Innovation aus der Kurstadt:Rasende Kameras in luftiger Höhe

Die Firma Airtime Unlimited in Bad Tölz entwickelt komplexe Systeme, um Sportveranstaltungen so dynamisch wie möglich zu übertragen. Gründer Holger Herfurth und seine Mitarbeiter eint die Leidenschaft für Technik und Outdoorsport

Von Veronika Ellecosta, Bad Tölz

Wenn man es knapp und einfach formuliert, erklärt Holger Herfurth, werden in seiner Firma Spezialkameras für den TV-Sportbereich entwickelt und eingesetzt. Wenn man genauer hinschaut, bedeutet das für den 40-jährigen Inhaber und Geschäftsführer von Airtime Unlimited und sein Team: In der Werkstatt der Firma in Bad Tölz wird erst einmal ordentlich getüftelt und gebastelt. Dort werden Software und Systeme entwickelt und dank 3D-Drucker auch selbst hergestellt und optimiert. Am Ende fährt Holger Herfurth dann mit zwei oder drei Mitarbeitern aus seinem Team zu einer Sportveranstaltung irgendwo auf dem Globus. Das sind etwa Snowboardcontests, Skirennen oder Langlaufweltcups wie kürzlich in Davos.

Dort baut Airtime Unlimited metallene Masten auf, spannt Spezialseile über die Sportstätte und befestigt leistungsstarke Kameras in sogenannten Gimbals, kardanischen Aufhängungen, die Aufnahmen fließender gestalten. Wenn der Startschuss fällt, schießt auch beim Team von Airtime Unlimited das Adrenalin in die Höhe. Die Mitarbeiter sitzen in der Moderatorenkabine und steuern die Kamera zwischen den Seilen den Sportlern hinterher, bis zu 120 Stundenkilometer schnell. Meistens werden die Aufnahmen live übertragen, eine zweite Chance gibt es für das Kamerateam von Airtime Unlimited also nicht. Aber Herfurth findet, dass man sich an den Nervenkitzel gewöhnt. Mittlerweile, sagt er, finde er sogar Spaß daran.

WingCam AirUnlimited

Mit dem sogenannten Wingcam-System machen Holger Herfurth und sein Team von Airtime Unlimited Sportevents für den Zuschauer daheim erlebbar.

(Foto: Manfred Neubauer)

Die Steuerung der Kameras erledigen Herfurth und sein Team über eine Fernbedienung. Das Wichtigste: Es muss so aussehen, als ob die Kamera von Hand gesteuert würde, "schön und organisch", betont Herfurth. Das System mit der Seiltechnik hoch über dem Wettkampffeld haben sie "Wingcam" genannt. Für Holger Herfurth ist diese Perspektive der Aufnahmen glaubwürdiger und authentischer, wie er sagt. Von Kameraleuten, die passiv neben den Rennen stehen und die Kamera mit dem Geschehen mitschwenken, hält er nichts. Oberstes Ziel des Wingcam-Systems sei es schließlich, die Bewegungen der Athleten auf dynamische Art und Weise zu visualisieren. Deshalb begleitet die geflügelte Kamera das Geschehen in rasender Geschwindigkeit.

Dass Herfurth und seine Mitarbeiter momentan einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Wintersportarten gelegt haben, ist kein Zufall. Das gesamte Team, drei Leute im Kern und etwa zehn freie Mitarbeiter, besteht aus Bergfexen, aus Industriekletterern, Skifahrern und Langläufern. Das kann schon hilfreich sein, wenn es darum geht, das Taktieren im Langlauffeld erkennen und gekonnt zu filmen, wie der Gründer erzählt. Die Leidenschaft für den Outdoorsport zieht sich durch die Firma. Die erkennt Herfurth auch gerne als eine Stärke seiner Mitarbeiter an. "Jeder von uns weiß, wie man sich im Schnee und am Berg verhält." Und so etwas finde man in der TV-Welt nicht besonders häufig. "Die sitzen lieber im Container mit einem Kaffee. Für uns ist es umso lustiger draußen, je ekliger es wird."

WingCam AirUnlimited

Holger Herfurth entwickelt in seiner Firma Spezialkameras für den TV-Sportbereich.

