Ein bisschen Farbe hebt sich schon ab von den weiß verklebten Fenstern des ehemaligen Isar-Kaufhauses am Wolfratshauser Untermarkt. "Betreten der Baustelle verboten - Eltern haften für ihre Kinder" steht auf dem gelben Schild hinter der Eingangstür. An diesem Samstag darf die örtliche "Klecks-Schule der Phantasie" mit den Kindern aus ihren Kunstkursen die blickdichten Schaufenster bemalen. Eine "Baustellenbemalung" eben, so kündigt es Werner Kuhlmann an. Der Vorsitzende des Vereins "Lebendige Altstadt Wolfratshausen" hat die Aktion vermittelt, und seine größte Hoffnung auf eine lebendige Altstadt legt er dabei in das Wort "Baustelle". Bei einigen im Markt könnte diese Hoffnung auch bald schon die letzte gewesen sein.
Denn fast jeder Ladenbesitzer in der Marktstraße kennt eine Handvoll Kollegen, die sich jeden Monat neu überlegen, ob sie im nächsten noch einmal aufsperren. Namen nennt keiner von ihnen öffentlich, doch bei denen, die sich fürs Aufhören entschieden haben, stehen im nächsten Monat die Makler-Schilder in den leeren Schaufenstern.
Die Schilder werden immer mehr, doch die Makler können wenig tun. Für Ladenflächen gebe es in Wolfratshausen momentan einfach keine Nachfrage, sagen sie unisono. Anderswo sei es auch nicht anders, heißt es bei denen einen, in Wolfratshausen sei es besonders schlimm, bei den anderen. Ein Makler, der sich gerade besonders in der Altstadt engagiert, hat die Erfahrung gemacht, dass alle Interessenten nur auf eine Immobilie starren wie das Kaninchen auf die Schlange: Was geschieht im Isar-Kaufhaus? Eröffnet dort demnächst die übermächtige Konkurrenz auf doppelt, dreimal, viermal so vielen Quadratmetern?
Seit Kuhlmann wegen der "Baustellenbemalung" an die Schule der Phantasie herangetreten ist, machen wieder neue Gerüchte die Runde. Denn die Klecks-Vorsitzende Kerstin Vetter hat an viele Eltern E-Mails verschickt, wonach die acrylfarbenen Motive "wie auf einem außergewöhnlichen Bauzaun mit hellen, sommerlichen Farben schon einmal Vorfreude auf das kommende neue Kaufhaus machen" sollen. Das kommende Kaufhaus: Kuhlmann zeigt sich diskret zuversichtlich, doch das waren viele schon öfter.
Bürgermeister Helmut Forster zum Beispiel wünscht sich für Wolfratshausen wenig dringender als ein kommendes Kaufhaus. Nach wochenlangen vergeblichen Versuchen hat er es vor einiger Zeit geschafft, wieder einmal Kontakt mit der Hauseigentümerin Angela Scheller aufzunehmen. Man habe Stillschweigen vereinbart, sagt er. Viele Möglichkeiten, ernsthafte Interessenten, baldige Unterschrift. Auch er hat es schon oft gehört. Offenkundig werde es aber wirklich mit Nachdruck versucht.
Mit der Presse, auch mit der Süddeutschen Zeitung, will Angela Scheller schon seit längerem erklärtermaßen nicht mehr sprechen. Stattdessen ließ sie einen Münchner Anwalt einen Schriftsatz verschicken mit dem Ziel, weitere Berichte zu verhindern. Schon seit ihr damaliger Mieter Frederik Holthaus vor mehr als einem Jahr das Ende seines Isarkaufhauses angekündigt hat, sieht sich Scheller in Wolfratshausen an den Pranger gestellt und zuweilen auch von wildfremden Menschen auf der Straße beschimpft. Dabei hat sie keineswegs die Miete erhöht, sondern Holthaus nur nicht so viel Rabatt gegeben, wie der gerne gehabt hätte, weil sein Geschäftsmodell nicht mehr aufgegangen ist.
Sie hoffe, Ende des Jahres die Räumlichkeiten wieder neu zu eröffnen. Das sagt nicht Scheller selbst, sondern der zuversichtliche LAW-Vorsitzende Kuhlmann. Gewerbe im Erdgeschoss und im ersten Stock, oben drüber Wohnraum, der Vertrag werde noch im Juni unterzeichnet, dann werde gebaut. Für so etwas wäre ein Bauantrag notwendig und ein Antrag auf Nutzungsänderung.
Einige wenige Tage wären noch Zeit, dann ist die Einreichfrist für die Juli-Sitzung des Bauausschusses abgelaufen. Im August gibt es keine Sitzung, Sommerpause. Danach ist Herbst. Anträge, Fristen, Bauzeit. So lautet die Auskunft aus dem städtischen Bauamt im Rathaus. Das hohe Baurecht, das manche Wolfratshauser auf dem Gelände wähnen, das gebe es im übrigen nicht.
An den Stadträten würde all das jedenfalls nicht scheitern, wenn denn nur ein Antrag käme. Unter ihnen ist die Stimmung einstweilen weniger zuversichtlich als bei Kuhlmann. Gefühlt 300 oder 400 Menschen weniger schlenderten pro Tag durch die Marktstraße, hat ihnen der Bürgermeister dieser Tage im Haupt- und Finanzausschuss des Stadtrats mitgeteilt. Nicht nur gefühlt, sondern genau gezählt und gerechnet ist das Minus bei den Parkgebühren. Sicher, es gibt die neue Semmeltaste für die erste halbe Stunde gratis, und Gebühren verlangt die Stadt inzwischen auch erst ab zehn.
Doch dass mittlerweile mehrere Tausend Euro weniger in den Parkautomaten klingeln, hat auch andere Gründe. "Wir haben momentan wirklich überhaupt kein Parkplatzproblem in der Altstadt", sagt Forster. Die Stadträte hören es nicht gern. Der Bürgermeister will sie in einer der nächsten Stadtratssitzungen mit der zunehmen Öde im Markt befassen, nicht öffentlich und hinter verschlossenen Türen, weshalb Forster kein Datum nennt und das Wort "Stadtratssitzung" vermeidet, um nicht in einen anderenfalls noch offenkundigeren Konflikt mit dem Öffentlichkeitsgebot in der Gemeindeordnung zu kommen. Es gehe bisher ohnehin nicht um irgendwelche Beschlüsse, sondern um Ideen, sagt der Bürgermeister, der dazu auch auf Hilfe von der Beratungsagentur Cima hofft, die im Auftrag des Stadtrats gerade ihre Arbeit in Wolfratshausen aufgenommen hat und zunächst den Wolfratshauser Ist-Zustand analysieren soll, um daraus ein Konzept abzuleiten.
Der Plan für die Kinder an diesem Samstag ist klar: Vorfreude in hellen Farben, von außen auf die Scheiben. Das Acryl haftet, das Betreten der Baustelle ist verboten.
Baustellenbemalung mit der Schule der Phantasie für Kinder von sieben bis 16 Jahren, Samstag, 8. Juni, 10 bis 14 Uhr, ehemaliges Isar-Kaufhaus, Untermarkt 7-11, Wolfratshausen.