Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge machen Theater:Durch die schwarz-rot-goldene Brille

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Beim "Hope Theatre" spielen Jugendliche aus den Slums Nairobis und Flüchtlinge aus Eritrea mit. Am Gymnasium Geretsried setzen sie sich mit dem Leben in Deutschland auseinander.

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Das Theater beginnt mit einem hypnotischen Tanz: Der junge Künstler aus Nairobi betritt die Bühne des Gymnasiums Geretsried; er hält sich wie verzweifelt den Kopf, er dehnt und biegt sich, macht Schwimmbewegungen, legt die Hände bittend zusammen und geht zu Boden wie schmerzlich getroffen. Die Situation der Flüchtlinge aus Afrika und Syrien erzählt durch die narrative Abfolge fließender Bewegungen - im Hintergrund kauern derweil seine Landsleute, eingehüllt in Decken, zwischen Koffern und Trommeln.

Das "Hope Theatre Nairobi" bietet den Gymnasiasten am Mittwochvormittag eine Vorstellung der besonderen Art. In kraftvollen Szenen bringt das Ensemble seine Botschaft auf die Bühne. Mit dabei: Tesfu Gebrezgiabher und Gezae Welderufad, zwei Flüchtlinge aus Eritrea, die bis vergangenes Jahr in Stuttgart untergebracht waren und seither dem Theater angehören, und die 19-jährige Tourleiterin Adele Behrenbeck, die sich dem Ensemble nach ihrem Abitur angeschlossen hat. Dieses wurde 2009 von Stephan Bruckmeier gegründet, als Ergebnis der Arbeit mit Schülern, Lehrern und Jugendlichen der Organisation "Hands of Care and Hope" in Korogocho und Kariobangi. Die Darsteller stammen zum Teil aus den Slums ihrer Heimat.

Adele Behrenbeck verkörpert in dem gut anderthalb Stunden langen "Auf der Flucht" mal den deutschen Auswanderer in den noch nicht gegründeten USA, mal den Flüchtling, der am Flughafen auf seine Abschiebung wartet. Als Auswanderer spricht sie einen verstörenden Monolog, wie ihn ein Deutscher im 19. Jahrhundert von sich gegeben haben könnte. "Wer mit Gott kämpft, der kämpft auf der richtigen Seite", sagt Behrenbeck: Der Deutsche habe "das Schicksal in die eigene Hand" genommen, in der Wildnis Amerikas "deutsche Moralzellen" gegründet und sich durch seinen Glauben an Gott nicht nur die Unsterblichkeit gesichert, sondern sich auch "die Erde Untertan gemacht". Bei ihrer Begegnung mit einem Ureinwohner Amerikas, gespielt von Flüchtling Welderufad, bittet sie um Asyl: Der junge Mann reicht ihr seine Friedenspfeife, die junge Frau ihm eine Waffe, die der Ureinwohner ebenfalls für eine Pfeife hält. Eine Weile paffen sie schweigend. Es knallt, und der junge Mann sinkt zu Boden. Die deutsche Einwanderin wirft verächtlich die Pfeife auf den reglosen Leib, nimmt die Waffe und geht davon.

Die Doppelmoral des Deutschen ist ein großes Thema in "Auf der Flucht". Der Flüchtling erzählt von seiner Heimat, die er verlassen musste, weil er nichts mehr zu verlieren hatte - obwohl es ein Land voll guter Menschen sei, die er sehr vermisse. Ein schauriger, rhythmischer Chorus singt das Mantra des deutschen Staats, der dem Flüchtling alles wegnehmen will, selbst die Augen, die Arme, die Zunge, das Fleisch. Winfred Akinyi Ouma, eine schlanke Frau mit buschigen Haaren, tritt im Königsmantel auf, mit einem wallenden roten Umhang und einer schwarz-rot-golden gestreiften Brille. Sie umschleicht den Flüchtling und fragt, ob er gekommen sei, um ebenfalls in Palästen zu leben. Ob er denn überhaupt in kurzer Zeit viel Geld zählen könne? Ob er denn auf die Wirtschaftsschule gehen könne? Und ob er denn "Bonjour, Madame" in einer Pariser Oper sagen könne? All das, so die Klage, müsse man im reichen Deutschland offenbar drauf haben.

Deutschland, so sagt Behrenbeck in ihrem letzten Auftritt, habe festgestellt, dass es Schöneres gebe als zerstörte Familien und brennende Häuser - "reich zu sein". Wohlduftend und süß wie Zuckerwatte liege der Wohlstand über "dem Land der Guten", dessen Finanzminister nicht wisse, was Hunger und ein Mensch sei, und das seine "deutsche Moral" mit Panzern in die Welt entsende.

Zwischen harten Szenen wie dieser leuchten spaßige Momente auf, in denen die Schauspieler Schüler auf die Bühne zu bitten, um ihnen etwas - so wird es angekündigt - über Afrika zu erzählen. Die versprochene Landeskunde findet nicht statt, oder vielleicht doch: Es wird gemeinsam getanzt, und damit ist auch schon alles gesagt. Am Ende gibt es von den Schülern begeisterten Applaus und Jubel - und das, obwohl der größte Teil des Stücks im nicht ganz leicht verständlichen Englisch vorgetragen wurde. Die Botschaft ist angekommen.

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Quelle:
SZ vom 13.05.2016
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