Süddeutsche Zeitung

Interview mit Wolfram Kastner:"Ich bin keiner, der sich wegduckt"

Lesezeit: 3 min

Der Aktionskünstler wird am Samstag zum Hindenburg-Symposium nach Dietramszell kommen - auch wenn er in der Gemeinde schon einmal symbolisch am Galgen hing

Von Stephanie Schwaderer

Mehr als fünf Jahre ist es her, dass der Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner eine Hindenburg-Bronze des Nazi-Bildhauers Josef Thorak von der Dietramszeller Klostermauer geschraubt und sie der Familie von Schilcher aufs Grundstück gelegt hat. Bei der alteingesessenen Familie hatte der umstrittene Generalfeldmarschall und Reichspräsident zehn Jahre lang seine Sommerurlaube verbracht. Kastners Aktion im Juli 2014 spaltete die Bürgerschaft. Dann wurde es lange still um die Frage, wie die Gemeinde mit ihrem geschichtlichen Erbe umgehen soll. Am kommenden Samstag findet nun ein hochkarätig besetztes Symposium zum Thema "Dietramszell und Hindenburg im Wandel der Zeit" statt.

SZ: Herr Kastner, werden Sie das Symposium besuchen?

Wolfram Kastner: Ja, das werde ich.

Wurden Sie eingeladen?

Nein. Ich habe über Umwege davon erfahren; mir wurde ein Zeitungsartikel zugeschickt.

Einige Dietramszeller werden sich nicht freuen, Sie zu sehen. Sie fahren trotzdem hin?

Natürlich, ich bin ja sehr interessiert daran, wie die Sache nun weitergeht, was diskutiert und womöglich geradegerückt werden soll. Aus meiner Sicht gibt es gar nichts geradezurücken - 70 Jahre nach dem Ende eines Verbrecherregimes. Aber ich bin ein gemäßigter Optimist. Ich hoffe, dass es eine sinnvolle Diskussion geben wird. Und dass eine Idee entwickelt wird, was nun mit der Büste des Nazi-Künstlers Thorak geschehen soll. Die liegt ja immer noch bei den Schilchers im Keller, dabei gehört sie eigentlich den Salesianerinnen.

Die sie nicht mehr haben wollen.

Ja, ich hatte deshalb Kardinal Marx geschrieben, ob es nicht sinnvoll wäre, die Büste mit einer präzisen Provenienz-Beschreibung einem Museum zu übergeben. Ein Sprecher der Diözese hat mir geantwortet und diesen Vorschlag gut geheißen.

Weder das Museum für Bayerische Geschichte in Regensburg noch das Deutsche Historische Museum in Berlin hatten Interesse an der Büste. Ist die Idee damit nicht vom Tisch?

So etwas kann sich ändern, wenn renommierte Historiker ihre Stellungnahmen abgeben. Ich finde, man sollte diesen Kopf nicht verstecken. Aber es wäre ein fatales Signal, ihn wieder unkommentiert im öffentlichen Raum anzubringen, so wie einige Dietramszeller das gefordert hatten.

Ihr erklärtes Anliegen war es, in Dietramszell einen Prozess des Nachdenkens in Gang zu setzen. Verbuchen Sie das Symposium und den geplanten Geschichtspfad als persönlichen Erfolg?

So eitel bin ich nicht, dass ich mir diesen Erfolg allein ans Revers heften würde. Es ist ein Erfolg der öffentlichen Auseinandersetzung, zu der ich mit zwei Kollegen - wir waren ja zu dritt bei der Aktion - beigetragen habe. Es ist mir ein Anliegen, dass Themen wie dieses ins Licht der Öffentlichkeit kommen. In Zeiten, in denen der braune Dreck aus vielen Ritzen gekrochen kommt, ist es wichtig, klare Zeichen zu setzen.

Bei einer Bettelhochzeit in Dietramszell im Jahr 2015 wurden Sie symbolisch an einen Galgen gehängt. Wie haben Sie das als Mensch und Künstler verarbeitet?

Solche Galgen hat es schon einmal gegeben, beim Karneval in Nürnberg 1935, damals haben sie Juden aufgehängt. Eine fatale Bildsprache. Was mich erschüttert hat: In Dietramszell wussten alle, wer den Galgen und die Puppe gebaut hat - die Vereine, die Bürgermeisterin. Aber alle haben eisernes Schweigen bewahrt. Keiner wollte im Nachhinein etwas geahnt oder gesehen haben. Ich habe den Vorfall angezeigt. Weil Öffentlichkeit ein wesentliches Merkmal der Demokratie ist. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren nach relativ kurzer Zeit eingestellt. Ein Täter sei nicht ausfindig zu machen, hieß es. In einem ähnlichen Fall haben wir eine schriftliche Morddrohung bekommen: Für euch liegen noch drei Kugeln aus dem letzten Krieg bereit, stand in dem Brief. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten keine Ermittlungen aufnehmen. Man könne den Brief als überspitzte Kritik verstehen, hieß es. Das ist schon beunruhigend.

Sehen Sie sich als politischer Künstler häufiger solchen Anfeindungen ausgesetzt?

Es gibt immer wieder mal Drohungen von Einzeltätern aus dem rechtsextremistischen Umfeld. Das Besondere in Dietramszell war, dass sich da eine ganze Dorfgemeinschaft verbündet hat.

Trotzdem fahren Sie zum Symposium?

Natürlich. Ich bin keiner, der sich wegduckt.

Die Gemeinde setzt sich öffentlich mit ihrer Geschichte auseinander. Ist Ihre Kunst-Aktion damit abgeschlossen?

Da bin ich ganz offen und warte, was bei diesem Symposium passieren wird. Work in progress. Mit der Aktion habe ich ein öffentliches Bild gemalt, ich komme ja von der Malerei her. Und ich halte es mit Paul Klee, der einmal gesagt hat: Kunst macht sichtbar, was man sonst nicht sieht. Das ist uns gelungen. Nun hoffe ich, dass etwas Gutes herauskommt, dann kann ich mich zufrieden zurückziehen. Ansonsten müsste ich überlegen, welche weiteren Schritte sinnvoll wären.

Sie lassen nicht locker?

Ich werde immer wieder als Provokateur bezeichnet. Das bin ich nicht. Ich fühle mich provoziert: Wenn 70 Jahre nach einem mörderischen Verbrecherregime noch immer solche Nazi-Skulpturen im öffentlichen Raum ausgestellt werden, kann ich nicht wegschauen. Schon gar nicht in Zeiten wie diesen.

Symposium "Dietramszell und Hindenburg im Wandel der Zeit", Samstag, 30. November, Gasthof Peiß, Münchner Straße 24, Dietramszell, 14 bis 18 Uhr, mit Wolfram Pyta (Historiker an der Universität Stuttgart und Autor der Biografie "Hindenburg: Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler"), Michael Holzmann (Mitglied im gemeindlichen Arbeitskreis Geschichte und Organisator des Symposiums), Susanne Meinl (freie Historikerin, Ascholding) und Thomas Schlemmer (Institut für Zeitgeschichte München); Moderation: Hermann Rumschöttel (ehemaliger Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns); Eintritt frei

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Quelle:
SZ vom 28.11.2019
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