Was bringt der Job-Turbo?:„Bitte gebt den Menschen eine Chance!“

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Sie setzen sich dafür ein, dass Geflüchtete schneller und besser in Arbeit kommen: Andreas Munkert, Fabian Wilhelm und Karl Bär (von links). (Foto: Manfred Neubauer)

Im Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Karl Bär über Integration Geflüchteter appelliert Jobcenter-Leiter Fabian Wilhelm an die Arbeitgeber.

Von Felicitas Amler, Bad Tölz

Der von der Bundesregierung beschlossene Job-Turbo scheint zu funktionieren, aber es gibt offenbar noch Beschleunigungspotenziale. Das ist das Ergebnis eines Aktionstags mit Unternehmen, an dem der Grünen-Bundestagsabgeordnete Karl Bär am Mittwoch im Jobcenter Bad Tölz teilgenommen hat. Nach den internen Begegnungen gaben Bär und Jobcenter-Leiter Fabian Wilhelm dazu mit weiteren Teilnehmenden eine Pressekonferenz.

Eine der zentralen Botschaften an die Politik formulierte Andreas Munkert, Geschäftsführer der Tölzer Reha-Klinik Frisia: Es mangle an Anerkennung für Qualifikationen, die Geflüchtete mitbringen. So habe er einen ukrainischen Arzt, der zu Hause eine Klinik geleitet habe, als Minijobber beschäftigen müssen, sagte Munkert. Glücklicherweise sei es auf Umwegen gelungen, den Mann wenigstens als Pflegehilfskraft arbeiten zu lassen.

Der Kritik schlossen sich die Vertreterinnen der Zeitarbeitsvermittlung AK Personalmanagement an. Elisa Weiß sagte, Buchhalter etwa müssten in Deutschland einen anderen Abschluss haben als in den Herkunftsländern der Geflüchteten. Es sei daher oft nötig, die Leute weiterzubilden, bevor sie vermittelt werden könnten. Dies leistet der Betrieb nach den Worten seiner Geschäftsführerin Alexandra Kausek; es werde viel in Fort- und Weiterbildung investiert. Als Beispiel nannte sie die Staplerausbildung. Kausek erklärte, 80 Prozent der Mitarbeitenden von AK Personalmanagement seien europäischer Herkunft oder Geflüchtete. Sie habe darüber „viel Positives zu berichten“. Weiß unterstrich dies: „In jedem steckt ein Talent.“ Daher bitte sie Arbeitgeber, sich offen zu zeigen für Geflüchtete.

Dies tut auch Jobcenter-Geschäftsführer Wilhelm. Er zitierte das oft gehörte Vorurteil, die Geflüchteten müssten sich „mehr bemühen“, und setzte dem den dringenden Appell an Unternehmen entgegen: „Bitte gebt den Menschen eine Chance!“ Es gehe angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt auch gar nicht anders, erklärte er: „Das Inländer-Potenzial ist aufgebraucht.“

„Ich muss mich als Arbeitgeber anpassen“

Auch auf der Jobmesse im Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen engagiert sich Frisia-Geschäftsführer Andreas Munkert (am Flipchart) für die Beschäftigung Geflüchteter. (Foto: Harry Wolfsbauer/Harry Wolfsbauer)

Gerade in Medizin und Pflege ist dies ein großes Thema. Frisia-Geschäftsführer Munkert sagte, die Not sei so groß, „dass ich mich als Arbeitgeber anpassen muss oder ich sterbe“. So bezahle er Geflüchteten Deutschkurse bei der Volkshochschule, um sie in bessere Positionen zu bringen, und bilde sie selbst aus. Frisia beschäftige 50 Mitarbeitende: „Davon hat die Hälfte Migrationshintergrund.“ Munkert sagte, es gebe seit Jahrzehnten immer wieder Migrationswellen. Er empfinde dies grundsätzlich nicht als Belastung: „Ich sehe es absolut als Chance.“ Allerdings verstehe er nicht, warum angesichts des Personalmangels in Deutschland ausländische Qualifikationen nicht anerkannt würden.

Karl Bär erwiderte, grundsätzlich sei dies eine Frage, die von den Bundesländern entschieden werde. Er räumte aber ein, dass man in Deutschland sehr auf Zertifikate fixiert sei. Man müsse „an manchen Stellen Abstriche machen“. Er erwähnte ein eklatantes Beispiel für die unterschiedliche Bewertung von Fähigkeiten. Er wisse von einem ukrainischen Busfahrer, dessen Busführerschein hier nicht anerkannt worden sei, weswegen er nach Spanien gereist sei, wo er die dortige Busfahrer-Qualifikation erhalten habe, mit der er wiederum in Deutschland schneller zugelassen worden sei.

Monica Schuster-Horwath, Teamleiterin Markt und Integration im Jobcenter, sagte, Geflüchtete müssten eben „niederschwellig einsteigen“. Es gebe Coachings, die ihnen dann weitere Chancen eröffneten. Auf die Frage, wie es um traumatisierte Geflüchtete stehe, die zunächst einmal gar nicht arbeiten könnten, sagte sie, man könne diese Personen in psychotherapeutische Behandlungen vermitteln.

Starke Zweifel äußerten alle Teilnehmenden des Gesprächs an der deutschen Praxis der Abschiebung. Bär brachte es auf die Formel, es würden jene Geflüchteten abgeschoben, derer man habhaft werde – und das seien oft gerade die bereits gut integrierten und arbeitenden. „Für die Bevölkerung ist das schwer verständlich“, so Bär. Elisa Weiß stimmte nachdrücklich zu; Abschiebung sei auch bei der Arbeitsvermittlung oft ein Problem.

Die Bezahlkarte: „Eine ganz schlechte Idee“

Am Rande des Gesprächs ging es um die neu eingeführte Bezahlkarte für Asylsuchende. Karl Bär sagte, er halte dies für „eine ganz schlechte Idee“, was er beim Beschluss im Bundestag auch zu Protokoll gegeben habe. Seine Kritik sieht er durch Gerichtsurteile bestätigt, in denen die Bezahlkarte als rechtswidrig eingestuft werde. Zudem seien die Kosten viel zu hoch. So werde der bürokratische Aufwand etwa in Berlin mit zehn Millionen Euro jährlich beziffert. Hochgerechnet auf ganz Deutschland würde dieses Geld für eine ganze Menge Deutsch- und Integrationskurse reichen, so Bär.

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