Süddeutsche Zeitung

In Benediktbeuern:Wenn Exponate zu krabbeln beginnen

Stephan Biebl aus Benediktbeuern ist der "Holzwurmflüsterer". Der 49-jährige Ingenieur hat sich darauf spezialisiert, Museen in aller Welt bei der Schädlingsbekämpfung zu beraten

Von Stephanie Schwaderer, Benediktbeuern

Zu den überraschendsten Bekanntschaften, die Stephan Biebl in einem Museum gemacht hat, zählt der Rotbeinige Schinkenkäfer. Der fünf Millimeter lange Geselle, der vor allem bei Fleischerzeugern gefürchtet ist, hatte Gefallen an einem zeitgenössischen Kunstwerk gefunden, das vorwiegend aus verwesenden Schweineknochen bestand. Biebl stand parat, als Mitarbeiter der betroffenen Münchner Kunstsammlung die Vitrine öffneten. "Der Gestank war bestialisch", erzählt er, und seine braunen Augen leuchten vergnügt auf. Wo andere vor Ekel das Gesicht verziehen, erwachen in dem 49-Jährigen Neugier und Forschergeist. Stephan Biebl ist der Holzwurmflüsterer.

Den Spitznamen haben ihm einst ein paar Kinder gegeben. Nun steht er auf seiner Homepage und in seiner Mailadresse. "Gefällt mir deutlich besser als Schädlingsbekämpfer oder gar Kammerjäger", sagt er. Als solche haben sich seine Vorfahren verdingt. Seit 1893. "Mein Ururgroßvater war Hutmachermeister in München, bis er sich auf die Bekämpfung von Läusen und Flöhen spezialisiert hat", erzählt er. Seither hätten Generationen von Biebl-Männern in München den Kampf gegen Ratten, Wespen und Ameisen geführt. Stephan Biebl schlägt aus der Reihe. Nicht nur, weil er nach Benediktbeuern geheiratet hat, wo er mit seiner Frau und zwei Töchtern in einem alten Bauernhaus lebt. Bevor er eine Zusatzausbildung zum Schädlingsbekämpfer absolvierte, schloss er zunächst ein Ingenieurstudium im Bereich Holztechnik ab. Mit diesem Fachwissen hat er sich eine ganz eigene Nische eroberte. Biebl berät Museen und Archive bei der Schädlingsbekämpfung. Weltweit.

"Vor allem in kleineren Häusern fehlt es oft an Personal", sagt er. "Die Pflege der Depots kommt zu kurz." Zugleich würden die Schädlinge im Zeichen der Globalisierung immer reiselustiger. "Wenn Leihgaben von Dubai über Italien und Deutschland weiter nach New York wandern, dann wandern die Schädlinge mit." Etwa eine Million Insekten sind seinen Worten nach weltweit klassifiziert. An die 500 davon würden zu den "Museumsschädlingen" gerechnet. "Wobei das Wort Schädling natürlich immer eine Frage der Perspektive ist." Auch der Mensch sei gewissermaßen ein Museumsschädling. "Vornehmlich wenn er in Massen auftritt." Der Abrieb von Kleidung, fettige Hände, Schweiß - all das lasse Insektenherzen höher schlagen.

Zu den Big Five der winzigen Museumsplagen rechnet er die Kleidermotte und den Holzwurm, das Papierfischchen, den Pelz- und den Splintholzkäfer. Letzterer habe es auf edle Rahmen und Möbel, aber auch auf Oldtimer abgesehen. "Da geht es dann schnell um Millionenschäden."

Eine besondere Vorliebe hegt Biebl, wen wundert's, für den Holzwurm. "Der ist ein bisschen wie ich", sagt er, "gemächlich und gemütlich, gut einzuschätzen und ortstreu." Zum Beweis packt er einen kleinen Schatz auf den Gartentisch, den ihm ein Handwerker aus Sachsen vermacht hat. In einem Rahmen hinter einer Glasscheibe lebt Xaver, die knapp zwei Zentimeter große Larve eines Hausbockkäfers, auch großer Holzwurm genannt. Seit vier Jahren frisst Xaver sich durch die kleine Scheibe Fichtenholz. Ein eher meditatives Spektakel. Auch im Schuppen hinterm Haus lässt Biebl dem Hausbock freien Lauf. Die kleineren Löcher im Brennholz ordnet er dem gekämmten Nagekäfer zu. Auch ein winziger Bücherskorpion huscht aufgeschreckt über ein Scheit. "Ein nützliches Tier", sagt Biebl. "Der frisst die Brut der Käfer." Ein Kollege, könnte man sagen.

Wie verträgt sich seine offenkundige Faszination für die Insektenwelt mit seinem Beruf? Müsste er sich nicht eher Killer als Flüsterer nennen? Biebl lacht. "Mein Vater musste noch mit Gift arbeiten. Meine Passion ist es, mich in die Insekten hineinzudenken und sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen." Statt auf Gift setze er auf Prophylaxe und systematisches Monitoring, zudem auf physikalische wie biologische Bekämpfungsmethoden - Schlupfwespen etwa, die Motteneier fressen, oder Pheromonfallen. "Manchmal reicht es auch schon aus, ein bisschen sauber zu machen." Mittlerweile sei er nahezu ausschließlich beratend tätig - im Trachteninformationszentrum Benediktbeuern ebenso wie bei internationalen Kongressen. In vielen Museen Deutschlands, sagt er, stehe seine Telefonnummer auf der Notfall-Liste der Restauratoren. Wie bestellt, piepst in diesem Moment sein Smartphone. Ein Kollege aus Lippstadt hat ihm Bilder geschickt. Darauf zu sehen: Löcher und ein bisschen Holzstaub. Ob da der Hausbock zu Gange sei? Biebl prüft die Fotos ein, zwei Sekunden lang, dann schüttelt er den Kopf. "Wenn das Mehl so verklumpt ist wie hier, dann sind da kleine Fliegen am Werk." Entwarnung.

Trotz hausbockscher Ortstreue hat er in den vergangenen 20 Jahren eine Leidenschaft fürs Reisen entwickelt. Er schreibt in Fachzeitschriften, gibt Interviews. Was ihn jedoch mindestens genauso fesselt wie die weite Welt ist die Begegnung mit exotischen Insekten oder, besser noch, dem Hausschwamm. Für viele Leute sei dieser Pilz "ein Schreckgespenst", sagt Biebl. Er hingegen genieße die Herausforderung, sich in ihn einzufühlen: Wo kommt er her? Was tut er da? "Höchst spannend" sei das. "Wie bei Sherlock Holmes." Auf Instagram firmiert er mittlerweile unter dem Namen hausschwammfluesterer.

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SZ vom 04.07.2020
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