Der Maler war mehrmals am Walchensee, am Staffelsee, an den Osterseen und natürlich am Starnberger See, wo er die Hälfte des Jahres wohnt. Dort hat er das Ostufer bei Ambach morgens gemalt, nachmittags und in der Abendsonne. Er saß mit Pinsel und Staffelei auf dem immer gleichen Hügel mit Blick auf den See oder am Waldrand bei einem Stadel und einmal sogar im Boot auf dem Wasser.
In der anderen Hälfte des Jahres malte er in Korsika, blickte aus dem Fenster, über Hügel oder Hausdächer aufs Meer, oder er saß gleich direkt am Strand. Und zwischendurch dienten dem Maler Reiner Wagner die Kaffeetasse auf dem Tisch oder eine Schale mit Äpfeln, ja sogar der Aquarellkasten, die Pinsel und die Farbdosen im Atelier als Motive. Dicht an dicht hängen jetzt diese "Neuen Bilder", so der Ausstellungstitel, in den Gängen der "Seeresidenz Alte Post" in Seeshaupt. Wenn die Datierungen stimmen und wirklich alle in der aktuellen Ausstellung gezeigten Gemälde und Aquarelle im Jahr 2018 entstanden sind, dann muss Wagner Tag und Nacht gemalt haben. Viele seiner Bilder strahlen trotzdem eine große Ruhe aus. Manchen allerdings sieht man die Eile doch deutlich an, in der sie gemalt wurden.
Sorgfältige Kompositionen von Flächen, Formen und ihren Farben, ästhetische Idealwelten waren die Bilder von Reiner Wagner früher. Seine beiden recht unterschiedlichen Sehnsuchtslandschaften, einerseits das sattfarbige "Blaue Land", andererseits das sonnig-mediterrane Korsika, inspirierten ihn stets zu Bildern, die von wenigen wiederkehrenden, meist zeichenhaft verkürzten Elementen - Haus oder Hütte, Weg oder Straße, Berg oder Hügel, See oder Meer - bestimmt wurden.
Schon vor vielen Jahren lobte der ehemalige Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Erich Steingräber, die "streng komponierten und immer menschenleeren Bilder", auf denen es für "den an spektakuläre Eindrücke gewohnten eiligen Weltbürger wenig zu sehen gibt". Es seien Bilder, die ganz ohne "gefühlsbetonte Naturschwärmerei" auskämen und vielmehr im Sinne Kandinskys auf den "inneren Klang" abzielten. Solche stillen und gleichsam "aufgeräumten" Bilder mit ihrem souverän sparsamen Einsatz der malerischen Mittel und einer verhaltenen Farbpalette sind auch jetzt in Seeshaupt zu sehen. Manche meint man aus früheren Ausstellungen zu kennen. Sie sind immer noch - oder immer wieder - atemberaubend schön.
Daneben aber gibt es Bilder, die man dem Maler Reiner Wagner eher nicht zuordnen würde: Impressionistische Landschaftseindrücke, die von einem malerisch aufgelösten, sehr dynamischen und manchmal allzu großzügigen Pinselduktus bestimmt und in denen an die Stelle klarer Licht-und-Schatten-Aufteilungen von früher ein vielfarbiges Spiel des Sonnenlichts im Laub der Bäume und flirrende Reflexe auf der Wasserfläche getreten sind. Ja, sogar dramatische Wolkenstimmungen sind am Himmel zu sehen. Anstelle der komponierten Landschaften zeigt der Maler individuelle, gleichsam zufällige Ausschnitte. Wasser oder Wiese sind nicht mehr die ruhigen Farbflächen von einst, sondern werden in Nuancen gestaltet. Vieles bleibt jedoch insbesondere bei den Stillleben im Atelier, aber auch bei den neu hinzugekommenen figürlichen Darstellungen grob skizziert.
Reiner Wagner wurde 1942 in Hildesheim geboren. Er studierte Malerei in München bei Hermann Kaspar und in Berlin bei Heinz Trökes. Seit Ende der 1960er Jahre lebt er abwechselnd in Pischetsried am südlichen Ende des Starnberger Sees oder auf Korsika. Ausstellungen in der renommierten Münchner Galerie Günther Franke machten ihn bekannt, seither waren seine Bilder in ganz Deutschland zu sehen.
Noch bis 13. Januar 2019 in der "Seeresidenz Alte Post" in Seeshaupt