Süddeutsche Zeitung

In Eurasburg:Retter des verlorenen Glanzes

Pawel Michalowski legt in Beuerberg alte Inschriften und Gemälde frei, restauriert filigrane Figuren und gibt ganzen Sälen ihr ursprüngliches Aussehen zurück. Vor Überraschungen ist er dabei nicht gefeit

Von Stephanie Schwaderer, Eurasburg

Er ist der Mann, der die Männer zurück ins Kloster geholt hat. Pawel Michalowski hat sie entdeckt: die nackten Athleten im Lustgarten, die Kraftprotze in den Mauernischen, aber auch den Teufel, der da gerade durch die Pforte linst. Das Gemälde aus dem 17. Jahrhundert war lange im Besitz der Beuerberger Salesianerinnen. Im Vordergrund sinkt eine Nonne auf die Knie. Jeanne-Charlotte de Bréchard, eine der Ordensgründerinnen, erlebt ihre Bekehrungsvision. Ihre Nachfolgerinnen mochten die Männer offenbar nicht leiden. Sie griffen zu Pinsel und brauner Farbe und tilgten sie von der Leinwand. Bis Michalowski kam. Einen nach dem anderen holte er feinsäuberlich zurück und verhalf dem Gemälde zu seiner alten Tiefe - und einer guten Geschichte obendrauf.

Der erfahrene Restaurator, der in Warschau studiert hat und in Königsdorf eine Werkstatt betreibt, zählte zu den ersten Fachleuten, die vor sechs Jahren das Kloster betreten durften, nachdem die letzten Salesianerinnen es verlassen hatten. Bedrückend sei das gewesen erzählt er. "Diese Leere, dabei warten die Betten fast noch warm." In all den Kammern, Sälen und Fluren, die bislang nicht für Besucher zugänglich sind, seien die Schwestern noch immer sehr präsent. "Diese Energie, die sich hier so viele Jahre angesammelt hat, die ist für mich das Wichtigste."

Auch die Arbeit dürfte ihm im Kloster so schnell nicht ausgehen. Michalowski ist Experte für Restaurierung und Konservierung von Wandmalerei sowie von Gemälden und Skulpturen mit Polychromie. An entsprechenden Herausforderungen mangelt es nicht. Die beiden größten Arbeiten, die er zuletzt abgeschlossen hat, waren die Restaurierung des Kapitelsaals der Augustiner im Erdgeschoss - die Salesianerinnen hatten ihn in einen pittoresken Likörkeller umfunktioniert - und die Wiederbelebung des Totengangs.

Dieser war zuletzt als Rumpelkammer und Gewächshaus genutzt worden. "Für die ersten Proben musste ich mich durch einen Dschungel kämpfen", erzählt Michalowski. Wer heute durch das strahlend-weiße, fast ätherisch anmutende Gemäuer schreitet, kann sich das kaum noch vorstellen. Der Totengang gehört zu den Höhepunkten der aktuellen Ausstellung "Tugendreich". An diesem Morgen steht Michalowski mit verschränkten Armen in seiner alten Baustelle und übt sich in Bescheidenheit. Das Freilegen der alten Wandinschriften sei "Routine" gewesen, sagt er. Das Trockenlegen der Wände: "Routine." Die Reinigung der Totenschädel: "Routine." Ganz nebenbei erzählt er dann, dass vor kurzem "der Kardinal" dagewesen sei und seine Arbeit gelobt habe. Da blitzt ein Lächeln in seinem Gesicht auf.

Kardinal Reinhard Marx war auch Zeuge einer seiner größten Erfolge als selbständiger Restaurator. Im erzbischöflichen Palais in München gelang es Michalowski vor einigen Jahren, bereits verloren geglaubte Fresken von Johan Baptist Zimmermann zu restaurieren. "Der Kardinal hat mich gefragt, wie ich das geschafft hätte", erzählt er. "Ich habe geantwortet: Mit Gottes Willen. Da hat er gelacht."

Neben der Hilfe von oben braucht Michalowski vor allem gute Chemikalien. Seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center sei seine Arbeit schwieriger geworden, sagt er. Von heute auf morgen habe es bestimmte Lösungsmittel nicht mehr zu kaufen gegeben, Substanzen, mit denen sich Marienstatuen reinigen, aber auch Bomben bauen lassen. Einen gleichwertigen Ersatz habe er bis heute nicht gefunden. Einzelheiten mag er nicht preisgeben. "Bei uns arbeitet jeder für sich."

Kein Geheimnis macht er indes daraus, dass seine Fachkenntnisse in Sachen Reinigung im Beuerberger Refektorium auf eine harte Probe gestellt wurden. Wärme und Dünste im Speisesaal hatten dem Inventar schwer zugesetzt. "Auf den Gemälden sind Moose gewachsen", erzählt Michalowski, "so etwas habe ich noch nie gesehen." Ein paar Exemplare nahm er zur Entschlackung mit in seine Werkstatt nach Königsdorf, andere behandelte er vor Ort. Jetzt serviert Salome den Kopf des Johannes auf einer appetitlich herausgeputzten Leinwand, und die Jünger des Abendmahls blicken fettfrei auf die speisenden Klosterbesucher herab.

Aktuell arbeitet Michalowski wieder an Großprojekten. In den oberen Stockwerken gilt es den Kapitelsaal der Salesianerinnen und die Prälatenkapelle der Augustiner zu restaurieren, deren Wände und Stuck nicht nur Patina angesetzt haben, sondern mit allerlei Farbe aufgehübscht wurden - ein Gräuel im Auge des Experten. Er würde beide am liebsten wieder in weiß-goldene Rokoko-Räume zurückverwandeln. Christoph Kürzeder, Direktor des Diözesanmuseums Freising und Ausstellungsleiter in Beuerberg, sei da ganz auf seiner Linie, erklärt Michalowski. "Aber das ist eine Frage des Geldes."

Gerade hat er im Kapitelsaal mit Hilfe zweier Mitarbeiter eine Musterachse angelegt, die demonstriert, welches Ergebnis eine einfache Reinigung liefern würde und welches eine sachkundige Restaurierung. Dass sein Herz für Variante zwei schlägt, steht natürlich außer Frage.

Was ist die wichtigste Eigenschaft, die ein Restaurator mitbringen muss? "Ehrlichkeit", sagt er. "Das ist wie bei einem Arzt." Ein Restaurator sei da, um zu helfen, dürfe nicht pfuschen, nichts vertuschen. Und müsse alles ordentlich dokumentieren. Eben dabei ist ihm jedoch ein Fehler unterlaufen, den er sich nicht verzeihen kann. Ausgerechnet beim Bild der Jeanne-Charlotte hat er vergessen, ein Foto vom Vorher-Zustand anzufertigen. Nun sind die Männer wieder im Lustgarten, aber es gibt keinen Beweis, dass sie verschwunden waren. "Das bereue ich", sagt Michalowski und sieht wirklich zerknirscht aus. Könnte man nicht am Computer...? "Kommt nicht in Frage", antwortert er und fügt hinzu: "...sagt Herr Kürzeder." Im Tugendreich wird nicht getrickst.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2020
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