Süddeutsche Zeitung

Interkulturelle Erfahrung:Ein Jahr Wolfratshausen

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Mercy Chereno aus Kenia ist als Au-pair-Mädchen in Oberbayern. Die 24-Jährige spricht schon fließend Deutsch. Nun will sie Radfahren und Schwimmen lernen.

Von Lisa Kuner, Wolfratshausen

Aus Eldama Ravine nach Wolfratshausen in den Winter: Die 24-jährige Mercy Chereno kommt aus einer Stadt mit etwa 32 000 Einwohnern im Südwesten von Kenia. Dort liegt die Durchschnittstemperatur bei etwa 20 Grad. Seit November ist sie als Au-Pair-Mädchen in Deutschland. Bei Familie Uhlig in Wolfratshausen passt sie nachmittags auf Laura (9) und Lukas (8) auf.

Der Start der jungen Frau in Deutschland war holprig. Zuerst war sie bei einer Familie im Eurasburger Ortsteil Achmühle. Dort hätte sie regelmäßig Auto fahren müssen. Obwohl Chereno in Kenia Auto fährt, überforderte sie das. "Hier fährt man auf der anderen Seite", erklärt sie, in Kenia gibt es Linksverkehr. Auch Ampeln, Rechts-vor-Links und die hohe Geschwindigkeit auf der Autobahn kannte sie nicht. Als die Familie einen Fahrlehrer suchte, kam Fahrlehrerin Martina Uhlig ins Spiel. Ihr war schnell klar, dass Chereno einige Fahrstunden brauchen würde, um sicher unterwegs zu sein. Der Gastfamilie war das zu teuer. Damit die Kenianerin nicht wieder abreisen musste, entschied sich die Familie Uhlig, Chereno aufzunehmen.

Sich in Deutschland zu verständigen sei am Anfang eine Herausforderung gewesen, sagt die junge Frau. "Wenn man täglich spricht, wird es besser", sagt sie. Einmal pro Woche besucht die Kenianerin einen Deutschkurs und kann sich schon fließend unterhalten. Dass sie Deutsch leicht lernt, könnte daran liegen, dass sie mit drei Sprachen aufgewachsen ist: Ihre Muttersprache ist Kalendjin, Amtssprachen in Kenia sind Swahili und Englisch. Nach ihrer Ankunft in Deutschland war für Chereno auch sonst vieles neu. "Es war mein erstes Mal im Zug", beschreibt sie ihre Anreise.

Im Vordergrund soll der kulturelle Austausch stehen, sagt Martina Uhlig

Begeistert ist Chereno von der deutschen Kultur und vor allem dem Essen. Dampfnudeln und Käsespätzle gehören zu ihren Favoriten. "Ich mag aber auch deutsches Brot mit Fleischsalat", erzählt sie. Außerdem trinkt sie gerne Radler. Manchmal fehle ihr das afrikanische Essen: "Ich vermisse Ugali und kenianischen Tee". Ugali ist ein Brei aus Maismehl. Tee wird in Kenia mit Milch, viel Zucker und Gewürzen getrunken.

Als Au-pair darf Chereno höchstens 30 Stunden in der Woche arbeiten, dafür bekommt sie 260 Euro, Kost und Logis, sowie den Deutschkurs. Für Uhlig ist es wichtig, sich daran auch zu halten: "Ein Au-pair ist keine billige Putzfrau. Manche nutzen das aus." Nicht die Arbeitskraft, sondern die Möglichkeit eines kulturellen Austausch, sollten im Vordergrund stehen, wenn man ein Au-pair aufnimmt. Chereno ist das vierte Au-pair in der Familie. Eine junge Frau wechselte zu ihnen, nachdem sie in einer Familie gelebt hatte, wo sie zusehen musste, wie der Vater die Mutter schlägt. "Das war schwierig für sie. Das Mädchen war neu in Deutschland und wusste nicht, wohin sie sich wenden kann", erzählt Uhlig.

Mit Cherenos Alltag hat das wenig zu tun. Sie hat gerade Uno spielen gelernt und dabei zugeschaut, wie Lukas gewann "weil er am besten schummeln kann" und mit den Kindern Kekse gebacken. Für Uhlig ist es wichtig, das Au-pair in die Familie zu integrieren. Chereno nimmt an Familienausflügen teil. Autofahren kann sie, wenn sie will, im Laufe des Jahres in der Fahrlehrerfamilie lernen. Zuerst will sie aber Schwimmen und Radfahren lernen. "In meiner Region in Kenia fahren fast nur Männer Fahrrad", sagt sie. Und es gebe so viele öffentliche Verkehrsmittel, dass Fahrräder oft nicht nötig seien.

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SZ vom 09.03.2018
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