In der Pandemie:Annäherung erwünscht

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Rechtsanwalt Josef Hingerl und die Gruppierung "Wor tolerant" suchen nach einer gemeinsamen Basis für den Austausch von Corona-Kritikern und Impfbefürwortern.

Von Claudia Koestler, Wolfratshausen

Kürzlich waren sich Kritiker der Corona-Maßnahmen - sogenannten Spaziergänger - und die Teilnehmer der "Menschenkette für Solidarität - Wor tolerant" als Befürworter der Impfungen noch in der Altstadt von Wolfratshausen optisch wie inhaltlich gegenüber gestanden. Nun machen zumindest einige Vertreter der Lager Schritte aufeinander zu - mit konkreten Vorschlägen, aber mit unterschiedlichen Bewertungen, wie es dazu kommen soll.

"Wir haben bereits erste Gespräche geführt und hoffen auf einen weiterhin konstruktiven Diskurs", schreiben Andrea Beck, Gerald Bruschek, Konrad Huber, Ulrike Krischke, Ines Lobenstein und Peter Lobenstein von der Gruppierung "Wor tolerant" in einer gemeinsamen Erklärung. In "gegenseitiger Abstimmung und Übereinstimmung" hätten es die Teilnehmenden der Menschenkette sowie ihre Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner bereits geschafft, "auf beiden Seiten für eine besonnene Haltung zu werben, der sich sowohl die ,Spaziergänger' als auch die in der Menschenkette für Solidarität Versammelten angeschlossen haben", heißt es weiter in einer Mitteilung.

Gleichwohl sehe die Gruppierung nach wie vor die Notwendigkeit, Haltung zu den "Spaziergängen" zu beziehen und ihre Position zu formulieren. Sie hätten daher für diesen Montag, 17. Januar, eine weitere Initiative angemeldet, kündigen sie an. Sie beginnt um 18.30 Uhr, ausgehend dieses Mal von der alten Flosslände in Wolfratshausen, und soll bis etwa 19.30 Uhr dauern, um ein friedliches Zeichen für "Demokratie, Solidarität und Rücksichtnahme in der Pandemie" zu setzen.

Zur selben Zeit am selben Tag hat aber auch der Wolfratshauser Rechtsanwalt, Golfplatzbetreiber und Kritiker der Corona-Maßnahmen Josef Hingerl einen "Spaziergang" in der Loisachstadt angemeldet. "Mein Wunsch, beide Gruppen in einem Rundkurs in der Stadt zusammen zu führen, ist leider nicht im ersten Anlauf in Erfüllung gegangen", schreibt Hingerl in seiner Erklärung. Er sei jüngst bei den Maskenträgern in der Stadt dabei gewesen und hatte "in Anbetracht der frostigen Stimmung zwischen beiden Gruppen die Idee, beide Lager zu Gesprächen zusammenzubringen bei einem gemeinsamen Spaziergang". Die Kontaktaufnahme mit den "Spaziergängern" sei ihm aber nicht gelungen, "weil ich keine Organisatoren gefunden habe". Zwar sei er im Gegensatz dazu mit den Verantwortlichen von "Wor tolerant" in Kontakt, sei aber nach Gesprächen mit dem Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen und der Polizei zu dem Schluss gekommen, nicht länger warten zu können. Nachdem "Wor tolerant" inzwischen eine eigene Veranstaltung plane, habe er mit Vertretern von Kreis, Stadt und Polizei folgendes vereinbart: Für die Teilnehmer gebe es keine Auflagen, die im Vergleich zum bisherigen Spaziergang eine Einschränkung darstellen würden. Konkret heißt das: keine Masken, keine Schilder ("um Sticheleien zu vermeiden", schreibt Hingerl). Teilnehmende könnten jederzeit in den Rundgang Obermarkt, Bahnhofstraße, Am Floßkanal, Sauerlacherstraße und Johannisgasse ein- und aussteigen. Hingerl übernimmt nach eigenen Angaben die Verantwortung für den gesamten Spaziergang, er suche noch Freiwillige, die als Ordner agierten. Darüber hinaus spricht der Rechtsanwalt vom "Wolfratshauser Vorbild" für ganz Bayern, was die Aktion angehe, und spielt mit der Idee, "jede Woche eine Talkshow" über Corona-Themen und anderes mit örtlichen Vertretern verschiedener Gruppen zu organisieren. Dies habe sich ihm zufolge schon konkretisiert und bittet um Vorschläge der Gruppen für Teilnehmende.

"Die Anmeldung einer eigenen Versammlung durch Herrn Hingerl hat uns überrascht", betonen indes die Vertreter von "Wor tolerant" in einem eigenen Schreiben. "Wir hatten bereits nach allen Seiten, auch an Herrn Hingerl signalisiert, dass wir mit Vertreter/innen der Spaziergängern in Kontakt stehen und auf einen offenen Dialog hinarbeiten, der uns aus dieser allseits bedrückenden Situation hinausführt." Anders als Hingerl schreibt, habe er seinen Vorstoß "im Vorfeld nicht mit uns, aber auch nicht mit den Spaziergängern abgesprochen", schreiben diese. Gleichwohl wüssten beide Seiten sein "Angebot zur Verständigung zu würdigen". Die Gruppierung hat derweil eine eigene Idee, wie ein künftiger Dialog jenseits von Demonstrationen und Spaziergängen gestaltet werden könnte: Sie schlagen Dialogräume respektive Dialogrunden vor, in denen regelmäßig und für alle offen einzelne, vorab definierte Themen besprochen werden könnten. Klar sei, dass man damit nicht die Corona-Politik der Länder und des Bundes verändern könne, "aber beide Seiten haben den Wunsch nach einem offenen, demokratischen Austausch von Sachargumenten formuliert", heißt es in dem Schreiben.

Die wichtigste Frage an die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner war die Frage nach einer möglichen Verquickung der Spaziergänge mit rechtsextremen Gruppierungen und Gedankengut. Ihnen sei die Gefahr, sich von nicht-demokratischen, extremistischen Kräften unterwandern zu lassen, bewusst und sie möchten entschieden dagegen arbeiten. Deshalb schlagen die Vertreter von "Wor tolerant" eine Erklärung als ersten Schritt vor:

"Wir distanzieren uns von Gewalt und Extremismus gleich welcher Art. Wir bitten auch darum, von Demo-Tourismus zu den Spaziergängen in Wolfratshausen abzusehen." Schließlich müsse man sich - gerade in einer kleinen Stadt wie Wolfratshausen - wieder in die Augen sehen können. Daher bittet "Wor tolerant" erneut und gemeinsam um eine "besonnene und ruhige Stimmung am Montag auf beiden Seiten".

© SZ vom 17.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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