Immobilienpreise im Landkreis:Die Schattenseiten der Prosperität

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Bei der Fachtagung "Wohnen+" wird einmal mehr der dramatische Mangel an bezahlbaren Unterkünften und die Schwierigkeiten, gegenzusteuern, deutlich. Bezirkstagspräsident Mederer fordert die Umsiedlung von Gewerbe.

Von Alexandra Vecchiato, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Metropolregion München ist einer der erfolgreichsten Wirtschaftsräume in Europa. Rund sechs Millionen Menschen leben auf einer Fläche von mehr als 25 000 Quadratkilometern. Somit ist etwa jeder 14. Bundesbürger in der Metropolregion München zu Hause. Was für das Wirtschaftswachstum und damit die Prosperität in der Region gut ist, hat auch Schattenseiten. Vor allem auf dem Wohnungsmarkt werden diese deutlich. Bezahlbarer Wohnraum ist eine Mangelware, auch im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Betroffen sind längst nicht nur Menschen mit niedrigem Einkommen. Das Problem ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Polizisten, Pflegekräfte, Handwerker - sie alle tun sich auf dem Wohnungsmarkt schwer.

Einmal in der Woche hält der Geretsrieder Bürgermeister Michael Müller (CSU) seine Bürgersprechstunde ab. Er kann sicher sein, dass ihn drei bis fünf Bürger aufsuchen, die verzweifelt eine Wohnung suchen. Schulterzuckend müsse er sie wegschicken, sagt er, auch wenn Tränen fließen. "Das ist sehr frustrierend", betont er. Dabei gebe es im Landkreis so viel Wohnraum wie noch nie, sagte Landrat Josef Niedermaier (FW). Wie Müller nahm er an der Fachtagung "Wohnen+" im Tölzer Landratsamt teil. Mehr als 100 Fachleute und Interessierte diskutierten über die Preisexplosion auf dem Wohnungsmarkt im Speckgürtel von München.

Auch wenn es statistisch gesehen mehr Wohnraum gebe, bedeute dies nicht, dass dieser zur Verfügung stehe, sagte Niedermaier. Das Problem: Während im Jahr 1985 noch jeder Landkreisbürger im Durchschnitt auf 26 Quadratmetern lebte, seien es nun durchschnittlich mehr als 50 Quadratmeter. Bad Tölz-Wolfratshausen sei eine Zuzugsregion. Doch wenn jeder Zuzügler ein Haus bauen wolle, wie auch jedes Kind von Einheimischen, würden Grundstücke zum knappen Gut. Zumal die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank Grundstücke als Objekt für Anleger besonders begehrenswert mache.

Der Landrat forderte einmal mehr eine "ehrliche Diskussion" des Themas. Wenn er seine Eltern und Schwiegereltern darauf anspreche, sich räumlich zu verkleinern und die Häuser den Kindern zu überlassen, damit diese nicht bauen müssten, "dann werde ich von ihnen nicht gelobt".

Auch für die rege Bautätigkeit in Geretsried erhält Michael Müller kein Lob. Der Bevölkerung mangle es an Akzeptanz, wenn es um große Projekte gehe. Da heiße es dann: "Der Müller betoniert Geretsried zu. Stoppt den Wahnsinnigen." Anonyme Briefe, Drohungen und vieles mehr seien kein Spaß. "Aber die Schaffung von Wohnraum ist die Pflichtaufgabe einer Kommune", so Müller.

Von der größten Krise am Wohnungsmarkt seit der Gründung der Bundesrepublik sprach Jörn Scheuermann von der Wohnungslosenhilfe Südbayern. Grund hierfür sei eine verfehlte Wohnraumpolitik in den vergangenen 30 Jahren. Habe es 1990 allein in Westdeutschland 3,3 Millionen Wohnungen mit sozialer Bindung gegeben, seien es nun in der gesamten Bundesrepublik nur noch 1,2 Millionen. "Und es werden immer weniger."Der Staat habe sich aus den Bereichen Pflege, Gesundheit und Wohnen zurückgezogen und das Feld der Privatwirtschaft überlassen. Ihm seien viele Fälle bekannt, wo Menschen wohnungslos seien, obschon sie voll erwerbstätig sind.

Dass geförderter Wohnungsbau durchaus lukrativ sein kann, berichtete unter anderem Florian Graf von Deym von der Graf von Deym'schen Immobilien GmbH. Das Unternehmen errichtet Sozialwohnungen und betreibt sie. Im Rahmen der Einkommensorientierten Förderung, einem Mietzuschuss-Modell des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland, sei dies ein "auskömmliches" Unterfangen. "Das hat noch Potenzial", sagte der Unternehmer.

Einen anderen Ansatz verfolgt Bezirkstagspräsident Josef Mederer. Für ihn hängt eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt von einer "vernünftigen Landesplanung" ab. Es könne nicht angehen, dass jedes Unternehmen und alle Zuzügler nach Oberbayern kämen. "Wenn wir das meinen, dann haben wir eine völlige Fehlentwicklung", sagte Mederer. Industrie, Gewerbe und Dienstleister müssten bewusst in strukturschwächeren Gegenden angesiedelt werden. "Wenn es Arbeit gibt, dann ziehen die Leute dort auch wieder hin." Eine solche von staatlicher Seite gelenkte Entwicklung würde den Immobilienmarkt in Regionen wie dem Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen deutlich entlasten. Ebenso müssten "bauverzögernde Maßnahmen" abgeschafft werden.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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