Wolfram Kastner, der Aktionskünstler, ist es gewohnt, Phänomene plakativ herauszuarbeiten. Ohne Umschweife steigt er auch am Mittwochabend in der ausverkauften Kulturbühne "Hinterhalt" ins Thema ein. Er zitiert einen französischen Spion aus der Zeit Napoleons: "Bayern ist ein irdischen Paradies, aber regiert von Idioten." Kastner setzt noch eins drauf: "Ich glaube, dass man heute keinen Spion braucht, um die Gültigkeit des Satzes festzustellen." Das Publikum ist bereits begeistert und wird es während Kastners folgender Präsentation des Vereins "Das andere Bayern" in Wort, Bild und Film bleiben.
Kastner ist zusammen mit dem Liedermacher Konstantin Wecker auf Einladung von "Hinterhalt"-Betreiberin Assunta Tammelleo nach Gelting gekommen. Alle drei sind an der Spitze des "anderen Bayern" engagiert, eines Vereins, der sich explizit der "demokratischen Kultur im Freistaat" verschrieben hat. Aktuell dreht sich da alles um den ersten bayerischen Ministerpräsidenten, den Sozialisten und Pazifisten Kurt Eisner. Um jenen Mann also, den der CSU-Ministerpräsident Markus Söder beim Staatsakt zum 100. Gründungstag des Freistaats schlicht nicht erwähnt hat. Man könnte auch sagen: Er hat ihn totgeschwiegen.
Das andere Bayern hingegen will Eisners Andenken lebendig halten. Es fordert die Umbenennung des Münchner Marienhofs in Kurt-Eisner-Platz; die Ehrenbürgerschaft für den ersten bayerischen Ministerpräsidenten; die alljährliche Verleihung einer Kurt-Eisner-Medaille für besondere demokratische, friedensfördernde Verdienste; ein Portrait Kurt Eisners an prominenter Stelle in der Staatskanzlei und einen Feiertag am 8. November - dem Jahrestag der Gründung des Freistaats Bayern.
Aber auch im neuen Museum der bayerischen Geschichte in Regensburg sehen die Vertreter des "anderen" vor allem das "eine" Bayern vertreten: Es komme kein Lion Feuchtwanger darin vor, keine Marieluise Fleißer, kein Blauer Reiter, keine Gabriele Münter und kein Herbert Achternbusch - "aber die CSU". Das Haus sei "bescheuert, gedobrindtelt und gesödert", sagt Kastner. Selbst das Datum der Ermordung Kurt Eisners sei dort falsch.
Im Blickfeld des "anderen Bayern" liegt freilich auch ein Ort im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen: Dietramszell mit seinem jahrzehntelangen ungebrochenen Gedenken an den "Steigbügelhalter Adolf Hitlers" Paul von Hindenburg. Vor fünf Jahren hat der Aktionskünstler die Hindenburg-Bronzebüste des Nazi-Bildhauers Josef Thorak demonstrativ von der Dietramszeller Klostermauer entfernt und sie mit einem Hakenkreuz als Augenklappe versehen auf dem Grundstück der Familie von Schilcher abgelegt, auf deren Anwesen Hindenburg zehn Jahre lang seine Sommerurlaube verbracht hatte.
In Kurzfilmen zeigt Kastner andere Aktionen: eine mit Demonstranten in Nazi-Uniformen und solchen mit Judensternen in der Münchner Fußgängerzone zum Gedenken an das Novemberpogrom 1938; eine mit ihm selbst als Papst im weißen Gewand, neben dem ein Mann in Hitler-Maske geht, in Anspielung auf das bis heute gültige Reichskonkordat von 1933; eine gegen die "Ludwigserei", bei der eine Gruppe just dort baden geht, wo die angebliche Todesstelle König Ludwigs II. im Starnberger See mit einem Kreuz und Badeverbot gekennzeichnet ist.
"Club der toten Dichter"
Nach der Pause im "Hinterhalt" schließt sich Konstantin Wecker mit einem Dank an Kastner an - "für deinen jahrzehntelangen Widerstand". Denn Widerstand, das ist auch für den Liedermacher ein zentrales Wort. "Poesie des Widerstands", so lautet die Unterzeile seines aktuellen Buchs "Auf der Suche nach dem Wunderbaren". Er liest daraus, steht dann und wann auf, um ein wenig a capella zu singen, erzählt vom kleinen "Club der toten Dichter" seiner Gymnasialzeit und leitet mit einem "Nein, ich hör nicht auf zu träumen von der herrschaftsfreien Welt" ein Bekenntnis zu einem anarchischen und pazifistischen Leben ein.
Zwischendurch ein ganz anderes Bekenntnis: Aus seiner Biografie liest Wecker jene Passagen, welche die Anfänge seiner rechtzeitig beendeten Laufbahn als Schauspieler beschreiben - als Darsteller in Softpornos. Er verschleiert nichts, schildert klar, aber mit einer Art Altersmilde seine Erfahrungen.
Schließlich erzählt er die erschütternde Geschichte von Janusz Korczak, jenem Kinderarzt und Pädagogen, der 1942 seine Waisenhaus-Kinder in den Tod im Vernichtungslager Treblinka begleitete. Bis in den eigenen sicheren Tod. "Die Welt reformieren heißt die Erziehung reformieren", zitiert Wecker Korczak und stimmt seine persönliche Hymne auf die Weiße Rose an: "Es geht ums Tun und nicht ums Siegen." Ende des Abends? Nein, eins geht doch immer noch: "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist." Was wäre der schönste Widerstand ohne diese wunderbare Sehnsucht.