch. Privates Bildmaterial, teilweise auch verbotene Inhalte, werden verschickt, gespeichert und geteilt, ohne an strafrechtliche Konsequenzen zu denken.

Ritter und Wutte wissen aus ihrer täglichen Praxis, dass der Umgang mit Jugendlichen nicht immer leicht ist. Oft genug aber betrachten sie ihre Arbeit vor allem als „begleitetes Denken“. Allzu dramatisch seien die Fallzahlen in Starnberg nicht, man befinde sich „weit unten im bundesdeutschen Vergleich“, betont Weger. Konkret gehe es um knapp 200 betreute Personen von insgesamt 14 000 Jugendlichen im Landkreis. Bei der individuellen Begleitung müsse man stets auch den jeweiligen Hintergrund durchleuchten. Und manch einer der jungen Straftäter würde am Ende des durchlaufenen Prozesses sogar sagen: „Gott sei Dank, dass ich erwischt worden bin.“

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