Im Bergwald:Wie eine Ruine zum Kleinod wurde

Heidrun und Peter Opitz haben in langjähriger Arbeit das Schnellrieder-Haus saniert, eine der letzten alten Wolfratshauser Villen, die noch erhalten sind. Hier zu wohnen ist nicht nur Vergnügen, sondern eine echte Aufgabe.

Wolfgang Schäl

Im Bergwald: Wie ein mittelalterliches Schlösschen wirkt das Schnellrieder-Haus, das der gleichnamige Dorfschullehrer im Jahr 1903 selbst geplant und gebaut hat

Wie ein mittelalterliches Schlösschen wirkt das Schnellrieder-Haus, das der gleichnamige Dorfschullehrer im Jahr 1903 selbst geplant und gebaut hat

(Foto: Hartmut Pöstges)

"Geht Ihnen schon die Puste aus?" Wer das Ehepaar Opitz in der Schnellrieder-Villa besucht, muss erst einmal von der Beuerberger Straße hinauflaufen in Richtung Bergwald und von dort aus eine lange Reihe wenig bequemer Treppen in Kauf nehmen, eine Anstrengung, die man deutlich in den Beinen spürt. Heidrun Opitz, die oben mit freundlichem Lächeln auf ihre Gäste wartet, kennt das Gefühl ganz gut, denn in diesem Haus wohnt die pensionierte Gymnasiallehrerin mit ihrem Mann, dem emeritierten Politik-Professor Peter Opitz, schon seit 1975. Die steilen Stufen haben beide unzählige Male erklommen, was besonders dann ein zweifelhaftes Vergnügen ist, wenn der Bergwald unter einer hohen Schneedecke begraben liegt und es gilt, schwere Taschen und Getränketräger nach oben zu schleppen. Denn mit dem Auto ist das mittelalterlich anmutende Gebäude mit seinem markanten runden Erker und dem rotbraunen Jugendstil-Fachwerk im Winter oft wochenlang nicht erreichbar.

Es ist eines der letzten baulichen Kleinodien hoch über der Stadt, viele der markanten alten Villen an der Beuerberger Straße sind in den vergangenen Jahren abgerissen worden. Wer das Glück hat, hier in dieser exponierten Lage zu wohnen, ist vielleicht noch nicht wirklich ein Schlossherr, aber irgendwie eben doch: Der Blick, der sich vom Balkon an der südöstlich gelegenen Giebelseite über Wolfratshausen und das Loisachtal bis hin zur Benediktenwand bietet, vermittelt dem Gast den unbedingten Eindruck: Diese weiten Ländereien, die sich vor der blauen Bergkette im Dunst verlieren, die gehören dir ganz allein.

Im Bergwald: Die Eingangstür ist reich verziert mit Ornamenten und Tiermotiven.

Die Eingangstür ist reich verziert mit Ornamenten und Tiermotiven.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Wohnen im Schlösschen: Das ist traumhaft, aber mühsam. Als das Ehepaar das Haus 1998 von der bisherigen Eigentümerin Agathe Schwarzenbeck, einer Tochter Josef Schnellrieders, kaufen konnte, musste es von Grund auf saniert werden. Tragende Teile des Fachwerks galt es neu zu schnitzen und auszuwechseln und die maroden Stromleitungen unter Putz zu legen - "die wären sonst explodiert", versicherte der Elektriker dem Ehepaar damals. Seither ist die Arbeit nicht ausgegangen: Verschlissene Parkettböden schleifen, Fenster abdichten, feuchte Wände trockenlegen, die Außenmauern verputzen. Und der Kampf gegen den Schimmelbefall, der an dem schattigen Hang immer droht - "wir haben uns für jedes Jahr ein bestimmtes Programm vorgenommen, man musste einfach alles in die Hand nehmen", erzählt Heidrun Opitz. Erschwerend kam hinzu, dass es in den alten Gemäuern nirgends einen rechten Winkel gab und man an keiner Wand kratzen durften, ohne allerlei Überraschungen zu erleben.

Im Bergwald: Peter und Heidrun Opitz.

Peter und Heidrun Opitz.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Dies alles geschah unter dem gestrengen Auge der Behörden. Dass das Haus unter Denkmalschutz stand, haben die beiden Bewohner erst nachträglich und zufällig aus der Zeitung erfahren. Trotz Eigenleistung musste das Ehepaar viel investieren, "es kostet ja alles ein Schweinegeld", sagt die Hauseigentümerin. Mittel vom Denkmalschutz habe man, abgesehen von befristeten steuerlichen Vergünstigungen, nicht bekommen, auch keinen Ausgleich für die zusätzlichen Heizkosten, die entstehen, weil das historische Gebäude nicht mit Dämmstoffen verkleidet werden darf. Ebenso wie ihr Mann ist Heidrun Opitz jetzt umso stolzer auf das Resultat ihrer langjährigen Arbeit: "Wir haben aus einer Ruine ein Schatzkästlein gemacht."

