Tierschutz im Landkreis:Beliebt, bedroht, in Not

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Immer mit Handschuhen: Georg Osterhuber hält einen Igel, den er gerade in Gaißach pflegt. (Foto: Manfred Neubauer)

Igel zählen zu den beliebtesten Gartenbesuchern der Deutschen. Seit Ende Oktober stehen die Tiere des Jahres jedoch als „potenziell gefährdet“ auf der Roten Liste. Ein Besuch bei zwei Helfern, die sie unbedingt retten wollen.

Von Finn Sanders, Gaißach

Igel Ferrari hat schlechte Laune. Wer hätte die auch nicht, wenn er von einem Mann mit Gartenhandschuhen aus dem Bett direkt auf einen hell beleuchteten OP-Tisch gehoben wird? Allerdings ist das für den Jungigel Alltag. Trotzdem faucht er. Strampelt. Versucht sich loszumachen. Mit nur circa 80 Gramm Körpergewicht ist er sechs Wochen zuvor zu Georg Osterhuber und Editha Schneider gekommen. Die beiden ehrenamtlichen Igelhelfer aus Gaißach kümmern sich um ihn, seinen Bruder Bugatti und 17 weitere kranke und verletzte Artgenossen. Die Diagnose bei Ferrari: Unterernährung, Milben am Kopf und im Pelz, Pilzerkrankung.

In einem Raum, der als Krankenstation dient – aber eher wie ein Pumakäfig riecht – stapeln sich auf etwa zehn Quadratmetern ebenso viele Gitterboxen, jede mit einem Igel belegt. Die restlichen neun Tiere sind im übrigen Haus untergebracht. In einer Ecke steht eine Flasche mit medizinischem Sauerstoff, auf einem Regal thront ein Inkubator. Links davon ein Absauggerät und ein Mikroskop. Hinter der Zimmertür türmen sich Dosen mit Katzenfutter, in einer anderen Ecke stapeln sich Zeitungen zum Auslegen der Käfige. Immer wieder ertönen schnaufende, grunzende Laute. „So husten Igel“, erklärt Schneider.

Ein Inkubator versorgt die Igel mit Wärme und bei Bedarf mit zusätzlichem Sauerstoff. (Foto: Manfred Neubauer)

Über jeden Patienten führen Schneider und Osterhuber penibel Buch. Die häufigsten Probleme sind Unterernährung und Parasiten – aber auch Verletzungen. Mehrere dicke Ordner voller Unterlagen sind so schon zusammengekommen. Seit 2016 kümmern sich die beiden um die Tiere. „Die Viecher tun uns eben unendlich leid“, sagt die 63-Jährige. Die Pflege entspricht ungefähr zwei Vollzeitjobs. Schneider übernimmt die Tagschicht ab etwa fünf Uhr, ihr Mann kümmert sich nachts um die Tiere. Babyigel müssen alle zwei Stunden gefüttert werden, rund um die Uhr, jeden Tag. Momentan, fügt Schneider mit einem Lächeln hinzu, sind die Tiere aber zum Glück alt genug, dass sie beide nachts durchschlafen können.

Ferrari hat die Untersuchung mittlerweile überstanden. Der Schorf, den die Milben an seinem Kopf verursacht haben, ist immer noch dick. Er muss bleiben, bis alles abgeheilt ist und der Igel mindestens 650 Gramm auf die Waage bringt. 380 Gramm hat er schon erreicht. Bis dahin darf er zurück in seinen Käfig. Dort wartet eine Tasche aus dickem Stoff als gemütliches Versteck. Daneben stehen zwei Schalen mit Futter: Soldatenfliegenlarven – eine besonders eiweißreiche Insektenart – und Katzennassfutter mit Rinderfettpulver. „Igel sind reine Fleischfresser und benötigen dringend Proteine“, erklärt Schneider. In der Natur ernähren sie sich fast ausschließlich von Insekten – von denen es jedoch immer weniger gibt.

Georg Osterhuber und Editha Schneider leisten für die Igelpflege praktisch Vollzeitarbeit im Schichtbetrieb. "Die Viecher tun uns eben unendlich leid", sagt Schneider. (Foto: Manfred Neubauer)

Eine im Magazin Nature veröffentlichte Studie unter der Leitung von Sebastian Seibold und Wolfgang Weisser ergab, dass die Biomasse von Fluginsekten in deutschen Graslandgebieten zwischen 2008 und 2017 um durchschnittlich 78 Prozent abgenommen hat. „Wenn sie nicht genug Insekten finden, weichen die Igel vermehrt auf Schnecken aus“, erklärt Schneider. Das wird für sie zum Problem: „Schnecken sind Träger von Parasiten“, ergänzt Osterhuber. Wenn Igel also Schnecken fressen, sind sie meist bereits unterernährt und ihr Immunsystem geschwächt – ein leichtes Spiel für Parasiten, die den Igel befallen.

