Süddeutsche Zeitung

60 Jahre Knabenchor:Tölzer Markenzeichen

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Eine Ausstellung im Stadtmuseum dokumentiert die Geschichte der Gemeinschaft, die Gerhard Schmidt-Gaden noch als Gymnasiast gegründet hat. Roberto Blanco war von den Sängern so begeistert, dass er sie zu sich einlud.

Von Reinhard Szyszka, Bad Tölz

"Wem Gott will rechte Gunst erweisen" schmetterte es über die Marktstraße. Etliche Passanten blieben verwundert stehen und schauten zum Stadtmuseum, wo sich ein kleiner Chor aus 24 Jungen in der unverkennbaren Tracht der Tölzer Sängerknaben aufgestellt hatte und aus Leibeskräften sang. Einer der jungen Sänger ließ sich sogar von seinem Gipsbein, unliebsames Andenken an den letzten Skiurlaub, nicht in seinem Sangeseifer bremsen. Clemens Haudum, einer der beiden aktuellen Chorleiter, dirigierte die Sängerschar vom Akkordeon aus. Das kleine Freiluftkonzert hatte einen besonderen Anlass, können doch die Tölzer Sängerknaben heuer auf 60 Jahre Chorgeschichte zurückblicken. Das Stadtmuseum ehrt den Chor zu seinem Jubiläum mit einer Sonderausstellung: Am Donnerstag - pünktlich zum diesjährigen Knabenchorfestival - war Vernissage.

"Einen besseren Werbeträger für Bad Tölz gibt es nicht." Zweiter Bürgermeister Andreas Wiedemann brachte es in seiner Eröffnungsansprache auf den Punkt. Jahrzehnte, bevor der "Bulle von Tölz" über die Mattscheiben flimmerte, war es vor allem der Tölzer Knabenchor, der den Namen der Kurstadt im In- und Ausland bekannt gemacht hat. Auch wenn der Chor seinen Sitz schon lange nicht mehr in Bad Tölz, sondern in München hat, so hat er doch seinen Namen beibehalten - und regelmäßige Auftritte der Tölzer Knaben in "ihrer" Stadt halten die Verbindung aufrecht. Insbesondere das Knabenchorfestival, das in diesem Jahr bereits zum dritten Mal stattfindet, ist ein Highlight im Tölzer Kulturkalender.

Gerhard Schmidt-Gaden, der vor 60 Jahren, noch als Gymnasiast, den Tölzer Knabenchor gegründet hat und ihn mit seiner Persönlichkeit bis heute prägt, ließ es sich nicht nehmen, persönlich zur Eröffnung der Ausstellung zu erscheinen. "Unser Ziel war es, alle 60 Jahre zu dokumentieren", erläuterte Helga Schmidt-Gaden, die Frau des Chorgründers. Das war natürlich kaum möglich; insbesondere bei den ältesten Fotografien und Schriftstücken lässt sich nicht immer das genaue Jahr der Entstehung rekonstruieren. Und so ist die Ausstellung nach Jahrzehnten der Chorgeschichte gegliedert. Eine Besonderheit des Tölzer Knabenchors ist es ja, dass die künstlerische Qualität und damit auch der Erfolg von Anfang an da waren. Schon im ersten Jahr war der Chorklang so einzigartig, dass der Bayerische Rundfunk sein Interesse anmeldete und Aufnahmen von den jungen Sängern machte. Was sich im Lauf der Jahre enorm erweitert hat, ist die musikalische Bandbreite.

In 60 Jahren hat sich eine Unmenge an Dokumenten aller Art angesammelt: Plakate, Programmhefte, Schallplattenhüllen, Künstlerfotos mit und ohne Widmung, Briefe, Zeitungsausschnitte. In mehreren Vitrinen sind die Ehrenurkunden und Orden ausgestellt, mit denen Gerhard Schmidt-Gaden im Laufe der Jahrzehnte ausgezeichnet worden ist. Der Bayrische Verdienstorden ist darunter, der Kulturpreis des Bezirks Oberbayern, der Kulturehrenbrief des Landkreises und viele, viele andere. "Die Hälfte davon weiß ich schon gar nicht mehr", erklärt der Chorgründer.

Die Ausstellung setzt einen besonderen Schwerpunkt bei den berühmten Persönlichkeiten, mit denen der Chor in den sechs Jahrzehnten seines Bestehens zu tun hatte. Unter den Politikern sind es in erster Linie die bayerischen Ministerpräsidenten von Alfons Goppel bis Horst Seehofer, die gerne zu festlichen Anlässen die Tölzer Knaben als Aushängeschild Bayerns hinzuholten. Aber auch Hillary Clinton, die mögliche nächste US-Präsidentin, ist auf einem Foto mit dem Knabenchor zu sehen, damals noch in ihrer Funktion als Präsidentengattin. Auch zum früheren Papst Benedikt XVI. pflegte Schmidt-Gaden ein herzliches Verhältnis, das sich in mehreren Konzertauftritten im Vatikan und anderswo niederschlug.

Unter den Künstlern, mit denen der Knabenchor zusammengearbeitet hat, sind zunächst die Dirigenten zu nennen. Herbert von Karajan fehlt ebenso wenig wie Leonard Bernstein und Georg Solti. Der kürzlich verstorbene Nikolaus Harnoncourt setzte die Tölzer bei seinem Bach-Kantaten-Projekt sogar vorzugsweise ein. Unter den berühmten Sängern dominieren eindeutig die Männerstimmen, denn die Tölzer konnten und können selbstverständlich die Sopran- und Alt-Solisten aus ihren eigenen Reihen stellen. Dietrich Fischer-Dieskau ist auf einem Bild in der Ausstellung zu erkennen, auch Hermann Prey und Rudolf Schock sind im Stadtmuseum vertreten.

Der Knabenchor und sein Leiter haben aber auch keine Berührungsängste mit der leichten Muse. Schlagersänger Peter Alexander ist wiederholt mit den Tölzer Knaben aufgetreten. Und Roberto Blanco war sogar derart begeistert von den stimmlichen Qualitäten der jungen Sänger, dass er gleich den gesamten Chor zu sich nach Hause einlud.

Ausstellung bis 30. April im Stadtmuseum, Marktstraße 48. Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr. Eintritt zwei Euro, Kinder ein Euro.

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SZ vom 02.04.2016
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