Integrationsforum in Geretsried:Doppelt gut

Wer in der Muttersprache fit ist, tut sich mit Deutsch leichter

Von Felicitas Amler, Geretsried

Für viele klingt das völlig paradox: Ausländische Familien, die in Deutschland Fuß fassen wollen, sollen mit ihren Kindern nicht Deutsch sprechen. Nur Menschen, die ihre Muttersprache gut gelernt haben, kommen in der zweiten Sprache so zurecht, dass sie Chancen auf wirkliche Integration, gehobene Ausbildung und qualifizierte Arbeit haben. Diese wissenschaftlich untermauerte These hat die Teilnehmer des zwölften Geretsrieder Integrationsforums beschäftigt. Der Trägerverein Jugend- und Sozialarbeit in Geretsried lädt zweimal im Jahr zu einem solchen Forum ein. Diesmal ging es darum, wie die Erkenntnis von der "Muttersprache als Basis für alle Sprachen" den ausländischen Eltern vermittelt werden kann.

Integrationsforum in Geretsried: Integrationsreferentin Sonja Frank.

Integrationsreferentin Sonja Frank.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Bei 113 Nationen, die in der 26 000-Einwohner-Stadt Geretsried leben, sei dies schier unlösbar, meinte Bürgermeister Michael Müller (CSU), bot aber grundsätzlich Unterstützung an. Am Ende stand die Idee einer städtischen Bildungsberatung, die "Bewusstseinsarbeit" leisten soll, im Raum. Ob sie verfolgt wird, blieb künftigen Besprechungen vorbehalten.

Beim vorigen Integrationsforum vor einem halben Jahr hatte der Sprachwissenschaftler Heiner Böttger seine These dargelegt: "In den Migrationsfamilien wird viel zu viel Deutsch gesprochen." Das Ergebnis sei, dass die Kinder sowohl die Muttersprache als auch Deutsch oft nur "halb" lernten. Auf diesen Erkenntnissen baute das aktuelle Integrationsforum auf. Referenten aus unterschiedlichen Bereichen trugen dazu bei.

Integrationsforum in Geretsried: Migrationsberaterin Andrea Neulinger.

Migrationsberaterin Andrea Neulinger.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Sonja Frank (Freie Wähler), Integrationsreferentin des Geretsrieder Stadtrats, und beruflich in Kindertagesstätten engagiert, sagte, es gebe unter den Migranten gut ausgebildete Erzieherinnen: "Unsere Chance ist es, sie in ihrer Muttersprache in den Gruppen arbeiten zu lassen." Andrea Neulinger, als Migrationsberaterin an der Mittelschule Waldram beschäftigt, betonte die Wechselwirkung zwischen Sprache und Wissensaufbau. Um bestimmte abstrakte Gedanken überhaupt erst denkbar zu machen, seien sehr gute Sprachkenntnisse nötig. Und: "Ohne Rückgriff auf die Muttersprache komme ich nicht weit." Neulinger plädierte leidenschaftlich für eine qualifizierte Bildungsberatung. Der Auftrag an die Eltern müsse lauten: "Bildet eure Muttersprache auf einem hohen Niveau aus." Mit Blick auf den Bürgermeister sagte Neulinger, dass es weder vom Staat noch von den Konsulaten materielle Unterstützung dafür gebe, und fragte rhetorisch: "Muss es vielleicht die Stadt machen?"

Über ein ehrenamtliches Modell berichtete Katherine Schreyer-Keil, Migrationsberaterin der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Miesbach-Tegernsee. Die Awo habe eine Arabisch sprechende Lehrerin gefunden, die nun regelmäßig mit Kindern zwischen sechs und 14 Jahren in deren Muttersprache lernt, spielt, singt und liest. Neulinger bestätigte: "Wir bräuchten viel mehr Erzieher, die in anderen Sprachen bei uns mitarbeiten."

Bei allen Diskussionsteilnehmern klang ein Aspekt immer wieder an: Migranten müssten Wertschätzung für ihre Muttersprachen erfahren. Dies betonte auch Patrick Hingar, der für die Koordinationsstelle "Integration Aktiv" verantwortlich ist. Und Bürgermeister Müller appellierte an die Deutschen, "keine Angst davor zu haben", dass Menschen auch hier in anderen Sprachen sprechen: "Unterschiedliche Sprachen können bereichern. Ich rufe auf zu mehr Gelassenheit." Schließlich seien 113 Nationen in Geretsried "eine Vielfältigkeit, die unsere Stadt ausmacht".

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