Süddeutsche Zeitung

Infektionsschutz geht vor:Bad Tölz sagt Leonhardifahrt ab

Wegen der Corona-Pandemie muss die traditionsreiche Wallfahrt heuer zum ersten Mal seit 1944 ausfallen. Der Grund dafür ist das Verbot von Großveranstaltungen. Ob und wie der Christkindlmarkt stattfindet, wird noch geprüft.

Von Klaus Schieder

Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie war lange unklar, ob und wie die Leonhardifahrt in Bad Tölz in diesem Jahr stattfinden kann. Nach der Sitzung des Leonhardi-Ausschusses am Donnerstagabend steht fest: Die 165. Auflage der traditionsreichen Pferdewallfahrt am 6. November fällt aus. Der Grund dafür ist der Beschluss von Bund und Ländern, das Verbot von Großveranstaltungen um weitere drei Monate bis zum Jahresende zu verlängern. "Es ist schon wirklich traurig, aber das muss man akzeptieren", sagt Bürgermeister Ingo Mehner (CSU).

In ihrer langen Geschichte wurde die Tölzer Leonhardifahrt, die zum immateriellen Weltkulturerbe der Unesco zählt, kaum jemals abgesagt. Dies sei nur 1917 und 1918, dann wieder 1938 der Fall gewesen, als die Nationalsozialisten die Wallfahrt wegen Maul- und Klauenseuche unterbanden, berichtet Claus Janßen, Vorsitzender des Historischen Vereins für das Oberland in Bad Tölz. Dieses Virus grassierte seinerzeit in Tölz und der Region allerdings schon nicht mehr. "Das war ein antikirchlicher Beschluss", sagt Janßen. Auch in den Kriegsjahren bis 1944 gab es keine Leonhardifahrt. Von 1945 an wurde die Prozession mit Reitern, Truhen- und Tafelwagen wieder jedes Jahr abgehalten. Für die Absage, die nun 75 Jahre später folgt, zeigt der Vorsitzende des Historischen Vereins durchaus Verständnis: "Da blutet jedem Isarwinkler das Herz, aber es geht nicht anders."

Das Treffen des Leonhardi-Ausschusses, dem unter anderem fünf Stadträte, die beiden Leonhardi-Lader Anton Heufelder und Ludwig Bauer, sowie Vertreter von Behörden, Historischem Verein und Institutionen wie Feuerwehr oder Rotem Kreuz angehören, war Mehner zufolge nur kurz von der Suche nach Alternativen zur Wallfahrt geprägt. Die Route führt normalerweise mit Ross und Reitern vom Kurviertel durch die Marktstraße hinauf zum Kalvarienberg, wieder hinunter zur Fußgängerzone und hinauf zur Mühlfeldkirche. Selbst bei regnerischem Wetter folgten in den vergangenen Jahren bis zu 10 000 Zuschauer der Pferdeprozession. "Die jetzige Regelung lässt aber keine Großveranstaltung zu", sagt der Tölzer Bürgermeister. Und bei der Leonhardifahrt brauche man nicht nachzudenken, ob es sich um eine eben solche handle. Bei schönem Wetter kamen mitunter gar bis zu 25 000 Schaulustige. Das Abstandsgebot sei angesichts dieser fünfstelligen Zahlen "nie und nimmer zu gewährleisten", sagt Mehner. Viel mehr noch: Eine Nachverfolgung von Infektionen wäre völlig unmöglich. Unabhängig davon wäre ein Plazet für die Wallfahrt für Mehner auch kaum zu vertreten, "wenn man sich ansieht, was man heuer mit Corona alles erlebt hat, wo man Masken tragen muss, wo die Menschen eingeschränkt sind". Und eine Prozession im Kleinformat? Das kommt für ihn und den Leonhardi-Ausschuss auch nicht in Frage. "Selbst wenn ich fünf Gespanne hätte und in jedem davon befänden sich nur zwei Personen, wäre die Leonhardifahrt doch ein Besuchermagnet." Die Absage war auch für den katholischen Stadtpfarrer Peter Demmelmair in Ordnung. Was allerdings nicht andere Formen der religiösen Feier wie beispielsweise einen Gottesdienst oder vielleicht einen Bittgang zu Ehren des Heiligen Leonhard ausschließt.

Für die Tölzer Gasthäuser, die ohnehin schon unter Corona zu leiden haben, dürfte die Absage ein schwerer Schlag sein. Das weiß auch Mehner. Allerdings gibt er zu bedenken, dass die Tölzer Leonhardifahrt ohnedies nicht unter finanziellen Gesichtspunkt gesehen werden dürfe. Man sollte die Traditionswallfahrt "nicht zu sehr kommerzialisieren", sagt er. Außerdem wäre bei den coronabedingten Abstands- und Hygieneregeln heuer "eine Bewirtung in bekanntem Maß nicht im Ansatz möglich".

Noch unklar ist, ob der Tölzer Christkindlmarkt in den Adventswochen stattfinden kann. 44 Hütten samt Karussell und Krippe lockten in den vier Wochen vor Weihnachten im Schnitt bis zu 20 000 Besucher in die Fußgängerzone. Bürgermeister Mehner lässt die Stadtverwaltung zurzeit mehrere Konzepte prüfen. Vielleicht könne der Budenzauber mit weniger Ständen, großzügiger im Stadtgebiet verteilt oder auch auf einem anderen Areal mit mehr Platz über die Bühne gehen. "Das Entscheidende ist, dass wir keine geballten Menschenansammlungen haben."

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SZ vom 12.09.2020/aip
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