Ein Schatzkästlein zu schaffen, das schwebte auch dem Bauherrn Josef Schnellrieder vor, der das selbst geplante Haus im Jahr 1903 errichten ließ, sehr zum Erstaunen der argwöhnischen und missgünstigen Wolfratshauser. An den Stammtischen konnte man sich nicht vorstellen, wie sich ein kleiner, miserabel bezahlter Dorfschullehrer ein derartig prächtiges Haus leisten konnte. So luxuriös, wie es schien, lebte Schnellrieder dort indes nicht: Die sechsköpfige Familie bewohnte während der Sommermonate ein winziges, zugiges Dachgeschoss und vermietete den repräsentativen Teil des Hauses an wohlhabende Münchner Ausflügler, die mit der Isartalbahn zur Erholung ins Umland fuhren oder sich dort für oft für mehrere Monate niederließen. Mit den Mieteinnahmen finanzierte Schnellrieder sein Haus. Unter den Bewohnern fanden sich prominente Familien, etwa die des Komponisten und Dirigenten Leonard Bernstein. Der pechschwarze Flügel seines Onkels steht als Schmuckstück noch heute im Wohnzimmer. Dass sich die Hautevolee der Jahrhundertwende im Loisachtal niederließ, entsprach ganz den Visionen Schnellrieders, er erhoffte sich dadurch einen Aufschwung auch für Wolfratshausen.

Schnellrieder starb 1941, seine Tochter Agathe Schwarzenbeck, die mit einem Sparkassendirektor verheiratet war, zog danach mit zwei ledigen Schwestern in das Gebäude ein. Nach deren Tod teilte Agathe, die wie ihr Vater an der Volksschule unterrichtete, das Haus mit der Familie Opitz. Sie sei ein Original gewesen und habe über einen unerschöpflichen Vorrat an Anekdoten über Wolfratshausen und seine Bewohner verfügt, heißt es in einem von Heidrun Opitz verfassten Beitrag zum Buch "Bürgertum und Boheme, das der Historische Verein Wolfratshausen zu den Bergwaldvillen herausgegeben hat. Agathe Schwarzenbeck habe aber auch größten Wert gelegt auf die Erhaltung und Wiederherstellung der Bausubstanz.

Zu dem Gebäude gehörte auch die Wasserversorgung, die bis dahin über eine hauseigene Quelle erfolgte und an das kommunale Netz angeschlossen werden musste. Alle Erdarbeiten im Umfeld des Hauses erwiesen sich als enorm aufwendig, denn der Bauplatz für das Anwesen, das heute am Josef-Schnellrieder-Weg 10 steht, war dem Berg regelrecht abgetrotzt worden. Entsprechend zerklüftet und unzugänglich ist der steile Hang, der ständig abzurutschen droht, vor allem im Bereich der vorderen Terrasse. "Da hab ich immer ein bisschen Angst, dass das eines Tages passiert", unkt Heidrun Opitz.

Ihr Mann, langjähriger Lehrstuhlinhaber am Münchner Geschwister-Scholl-Institut und Experte für die Geschichte Chinas, hat hier einen körperlichen Ausgleich zur Kopfarbeit gefunden, zu der er sich nach wie vor in den gemütlichen Erker im oberen Geschoss zurückzieht. "Man musste das alles hier erst einmal urbar machen", schildert Opitz seine Aktivitäten mit der Kettensäge. Denn einige Buchen und Tannen wären andernfalls auf das Haus gestürzt. Gewohnt ist er auch ans Holzhacken, denn die beiden historisch wertvollen Kachelöfen im Haus sind nach wie vor in Betrieb. Sie geben eine wohlige Wärme ab, die sich nach Überzeugung des Ehepaars mit keiner anderen Art der Heizung vergleichen lässt. Eine Besonderheit dabei: Die Holzscheite werden in einem Kübel per Flaschenzug auf den Balkon gezogen. Oben steht Heidrun, unten Peter Opitz - ein gut eingespieltes Ritual.

Die Sicherung des Baubestands ist mittlerweile weitgehend abgeschlossen, nachdem noch eine gefährliche, direkt über das Dach führende Hochspannungsleitung entfernt wurde. Es war "die letzte Großtat", sagt Heidrun Opitz. Ob man sich die vielen Anstrengungen noch einmal antun würde? "Es ist ein hartes, aber schönes Wohnen, man muss begeistert sein, sonst hält man nicht durch", urteilt sie im Rückblick. Man brauche Jahrzehnte, um das Haus zu beherrschen. Peter Opitz mag das gar nicht so skeptisch betrachten. "Ich würde das wieder so machen", sagt er. "Es ist doch eine sinnvolle Beschäftigung."

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