Süddeutsche Zeitung

Jubiläumsfeier in Irschenhausen:"Das steckt in den Mauern"

Lesezeit: 3 min

Seit 100 Jahren gehen im Hollerhaus Künstler ein und aus. Unzählige Geschichten haben sich auf dem urigen Anwesen abgespielt. Lia Schneider-Stöckl kennt einige von ihnen

Interview von Stephanie Schwaderer

Es war wohl Liebe auf den ersten Blick: 1910 entdeckten die Berliner Malerin Clara Porges und ihr Mann, der Musiker Friedrich Porges, ein uraltes Bauernhäuschen in Irschenhausen. Sie kauften es, nannten es Hollerhaus und ließen eine Galerie anbauen, die 1917 eröffnet wurden. Seither haben Maler, Musiker und Literaten, Individualisten und ganze Filmcrews das Hollerhaus mit Leben erfüllt. Am Samstag öffnet die jetzige Hausherrin Lia Schneider-Stöckl die Türen zu einem großen Geburtstagsfest.

SZ: Wenn Sie alle Menschen einladen könnten, die das Hollerhaus geprägt haben: Wer säße dann am Samstag mit Ihnen am Tisch?

Lia Schneider-Stöckl: Das müsste ein großer Tisch sein! Natürlich säßen Clara Porges und ihr Mann in der Runde. Und neben ihnen Waldemar Bonsels, der Schöpfer der "Biene Maja". An ihn hatten die Porges das Haus vermietet, als sie in den Zwanzigerjahren in die Schweiz zogen. Über Bonsels Frauengeschichten und die Schleiertänze, die halb nackte Mädchen im Garten aufgeführt haben, spricht man in Irschenhausen noch heute. Dann müsste Felix Buttersack, der Gründer des Münchner Merkur, mit an den Tisch. Er hatte das Haus für seine Schwester, die Baronin Marianne von Beaulieu, gekauft, die in Berlin an den Männern verzweifelt war und sich eigentlich in eine Münchner Dachkammer hatte verkriechen wollen. Aber dann zog sie nach Irschenhausen und verwandelte das Hollerhaus in eine illustre Pension.

Wer hat sich dort einquartiert?

Wo soll ich anfangen? Die Namen füllen drei Bücher! Wunderschöne Gästebücher mit Gedichten und vielen Illustrationen. In ihnen spiegelt sich das Zeitgeschehen von den Dreißiger- bis in die Sechzigerjahre. Sommerfrischler und Verfolgte waren hier, amerikanische Soldaten - die haben alles tipptopp hinterlassen - und natürlich jede Menge Künstler. Manche mieteten sich für zwei Wochen ein und blieben dann sechs Jahre. Der Romancier Wilhelm Hegeler, zum Beispiel, hat hier "Das Gewitter" geschrieben.

Am Tisch könnte es tatsächlich eng werden.

Na gut, den Hegeler lassen wir weg. Aber die Baronin und ihre Tochter, Ingrid Lepsius, die müssen mit dabei sein. Ingrid Lepsius hat 1960 die Pension übernommen und damit begonnen, Ausstellungen und Kulturabende zu organisieren. Witzige Leute hat sie beherbergt, manche von ihnen kenne ich gut. Werner Enke und Hans-Jürgen Tögel, zum Beispiel, die waren beide damals junge Schauspieler und haben jeden Tag Party gemacht. In einem alten Auto sind sie zwischen Irschenhausen und Schwabing hin- und hergebrettert, in die Löcher der Karosserie haben sie Bierflaschen gesteckt. Enke hat damals das Drehbuch für die Komödie "Zur Sache Schätzchen" geschrieben und neben Uschi Glas die Hauptrolle gespielt. Gedreht wurde dann auch im Hollerhaus.

Bundesweit bekannt wurde das Hollerhaus dann aber erst als "Pension Resi" im "Bullen von Tölz".

Ja, das stimmt. Ach, die Bullen-Crew! Wenn die Ruth Drexel noch einmal aufstehen könnte, die würde ich gerne an meinem Tisch haben. Und den Otti Fischer natürlich. Aber was mache ich mit all den Künstlern, die das Hollerhaus zu dem gemacht haben, was es ist: Alinde und Anatol Regnier, Wolf Euba, Elisabeth Tworek, Klio Karadim, Birdman, Johanna Bittenbinder, Quadro Nuevo, Mulo Francel und natürlich die Irschenhauser Blasmusik . . .

Die sprengt nun wirklich den Rahmen. Was ist es, was all diese Künstler seit jeher ins Hollerhaus zieht?

Die ganz besondere Atmosphäre.

Nüchtern betrachtet handelt es sich um ein verwinkeltes Häuschen mit einer kleinen Galerie.

Ich bitte Sie! Das Haus atmet Geschichte. Vermutlich wurde es zwischen 1313 und 1457 gebaut. Das steckt in den Mauern.

Was ist Ihre erste Erinnerung an diesen Ort?

Schon als Kind und Jugendliche bin ich oft vorbeigekommen und immer freundlich empfangen worden - mit Apfelsaft und Keksen. Ingrid Lepsius hatte ein offenes Haus. Ihre Faschingsfeste waren legendär.

Sie ist 2004 gestorben. Was hat Sie dazu bewogen, in ihre Fußstapfen zu treten?

Ende der Neunzigerjahre sollte das Anwesen verkauft werden. Das wäre dann wohl das Ende des Hollerhauses als Künstlerhaus gewesen. Mein Mann und ich waren uns damals schnell einig, dass das nicht passieren durfte. Also haben wir gesagt: Probieren wir's. Ich habe Ingrid Lepsius dann viel geholfen. Sie hat hier noch ihren 90. Geburtstag gefeiert.

Wie sähe Ihr Leben ohne Hollerhaus aus?

Auf jeden Fall anders. Es ist ein Glück und eine Bereicherung, hier sein zu dürfen. Die Begegnung mit so vielen tollen Leuten, die Möglichkeit, Kunst zu zeigen und damit anderen eine Freude zu machen - das ist ein ganz großes Geschenk.

"100 Jahre Hollerhaus - Künstlerhaus", Neufahrner Weg 3, Icking, Samstag, 15. Juli, 17 Uhr, Jubiläumsfeier mit Bildern von Clara Porges und Adolf Erbslöh, einer kleinen Ausstellung zur Filmgeschichte und Musik der Münchner Band "Vertigo"; Anmeldung unter Telefon 08178/4408 oder hollerhaus-irschenhausen@t-online.de

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Quelle:
SZ vom 13.07.2017
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