Sportjugendherberge in Bad Tölz:Abschied vom Ausnahmezustand

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Nach der Corona-Zeit ist die Sportjugendherberge in Bad Tölz inzwischen voll ausgelastet. (Foto: Manfred Neubauer)

Erst Corona, dann Ukraine-Flüchtlinge: Leiter Holger Strobel und sein Team haben drei nervenaufreibende Jahre hinter sich. Mit der Rückkehr zur Normalität schnellen die Übernachtungszahlen wieder in die Höhe. Vor allem Schulklassen haben Nachholbedarf. Allerdings fehlt Personal.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Im großen Empfangsraum der Tölzer Sportjugendherberge geht es plötzlich laut zu. In einer regelrechten Prozession schieben die Mädchen und Buben einer Schulklasse ihre Koffer und Trolleys an der Rezeption vorbei, alle haben gerade etwas Wichtiges zu erzählen und lärmen durcheinander. Könnte man dieses Bild stoppen und drei Jahre zurückspulen, sähe alles ganz anders aus: Der Raum mit den Stühlen und Tischen, den Sitzbänken an der Wand, der Rezeption wäre menschenleer, alles still hier. Im Frühjahr 2020, als die Corona-Pandemie ausbrach, sei "alles sehr unsicher" gewesen, resümiert Holger Strobel, Leiter der Tölzer Sportjugendherberge. In diesem Winter musste er sich um die Auslastung seines Hauses keine Sorgen mehr machen: Die 186 Betten hätte er leicht zweimal belegen können. "Das Doppelte wäre möglich gewesen", sagt Strobel. "Es gibt einen starken Nachholbedarf bei den Schulklassen."

Hinter dem Herbergsvater liegen anstrengende Jahre. Wegen Corona musste die Jugendherberge im März 2020 von heute auf morgen komplett schließen, wie andere touristische Übernachtungsbetriebe auch. Klassenfahrten oder auch Tagungen, die das Haus anbietet, waren gebucht, Strobel musste sich auf einmal mit Absagen und Stornogebühren herumschlagen, die Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt, niemand wusste, wie es weiter geht. Und ob überhaupt.

Hinter Leiter Holger Strobl und seinem Team von der Tölzer Sportjugendherberge liegen drei herausfordernde Jahre. (Foto: Manfred Neubauer)

"Ich hatte etwas Angst, weil wir als gemeinnütziger Verein ja keinen Gewinn erwirtschaften dürfen und deshalb auch keine Rücklagen haben", gesteht Strobel. Der Staat spannte seinerzeit Rettungsschirme über Unternehmen und Träger der Wohlfahrtspflege; was aber mit dem Jugendherbergswerk mit seinen gemeinnützigem Wirtschaftsbetrieben geschehen sollte, blieb lange unklar. Ein halbes Jahr habe es gedauert, bis entschieden war, dass nicht das Wirtschaftsministerium, sondern Sozialministerium für die Jugendherbergen als außerschulische Bildungseinrichtungen zuständig sei, erzählt Strobel. Dass es weiterging, ist für den Herbergsleiter vor allem auch der politischen Arbeit der Führungskräfte im Landes- und Bundesverband des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH) zu verdanken.

Die Übernachtungszahlen brachen 2020 und 2021 wegen Corona ein

Dem ersten Shutdown folgte ein stetes Auf und Ab. Im Sommer 2020 durfte unter Auflagen wieder geöffnet werden, die Zahl der Übernachtungen machte mit etwa 11 000 jedoch nur ein Drittel der Vor-Corona-Werte aus. Im Winter, erinnert sich Strobel, "ging es zum Teil wieder auf null runter", im Sommer 2021 auf 13 000 hoch, gefolgt von einem weiteren Winter mit geringer Auslastung. "Bis zu den Osterferien 2022 gab es, je nach Bundesland, zum Teil ein Verbot von Klassenfahrten", erklärt Strobel.

Für das Tölzer Landratsamt war die weitgehende Leere in der benachbarten Jugendherberge auf der Flinthöhe nachgerade ein Glück: Am 24. Februar brach der Ukraine-Krieg aus. Und das Herbergsteam erklärte sich bereit, Geflüchtete aufzunehmen. Strobel erinnert sich noch daran, wie die erste Familie aus dem Kriegsgebiet vor ihm stand. "Sie kam mit einem Meerschweinchen und einem Hund, mit der Oma und Kindern", sagt er. "Das war sehr emotional." Drei, vier Tage später waren schon 60 Flüchtlinge aus der Ukraine in der Sportjugendherberge.

Vor einem Jahr war die Jugendherberge in Bad Tölz zwischenzeitlich eine Unterkunft für Flüchtlinge der Ukraine. (Foto: Manfred Neubauer)

Mit großer Hilfsbereitschaft, mit Einsatzwillen und Empathie sorgte das Team um Herbergsvater Strobel vor einem Jahr dafür, dass selbst jene Ukrainerinnen und Ukrainer, die mitten in der Nacht vor der Tür standen, ein Dach über dem Kopf bekamen. Sie hätten sonst keine andere Möglichkeit gehabt. "Das war eine spannende Zeit", sagt Strobel. "Die Turnhallen waren ja voll." Aber alle hätten damals an einem Strang gezogen. Bis auf eine Mitarbeiterin. "Leider hat sie sich verändert, weil wir Flüchtlinge aufgenommen haben."

