In Geretsried:Bombenentschärfung im Ausnahmezustand

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Bei Bauarbeiten im Geretsrieder Stadtteil Gartenberg wird eine Fliegerbombe gefunden. Wegen der Pandemie kann das Gelände mit 1000 Anwohnern nicht evakuiert werden. Experten fahren den Sprengkörper durch die Stadt und machen ihn im Wald unschädlich.

Von Claudia Koestler, Geretsried

"Es ist eine absolute, absolute Ausnahmesituation", betont Geretsrieds Pressesprecher Thomas Loibl, und als ob man es ihm trotz allen Nachdrucks noch nicht ganz glaubte, schiebt er hinterher: "Das betonen alle Experten." Am Dienstagmorgen haben Arbeiter an einem privaten Bauvorhaben im Geretsrieder Dompfaffenweg im Stadtteil Gartenberg eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg im Boden gefunden. Das alleine ist keine alltägliche Situation, aber in Geretsried auch keine Seltenheit, wo die US-Armee gegen Ende des Zweiten Weltkriegs einen Angriff auf das NS-Rüstungswerk der Dynamit Aktien Gesellschaft (DAG) im heutigen Gartenberg flog. Was den Fund am Dienstag zu einem außergewöhnlichen Fall machte, waren die Umstände der Entschärfung in der Corona-Krise.

Denn statt wie üblich die Bombe am Fundort unschädlich zu machen, während die Anwohner zuvor in Sicherheit gebracht werden, musste sie quer durch die Stadt in einen Wald gefahren werden. Rund 1000 Anlieger des Fundorts blieben währenddessen in ihren Häusern und Wohnungen. "Ein Vorgang, der sicher nicht zu einem Präzedenzfall wird", versicherte Loibl. Denn dass es den Experten sicherer erschien, eine womöglich noch zündfähige Bombe durch eine Stadt zu transportieren, als etwa 1000 Bürger in eine Sammelunterkunft zu bringen, zeugt von der Sorge über die Sprengkraft des Virus.

Die Bombe am Fundort. (Foto: Privat/OH)

Gegen 9.45 Uhr wurden Polizei und Rathaus über den Fund der Fliegerbombe informiert. Nachdem sich Bürgermeister Michael Müller (CSU) vor Ort über die Lage informiert hatte und der Kampfmittelräumdienst verständigt war, wurden in der Feuerwache Nord ein Krisenstab und die Einsatzzentrale eingerichtet. Nach ersten Erkenntnissen der Sprengmeister war klar: Es handelt sich um eine 75 Kilogramm schwere Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg, sehr ähnlich jener, die zuletzt im Mai 2017 Geretsried in Atem gehalten hatte. Die Experten setzten einen Sicherheitsradius von 200 Metern fest.

Doch der Krisenstab stand vor der entscheidenden Frage, wie die Bevölkerung am besten geschützt werden kann während der Entschärfung der Bombe. Normalerweise werden Wohnungen innerhalb des festgelegten Sicherheitsradius evakuiert. Polizisten und andere Sicherheitskräfte gehen dazu von Haus zu Haus, informieren und bitten die Betroffenen, möglichst zu Verwandten oder Freunden zu gehen oder während der Entschärfung weit weg in ein Café zu entfliehen. Wer diese Möglichkeiten nicht hat - ältere oder kranke Personen zum Beispiel -, für den werden Sammelunterkünfte bereit gestellt, etwa in Schulturnhallen. "In der aktuellen Corona-Krise aber hätten wir niemanden zu Freunden oder ins Café schicken können", erklärte Loibl. Damit wäre als Alternative nur die Sammelunterkunft geblieben. "Und 1000 Menschen in Turnhallen zusammenzubringen, das geht gerade gar nicht, auch nicht in einer solchen Ausnahmesituation."

Die entschärfte Bombe zurück im Auto, womit sie auch transportiert wurde. (Foto: OH)

Deshalb hätten sich die Experten entschlossen, auf die Evakuierung zu verzichten und stattdessen die Bombe abzutransportieren und in einem Waldstück im Norden der Stadt zu entschärfen. "Dazu haben wir verschiedene Orte geprüft, und einer bei Unterbuchberg eignete sich besonders, weil es städtisches Gebiet ist und zudem das Flurstück in städtischem Besitz ist", so Loibl. Dort, wo kürzlich der Schwaigwaller Bach abgedichtet wurde, gebe es nun eine Vertiefung, in die das Sprengkommando die Bombe direkt mit dem Fahrzeug bringen konnte. Außerdem konnte dort weiter der Sicherheitsradius von 200 Metern eingehalten werden, zudem schirmten Bäume ringsum das Areal ab. "Das ist eine schnelle und optimale Lösung, denn natürlich bedeutet die Verlagerung der Bombe auch ein gewisses Risiko", sagte Loibl.

Polizei und Feuerwehr riegelten kurz nach 13 Uhr auf der Route über die Böhmerwaldstraße, Blumenstraße und den Primelweg den Verkehr komplett ab. Dazu waren neben 45 Helfern der Rettungsdienste und 14 Helfern des Technischen Hilfswerks (THW) auch 47 Feuerwehrleute und 50 Beamte von Landes- und Bundespolizei im Einsatz. An jeder Einfahrt hielten sie Autofahrer, Radler und andere Verkehrsteilnehmer davon ab, in die gesperrte Straße einzufahren. Kurz vor 14 Uhr kündigten sechs Einsatzfahrzeuge der Polizei mit Blaulicht den Transport an. Sie eskortierten auf der gesamten Fahrbahnbreite den silbernen Kleintransporter des Kampfmittelräumdienstes, der mit etwa 40 Stundenkilometern die Bombe im Fahrzeuginnern in das Waldstück brachte. Gegen halb drei Uhr nachmittags meldete das Polizeipräsidium Oberbayern Süd, dass die Bombe entschärft werden konnte.

Bombe an Bord: Der Kampfmittelräumdienst fährt die Waffe durch die Stadt in einen Wald zur Entschärfung. (Foto: Hartmut Pöstges)
© SZ vom 22.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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