(Foto: Manfred Neubauer)

Seit 2006 gibt es Airtime Unlimited, angefangen hatte es eigentlich nicht mit Bergsport. Damals war Holger Herfurth Student der Sportwissenschaften und des Sportjournalismus in München. Der gebürtige Tutzinger wohnte aber in Garmisch-Partenkirchen, wegen der Berge eben, seiner Leidenschaft. Er sei auch wettkampfmäßig im Gleitschirmfliegen aktiv gewesen, erzählt er. Dafür hatte er bereits erste Vorläufer für Helmkameras entwickelt. In der Medienwelt jenseits seiner Ammergauer Alpen sei Fußball überproportional vertreten gewesen, erzählt er. Er habe deshalb anderen Sportarten eine Bühne geben wollen. Das habe sich zunächst alles andere als einfach erwiesen, sagt er schmunzelnd. Besonders für einen frischen Studienabsolventen wie ihn. Herfurth musste erst einmal per Bürgschaft seiner Eltern einen Kredit aufnehmen, bevor er sich in die Entwicklung stürzen konnte. Der erste große Gig war der "Nokia Air and Style"- Snowboard-Freestye-Contest 2007 im Münchner Olympiastadion.

Auf diesem Weg ist Airtime Unlimited zunächst bei "Red Bull" gelandet, der Marke, die in den frühen 2010er-Jahren 24-Stunden-Rennen und Freestyle- Motocross-Wettbewerbe weltweit veranstaltet hat. Damit der Transport einfacher vonstattenging, hatten Herfurth und sein Team die Ausrüstung kompakt modelliert: Jedes Teil für das Wingcam-System muss von maximal zwei Personen getragen werden können, lautete die Devise. Das ist bis heute so geblieben. Mit Red Bull sind Herfurth und sein Team durch die halbe Welt getourt, sie waren am Roten Platz in Moskau, in Bosnien-Herzegowina und in Sydney. "Da war es wichtig, dass die Kisten tragbar bleiben", betont er.

WingCam AirUnlimited

Die Steuerung der Kameras erledigen Herfurth und sein Team über eine Fernbedienung.

(Foto: Manfred Neubauer)

Weil sich Red Bull irgendwann von den Motorsportveranstaltungen etwas mehr in Richtung Massensportarten entwickelt habe, habe sich auch Airtime Unlimited nach weiteren Möglichkeiten umgeschaut. Als das Schweizer Fernsehen auf die Tölzer aufmerksam wurde, begann "das mit der Wintersportschiene". Mittlerweile haben er und sein Team etwa die Skiweltmeisterschaften in Garmisch und in St. Moritz begleitet sowie diverse Biathlon- und Langlaufweltcups. Dass es auch diese Wintersaison einige gute Veranstaltungen für Airtime Unlimited geben wird, davon ist Holger Herfurth überzeugt. Nach derzeitigem Stand stehen beispielsweise der Langlauf-Weltcup in Oberstdorf auf dem Programm und die Laax Open in der Schweiz, der größte Snowboardcontest in Europa. "Der Winter schaut derzeit gut aus", sagt Herfurth zufrieden.

Das Jahr 2020 war etwas trist für ihn und sein Team - zumindest, was Sportveranstaltungen anbelangt. Von März an war so gut wie jeder Wettkampf gestrichen worden, erzählt er. Erst mit dem September kamen wieder ein paar Aufträge. Deswegen haben die Mitarbeiter von Airtime Unlimited gemacht, was sie ohnehin sehr gerne tun. Sie haben sich in die Werkstatt zurückgezogen, getüftelt und gebastelt. Und sie haben einen neuen Zweig erschlossen. Im kommenden Jahr plant Airtime Unlimited das "Fusion Lab": Prototypen und Entwicklungen der eigenen Firma sollen anderen Unternehmen zum Verkauf angeboten werden. Man will die eigene Expertise aus Sport, Medien und Outdoor an lokale Firmen weitergeben. Denn eines haben Herfurth und sein Team aus dem Coronajahr 2020 gelernt: dass Veranstaltungen auch ausbleiben können und ein zweites Standbein mehr Sicherheiten bietet.

Von ihrem Kerngeschäft, den Veranstaltungen, wolle man sich aber gewiss nicht verabschieden, versichert Herfurth. Auch das System Wingcam soll vorerst das Herzstück der Firma bleiben. Denn Herfurth und sein Team lieben die Arbeit am Geschehen, den Nervenkitzel, ehe der Startschuss fällt, und die Bewegung im Bild. Sie fasziniert die Verbindung aus Technik und Outdoorsport. Und manchmal, wenn eine Veranstaltung in den Bergen stattfindet, nehmen Herfurth und einige seiner Kollegen auch ihre eigenen Gleitschirmflieger mit und fliegen nach getaner Arbeit gemeinsam ins Tal und in den Feierabend. Wie es sich gehört für echte Bergfexe.

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