Für den Chef der Jugendherberge waren es Wochen voller Nervosität. Denn nach Ostern hatte er schon Buchungen, weshalb er die Geflüchteten nicht länger als bis zu den Feiertagen unterbringen konnte. Die letzten von ihnen verließen das Haus auf der Flinthöhe nur zwei Nächte vor der Ankunft der Teilnehmer für die erste Tagung. Und der Veranstalter habe ihm sehr deutlich gemacht, "dass diese Tagung schon sehr lange geplant ist, sie müsse stattfinden muss, alle Referenten seien eingeladen". Nervosität ist für Strobel jedoch nicht das richtige Substantiv, um seine Gemütsverfassung damals zu beschrieben. Das sei schon "eher Panik" gewesen, sagt er.

In de eMotion-Base neben der Sportjugendherberge finden neben Bewegungstraining auch Tagungen statt. (Foto: Manfred Neubauer)

Nun aber läuft alles wieder wie vor Corona. Sogar noch besser. 16 Schulklassen verzeichnet Strobel in diesem Winter, vor einem Jahr waren es nur fünf. Und dies, obwohl nicht sonderlich viel Schnee am Brauneck oder auf dem Blomberg lag. Außer dem Ende der pandemiebedingten Beschränkungen sieht der Herbergsvater noch andere Gründe für den Boom. Mit Blick auf manche Hotels in Tirol berichtet er, dass "viele Mitbewerber in der Corona-Zeit aufgeben mussten". Hinzu komme, dass Schulklassen aus München und dem Münchner Umland "aus Gründen der Nachhaltigkeit" zunehmend die Jugendherberge in Tölz wählen: Sie fahren mit der BRB-Regiobahn und gehen zu Fuß vom Bahnhof zur nahen Flinthöhe. Früher seien Schulklassen aus der Landeshauptstadt oft zum Skifahren mit Bussen nach Saalbach-Hinterglemm gekurvt. Außerdem gehöre die Tölzer Jugendherberge zu einem erfolgreichen Netzwerk, mit den Betreibern am Brauneck und dem Blomberg, mit der Tourist-Info, mit Nahverkehrsunternehmen, mit Reiseveranstaltern.

Das Tölzer Haus ist eine von zwei Sportjugendherbergen in Bayern. Andere sind thematisch der Kultur, der Musik oder der Familie zugeordnet. Kinder von der fünften Klassen an können im Sommer unter anderem das "Waldhandwerk" mit Lagerfeuer und Survival-Elementen lernen, einen Bauernhof in Gaißach besuchen oder sportkinesiologische Angebote wahrnehmen, für ältere Kinder und Jugendliche gibt es etwa Ausflüge in den Kletterwald am Blomberg, ins Karwendel-Gebirge oder nach München. Die Isolationsphasen der Corona-Lockdowns haben Strobel zufolge gezeigt, wie wichtig die Gemeinschaft für das psychosoziale Verhalten von Kindern ist. "Jeder, der ein Kind hat, sei es in der fünften, sechsten oder siebten Klasse, kann das nachvollziehen", sagt er.

Der Aufenthalt in der Sportjugendherberge wird nächstes Jahr teurer

Allerdings wird der Aufenthalt in der Sportjugendherberge nächstes Jahr teurer. Die Gründe dafür sind Strobel zufolge die hohen Energiekosten und gestiegene Personalausgaben. Eine fünftägige Klassenfahrt für ein Kind kostet derzeit rund 300 Euro, fortan dürften es 20 Prozent mehr sein. Das 13 Jahre alte Gebäude auf der Flinthöhe sei soweit "in Schuss", sagt der Leiter. Allerdings sind immer mal ein paar Renovierungsarbeiten vonnöten. Im Moment müssen alle Terminals an den Türen, die mit einer Chipkarte, nicht mit einem Schlüssel zu öffnen sind, ausgetauscht werden. Kosten pro Terminal: etwa 400 Euro.

Die Zeit der großen Herausforderungen ist in der Sportjugendherberge erst einmal vorbei. Doch nicht alle Mitarbeitenden haben mit den Unsicherheiten und den raschen Veränderungen seit 2020 umgehen können. Von bis zu 20 Beschäftigten vor drei Jahren sind nur noch zwölf übrig. Deshalb wurden schon qualitative Abstriche am Angebot gemacht, zum Beispiel die abendlichen Öffnungszeiten von 22 auf 20 Uhr reduziert. Strobel sucht derzeit Interessierte, "die Lust haben auf so einen Job und die flexibel sind". Und die es gerne hören, wenn eine Schulklasse hereinschneit und der Empfangsraum plötzlich voller Kinderstimmen ist.

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