In der Loisachhalle:Meister der leisen Töne

In der Loisachhalle: "Klassik pur im Isartal": Florian Schötz (Violine), Pinchas Adt (Violine), Christoph Vandory (Viola), Raphael Paratore (Violoncello).

"Klassik pur im Isartal": Florian Schötz (Violine), Pinchas Adt (Violine), Christoph Vandory (Viola), Raphael Paratore (Violoncello).

(Foto: Hartmut Pöstges)

Das "Goldmund-Quartett" vereint Jugendlichkeit mit großer Musizierreife und begeistert das Publikum

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Sie ist nicht neu, die traurige Beobachtung, dass Wörter sich bei häufiger Verwendung abschleifen wie Kiesel im Sand und dabei ihren ursprünglichen Charakter allmählich verlieren. Wer denkt schon darüber nach, was es heißt, ein Instrument zu "spielen"? Konzerte wie das des jungen Goldmund-Quartetts in der Wolfratshauser Loisachhalle wirken da als Gegenmittel. Mit hörbarer Lust am Spiel widmeten sich Florian Schötz, Pinchas Adt, Christoph Vandory und Raphael Paratore Standardwerken von Haydn, Schostakowitsch und Brahms.

Vielleicht mag es deshalb auch nicht nur Respekt vor dem Vater der Gattung gewesen sein, der die Musiker dazu bewogen hatte, Haydns D-Dur-Quartett Opus 76 Nummer 5 an die Spitze des Programms zu setzen. Gerade das fünfte "Erdödy-Quartett" ist eines der Musterbeispiele für Haydns musikalischen Humor und seine Freude, Erwartungen der Zuhörer bewusst zu unterlaufen. Wer sich im ersten Satz auf die übliche Sonatenhauptsatzform gefreut hat, wird enttäuscht: Haydn macht einen nicht eben regelgerechten Variationensatz daraus. Das Goldmund-Quartett musizierte ihn mit Haut und Haar und gelangte besonders in den bravourös ausgeführten Staccato-Skalen zu großer Klangfülle. Diese wurde in den langsamen Satz hinübergetragen, der so am Anfang zu basslastig wirkte, aber bald, durch das relativ zügige Tempo und sparsamen Vibrato-Einsatz durchsichtig und schlank klang und Haydns Idee entgegenkam: cantabile e mesto. Der Satz ist zwar im seltenen Fis-Dur gehalten, doch wurde bei dieser Aufführung einmal mehr bewusst, dass sich die abgründigste Traurigkeit nicht in dramatischem Moll ausdrückt.

Nach einem mit Sinn für die metrischen Verrücktheiten gespielten Menuett folgte das pointenreiche Presto-Finale, in dem die vier Musiker mit Mut zum Nebengeräusch eindrucksvoll demonstrierten, wie viel Ungar im ersten der Wiener Klassiker steckt.

Nach dem so effektvoll interpretierten Haydn- stand mit dem dritten Schostakowitsch-Quartett ein Werk auf dem Programm, das für viele den typischen "Schostakowitsch-Sound" repräsentiert, wenn es einen solchen geben sollte: harmonische Frechheiten, häufige Taktwechsel, Anklänge an jüdische Melodien etwa. Das könnte schnell plakativ werden. Doch als hätten sie diese Gefahr im Blick gehabt, gab das Münchner Quartett den ersten Satz ganz natürlich, das Episodenhafte des Satzes gestaltend, ohne Betonung der ohnehin auffälligen dynamischen Extremfälle und Tempo-Änderungen.

Sein Talent für Differenzierung im Pianissimo konnte das Quartett im zweiten Satz beweisen. Erneut, denn schon im Haydn-Largo wurde klar: Die Musiker sind Meister der leisen Töne. In Schostakowitschs "Moderato con moto" werden die in extrem hoher Lage ausgeführten gedämpften Akkorde so zum Klopfen der Uhr, zum Warten auf die Katastrophe, die sich im Mittelsatz einstellt. Er ist eines jener Wunderwerke Schostakowitschs, entstanden 1946, in denen sich Assoziationen zwischen exotischem Stampftanz und rollenden Panzern mischen; bei der Uraufführung überschrieb der Komponist den Satz mit "entfesselte Streitkräfte". Was das Goldmund-Quartett daraus machte, wirkte dagegen überraschend dünn und zurückhaltend, was auch am relativ hohen Tempo lag. Umso spannender gestaltete sich der vierte, ein Adagio-Satz, der nicht energiegeladener hätte sein können. Auch hier perfektes Abtönen im leisen Bereich, der Dialog zwischen Bratsche und Cello gelang herausragend und wirkte als die offene Frage, die auch im letzten Satz keine Antwort findet - hier interpretiert ohne jedes falsche Pathos.

Und ebenso unsentimental und frisch klang auch der nach der Pause vorgetragene Brahms, sodass nicht automatisch das Porträt des rauschebärtigen Tonsetzers vor dem inneren Auge erschien. Sein zweites Streichquartett a-Moll entstand 1873, als er sich mit den Haydn-Variationen zum ersten Mal kompositorisch an den gesamten Orchesterapparat wagte. Die Tendenz des Goldmund-Quartetts, mit flotteren Tempi an die oft gehörten Werke zu gehen, ist mit Sicherheit keine Schwäche, im Kopfsatz des Brahms-Quartetts führte das jedoch dazu, dass die stellenweise in die Komposition eingegangene Orchesteraffinität farblos geriet oder hektisch wirkte. So das in großen Intervallen sich abwickelnde Eingangsthema, das hier keinen Klangraum erschuf, sondern zweidimensional blieb. Damit einher ging allerdings auch eine wohltuend schlichte Wiedergabe der "lusingando" (schmeichelnd) bezeichneten Stellen, die den langsamen Satz prägte. Umso stärker kontrastierte dann der energische fis-Moll-Mittelteil, bei dem Erste Geige und Cello die Mittelstimmen in die Mangel nahmen. Atmosphärisch dicht der Menuett-Satz, gefolgt vom rhythmisch komplexen Finale, das mit einer atemraubenden Coda schloss.

Mit großem Applaus dankte das Publikum dem Quartett, das bei aller Jugendlichkeit nie einen Zweifel aufkommen ließ, dass hier vier reife Künstler miteinander musizieren, immer das homogene Ganze im Blick. Ein traumhaftes Haydn-Adagio und eine launige Polka beschlossen den Abend.

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