Süddeutsche Zeitung

Jazz:Mitreißend verrückt

Der Schlagzeuger und Sänger Stefan Noelle begeistert zusammen mit Peter Zoelch, Volker Giesek und Harald Scharf die Gäste in Bad Tölz. Ihre Jazz-Balladen huldigen der Jugend, der Liebe und dem Wörtchen "foolish"

Von Leonard Scharfenberg, Bad Tölz

Ein Seufzen ertönt in den Zuschauerreihen, als die wehmütige Stimme Stefan Noelles anhebt. Begleitet von virtuosen Mitmusikern steht der Münchner Sänger und Drummer im Mittelpunkt des Juni-Konzerts der Reihe "Peter Zoelch and Friends". Etwa 70 Zuhörer sind wieder in den kleinen Kursaal nach Bad Tölz gekommen. Es hat sich herumgesprochen, dass Gastgeber Zoelch (Saxofon, Klarinette), hält, was er verspricht: beschwingte Musik in angenehmer Atmosphäre. In diesem Jahr feiert seine Konzertreihe ihr 15-jähriges Bestehen.

Noelle war schon mehrmals in Tölz mit von der Partie, bislang jedoch immer nur als Schlagzeuger. Auch dieses Mal übernimmt er die Percussion, aber erstmals singt er auch gleichzeitig. Dass die beiden Männer nicht zum ersten Mal miteinander musizieren fällt auf: Mit einer aufs Publikum überspringenden Unbeschwertheit kommunizieren sie auf der Bühne - untermalt vom grandiosen Spiel des Bremer Pianisten Volker Giesek und des Bassisten Harald Scharf.

Der Abend - eine Hommage an die beiden Jazz-Sänger Tony Bennett und Sammy Davis Jr. - ist geprägt von Jazz-Balladen und dem beschwingten Sound britischer Musicals aus den 1960er-Jahren. So starten die Musiker mit dem romantischen Jazz-Standard "My Foolish Heart", der unter anderem durch die Version Tony Bennetts aus dem Jahr 1958 Berühmtheit erlangte. Die warme dunkle Stimme Noelles mischt sich mit dem gefühlvollen Spiel seiner Bühnenkollegen, bis sich der Song, befeuert durch Einwürfe des Saxofons, zu einer herzzerreißenden Tragik steigert. Es geht um das "foolish heart" - das törichte Herz eines unglücklich verliebten Mannes.

Der Narr ("fool") taucht laut Noelle sehr oft im englischsprachigen Jazz auf. So auch im darauffolgenden Song. "Young and Foolish" ist ein wehmütiger Abgesang auf die unbeschwerte Zeit der Jugend. Die von der Ballade ausstrahlende Sehnsucht kann nicht über die Leichtigkeit hinwegtäuschen, mit der die Musiker technische Meisterleistungen vollbringen. Nicht nur das gleichzeitige Singen und Schlagzeugspiel Noelles erstaunt, auch Zoelch, Scharf und Giesek glänzen mit virtuosen und gewitzten Soli. Sie beherrschen ihre Instrumente in beeindruckender Perfektion und haben zudem sichtbar Spaß daran, was die Zuhörer offenbar ansteckt. Am Ende schwebt "Young and Foolish" beflügelt von träumerischen Klavierkaskaden durch die hohe Decke des Kursaals davon. Es bleibt einen Moment lang andächtig still, bevor sich die Begeisterung des Publikums in langem Applaus Bahn bricht.

Nach den anfänglichen Balladen wird das Konzert abwechslungsreicher. Bei der durch Miles Davis berühmt und beliebt gewordenen Broadway-Hymne "Bye, Bye Blackbird" steigt Noelle nach einem mit Anspielungen an andere Balladen gespickten Kontrabass-Intro durch eine von ihm gepfiffene Improvisation ein. Auch sonst ist der Abend durch kreative Arrangements geprägt. Ob Blues, Swing oder Musicals, die vier Jazzmusiker schaffen es, das Publikum zu verzaubern.

Ihr volles Potenzial entfaltet die Gruppe bei einem Standard von Sammy Davis Junior. Noelles Gesang spielt mit Dynamik und wechselt zwischen klagendem Schreien und liebevollen Beschreibungen. Das verspielte Saxofonsolo Zoelchs beeindruckt mit schnellen Läufen und harmonischem Mut und steht in fruchtbarem Gegensatz zu Scharf und Giesek, die bei ihren Soli weich und erzählend, fast lyrisch, spielen. Auch dieser Song, der sein Ende in einem explosionsartigen Schlagzeugwirbel findet, handelt von Sehnsucht und Verzweiflung: "What Kind of Fool am I?"

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Quelle:
SZ vom 05.06.2018
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