Integration:Nach der Flucht Freunde finden

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Professor Egon Endres bei der Präsentation der Studie "Ankommen im Loisachtal", für die Schüler mit Fluchterfahrung befragt wurden. (Foto: Manfred Neubauer)

Jungen und Mädchen, die in der Schule gleichaltrige Deutsche treffen, integrieren sich schneller, als solche, die spezielle Klassen besuchen. Die neue Abschiebepraxis aber gefährdet alle bisherigen Leistungen

Von Martina Schulz, Benediktbeuern

"Mich hat am meisten die Erfahrung bewegt, Menschen vor sich zu haben. Nicht nur den Flüchtling in ihnen zu sehen." Das ist das sehr persönliche Fazit von Henrike Brenk. Die 21-Jährige ist eine von 24 Studierenden, die an der Katholischen Stiftungsfachhochschule untersucht haben, wie sich Geflüchtete am besten in Deutschland integrieren können. Das Projekt "Ankommen im Loisachtal" befasste sich mit den Netzwerken, also den vielfältigen Kontakten, von Schülern mit Fluchterfahrung.

Die Studenten selbst, die zunächst sachlich an die Untersuchung herangegangen waren, wurden durch ihre Erfahrungen nachhaltig geprägt. "Wie kann man eine Familie nach vier Jahren in Deutschland abschieben?" fragte Marie-Theresa Zink, 22. "Die Kinder haben doch ihre Lebenserfahrung hier gemacht."

Unter der Leitung von Professor Egon Endres hatten sie mit 36 Menschen gesprochen, unter ihnen 20 Schüler mit Fluchterfahrung. Zur Präsentation der Studie kamen kürzlich 30 Interessierte ins Kloster, viele davon Mitglieder der Helferkreise aus Kochel am See, Benediktbeuern und Umgebung - auch um Kerstin Schreyer, der Integrationsbeauftragten der bayerischen Staatsregierung, zu diskutieren. Die Studenten hatten vier Teams gebildet, die sich mit unterschiedlichen Bereichen befassten, in denen Geflüchtete neue Kontakte knüpfen können: Grundschulen, Mittagsbetreuung, Mittelschulen und Berufsschulen standen im Fokus der Untersuchung.

Wie die Ergebnisse zeigen, gehören zu den Netzwerken, die hier aus den Kontakten entstehen, nicht mehr nur die eigene Familie und Freunde aus dem eigenen Kulturkreis, sondern auch deutsche Mitschüler. Lehrer und Betreuer würden als Bezugspersonen immer wichtiger. Natürlich zeige sich, dass die Sprache der Schlüssel zu einer gelingenden Integration sei. Einer der befragten Jugendlichen, ein 15-jähriger afghanischer Junge, brachte es auf den Punkt: "Am Anfang war ich ganz allein. Sobald ich ein bisschen Deutsch konnte, habe ich Freunde gefunden." Omar Abdelkader, 26, fasste im abschließenden Fazit zusammen: "Die höchsten Chance haben Kinder und Jugendliche, die zur Schule gehen."

Dabei zeigte die Untersuchung ebenfalls, dass es nicht damit getan ist, Flüchtlinge einfach in irgendeine Klasse zu stecken, um ihnen die deutsche Sprache zu vermitteln.

"Sogenannte Integrationsklassen an Berufsschulen, in denen ausschließlich Jugendliche mit Flucht- oder Migrationshintergrund sind, erschweren es, alltägliche Kontakte aufzubauen", erklärte Endres. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum für viele Schüler mit Fluchterfahrung der Aufbau von tragfähigen Netzwerken schwierig ist. Die Entscheidung des Auswärtigen Amts, bestimmte Gebiete in Afghanistan als sicher zu erklären, ermöglicht die Abschiebung dorthin. Damit sinke aber die Motivation sich zu integrieren, und das nicht nur bei den afghanischen Jugendlichen. Die resultierende Stimmung der Unsicherheit und Angst wirke sich auch auf andere Schüler, die Lehrer und ehrenamtliche Helfer aus. Das wurde bei der sehr emotional geführte Diskussion mit der Integrationsbeauftragten Schreyer deutlich.

Marlies Jall vom Helferkreis in Benediktbeuern berichtete, "dass sich der Frust in Helfergruppen und die Missachtung von ehrenamtlichem Engagement auf die gesamte Integrationsleistung" niederschlage. Da konnte sich Schreyer noch so sehr bemühen, die Arbeit der Helfer zu loben, die die Flüchtlingswelle seit 2015 "gewuppt" hätten - die angestaute Empörung machte sich Luft.

"Wie soll in so einem Klima der Angst Integration funktionieren?" fragte Josef Parzinger, 23, der sich in der Untersuchung mit den Netzwerken an Grundschulen befasst hatte. Franz von Lerchenhorst, der Asylbeauftragte der Gemeinde Kochel wollte wissen, wie sich die gegenwärtige Politik noch mit Artikel 1 des Grundgesetzes verbinden lasse: Da würden Leute zurückgeschickt, wohl wissend, dass Afghanistan nicht sicher sei. Ralf Kriegel vom Benediktbeurer Helferkreis sagte ganz klar: "So wie das momentan läuft, funktioniert das gar nicht."

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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