Isar-Kaufhaus:Schluss, Aus, Ende

Das Wolfratshauser Isar-Kaufhaus hat am Samstag für immer zugesperrt. "Das Herz der Stadt" nennen es manche. Andere glauben, es sei nicht zu ersetzen.

Von Thekla Krausseneck

Letzter Verkaufstag im Isar-Kaufhaus Wolfratshausen.

Inhaber Frederik Holthaus im leeren Kaufhaus am Telefon

(Foto: Hartmut Pöstges)

Es sind die letzten Stunden des Isar-Kaufhauses. Wie Termiten nagen sich die letzten Kunden durch das Aufgebot an Schnäppchen, bauen langsam die letzten Waren ab. Was von dem mehrwöchigen Ausverkauf übrig geblieben ist, passt auf ein paar Kleiderständer, das meiste davon ist Kinderkleidung. Vor allem Mütter drängen deshalb zur Mittagszeit ins Isar-Kaufhaus. Als der Räumungsverkauf im November begann, waren die Regale noch gefüllt, auf den Stangen hing begehrte Markenmode, im Obergeschoss gab es unter anderem Kissen, Küchenbedarf, Kurzwaren und Spielzeug.

Wochen später ist die Rabattmarke von 20 auf 70 Prozent gestiegen und das Kaufhaus nicht mehr wiederzuerkennen. Die letzten Handtaschen sind in einen Wühltisch gewandert, an den Stangen hängt fast nur noch, was eigentlich keiner haben will, aber trotzdem mitnimmt, weil es erschwinglich ist. Lederne Geldbörsen gibt es noch einige in dem weißen Metallständer, doch im Verlauf des Abends wird sich ihr Bestand enorm verringern.

"Wir sind alle traurig", fasst Isar-Kaufhaus-Betreiber Frederik Holthaus die Stimmung zusammen, "nicht nur die Mitarbeiter, auch die Kunden." Sein mittlerweile 81 Jahre alter Vater Otto-Ernst Holthaus hat das Kaufhaus vor 46 Jahren gegründet, damals noch mit einer Verkaufsfläche von 700 Quadratmetern, die im Laufe der Jahre auf 2200 Quadratmeter anwuchs. Kunden wie die 60-jährige Wolfratshauserin Gerti Stifter fanden unter den 60 000 Artikeln all die Dinge, die sie im Alltag benötigten. Stricknadeln zum Beispiel: "Wo bekomme ich die jetzt her?" In ihrem Bekanntenkreis werde schon gerätselt, wer dem Isar-Kaufhaus nachfolgen werde, erzählt Stifter. Alle hoffen auf ein neues Kaufhaus.

Denn: "Eine Kleinstadt braucht ein Kaufhaus", sagt Stifter. Aber wie das Isar-Kaufhaus werde es wohl nicht sein. "Ich vermisse es jetzt schon." Im ersten Obergeschoss stapeln sich leere Ausstellungspodeste, daneben steht ein alter Schrank mit Schwebetür, all das zum Verkauf. Ein schmutziger Drehstuhl wird für 2,50 Euro feilgeboten - die fünf Euro, für die das alte Stück noch vor einigen Stunden zu haben war, sind durchgestrichen. Ganz hinten rechts findet sich ein Sammelsurium an Schränken und Regalen, auf denen mit Namen beschriftete Zettel liegen: verkauftes Inventar.

Dazu zählt auch ein Bild, das ein ehemaliger Wolfratshauser an sich genommen hat, der seit 2003 in Niederbayern wohnt, aber für diesen besonderen Tag nach Wolfratshausen zurückgekehrt ist. Er hält den gerahmten Druck eines alten Werbeplakats in die Luft: Zu sehen ist die Häuserfassade der Marktstraße, im Vordergrund befindet sich ein Floß, das Fässer transportiert. Die Flößer tragen Tracht, rund um das Bild steht in großen Buchstaben: "Einkaufsstadt Wolfratshausen". Das Bild, erklärt der 41-jährige Thomas Schoger-Ohnweiler wehmütig, habe für ihn einen ideellen Wert: Er werde es sich zu Hause ins Wohnzimmer hängen, um an die Loisachstadt erinnert zu werden, in die er 1977 gekommen war. Das Isar-Kaufhaus sei für ihn immer ein fester Bestandteil Wolfratshausens gewesen - seine Schließung findet er mehr als nur ein bisschen schade.

Kurz vor 15 Uhr: Plötzlich knistern die Lautsprecher. Eine Mitarbeiterin verkündet: "Ran an den Speck, alles muss weg, noch drei Stunden!" Die Kunden sollen zugreifen: "Fünf Kinderteile für 20 Euro, drei Damenhosen für 30 Euro!" 70 Prozent Rabatt auf alles andere, versprechen die roten Schilder, die überall von der Decke hängen. Immer noch graben sich Scharen von Kunden durch die letzten Inseln von Kleiderständern, durchforsten Hosen, Oberteile, Badebekleidung.

Andrea Schimpf, Vorsitzende des Mütterzentrums Geretsried, hat etwas anderes ins Auge gefasst: Eine Kinderkleiderpuppe ohne Kopf, die vergessen in einer Ecke steht, aus der Mitarbeiter des Kaufhauses die auseinander gebauten Regale räumen, um sie draußen in Container des Bauhofs zu werfen. Schimpf möchte den Puppentorso für ihre zehnjährige Tochter Milena haben, als Weihnachtsgeschenk, "weil sie zurzeit ständig am Nähen ist". Sie trägt den Torso zur Kasse, um sich zu erkundigen, bietet zehn Euro - doch die kopflose Puppe ist ausnahmsweise nicht verkäuflich. Spontan entscheidet sie sich für einen weiblicheren Kleidertorso, bei der die Lage anders aussieht, denn an ihm klebt ein Preisschild. "So was kostet sonst um die 100 Euro", sagt die Verkäuferin. Schimpf bekommt ihn für 20.

Der Nachmittag schreitet voran, und immer noch verlassen Kunden das Kaufhaus mit Tüten in den Händen. Es ist ein Kommen und Gehen, das mit hereinbrechender Dunkelheit zunehmend verebbt. Am Ende locken die verbliebenen Handtaschen niemanden mehr. Mitarbeiter schlingen von innen dicke Ketten um die hölzernen Türdrücker. Das Licht brennt noch von der Decke des Kaufhauses, kurz darauf ist niemand mehr darin zu sehen. Hannelore Schmid bleibt vor den verschlossenen Glastüren stehen. Sie kannte das Wolfratshauser Kaufhaus von Anfang an. Da gab es alles, was sie brauchte. Ersatz? Sie schüttelt den Kopf. "Das Isar-Kaufhaus war das Herz von Wolfratshausen."

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