Die beiden ehrenamtlichen Helfer haben sich über die Jahre ein enormes Wissen angeeignet. Sie führen selbst Kotuntersuchungen mit dem Mikroskop durch. „Die sind extrem wichtig, weil die Igel die Würmer ausscheiden, und man anhand der Eier gut sehen kann, welche Wurmarten es sind. Die Tiere werden dann spezifisch danach behandelt“, erklärt Schneider.

Es ist mittlerweile Abend, und Schneider und Osterhuber müssen sich noch um Minnie kümmern. Die Igeldame leidet unter wunden Füßen, was einen erheblichen Pflegeaufwand bedeutet. „Sie rennt nicht durch die Gegend, sie geht immer nur ein Stück. Und trotzdem hat sie offene Füße“, berichtet Schneider. Um die Heilung zu unterstützen, werden Minnies Pfoten täglich in Rivanol gebadet – einer antiseptischen Lösung, die Entzündungen hemmt und die Wundheilung fördert. Obwohl es hilft, zeigt Minnie zunächst wenig Einsehen, zieht erst die Füße an den Körper und strampelt dann, sodass das gelbe Rivanol über den Tisch spritzt. Doch schließlich ergibt sie sich in ihr Schicksal. „Nach dem Bad cremen wir ihre Füße ein“, fügt Schneider hinzu. „Das hilft für zwei Tage, aber dann beginnt alles wieder von vorn.“

Igeldame Minnie braucht spezielle Behandlung. (Foto: Finn Sanders/oh)

Ein anstrengendes, zeitaufwendiges und teures Hobby. Jedes Jahr kostet die Pflege der Igel 4000 bis 5000 Euro, erklärt Schneider. Etwa 120 Tiere pro Jahr behandeln die beiden zusammen, sagt Osterhuber, etwa drei Viertel von ihnen kommen durch. Dazu sind sie auf Spenden angewiesen, auch von Futter oder Zeitungspapier. Und ihre Arbeit ist nicht ungefährlich. „Igel haben auch zoonotische Krankheiten, die auf den Menschen übergehen können“, warnt Schneider. Vor allem Pilzerkrankungen würden leicht überspringen. Daher behandeln sie die Igel nur mit Handschuhen, waschen sich die Hände mit spezieller Seife und desinfizieren regelmäßig alles, was mit den Tieren in Kontakt kommt. Warum sie den Aufwand betreiben? „Wenn man sieht, was die Viecher für Schmerzen haben – was soll ich denn machen außer helfen?“, erklärt Schneider ihre Motivation.

Beide Igelhelfer betonen, wie wichtig die natürliche Umgebung für das Überleben der Tiere ist. Erinaceus europaeus – der Braunbrustigel – spielt als Kulturfolger eine wichtige Rolle in Parks und Gärten. Als Insektenfresser tragen die Tiere zur natürlichen Schädlingskontrolle bei und fördern ein gesundes Gleichgewicht. „Laufkäfer, Regenwürmer und andere kleine Insektenarten stehen ganz oben auf ihrer Speiseliste“, erklärt Schneider. Doch sterile, aufgeräumte Gärten und intensive Gartenpflege machen es ihnen zunehmend schwer. Nahrungsmangel und Kollisionen mit Gartengeräten werden für die nachtaktiven Tiere zur wachsenden Bedrohung. Die Stadt Köln hat bereits reagiert und im Oktober ein Nachtfahrverbot für Mähroboter eingeführt – zum Schutz der Igel, die in den dunklen Stunden auf Nahrungssuche gehen.

Was Gartenbesitzer außerdem tun können:

  • Unterschlupf schaffen: Unaufgeräumte Bereiche mit Laub- oder Reisighaufen bieten Igeln Schutz bei niedrigen Temperaturen und plötzlichem Schnee.
  • Durchlässige Garteneinfriedungen: Kleine Lücken in Zäunen und Mauern helfen Igeln, leichter von Garten zu Garten zu laufen und Straßen zu umgehen.
  • Vorsicht bei Laubbläsern: Diese Geräte entfernen nicht nur das Laub, sondern auch zahlreiche Insekten, die Igel als Nahrung benötigen.
  • Auf Mäharbeiten achten: Rasenmähroboter idealerweise nur tagsüber betreiben. Sie haben bereits zahlreiche Igel verletzt oder getötet. Bei Motorsensen kann ein kurzer Blick unter Büsche und Hecken Leben retten.
  • Verzicht auf Pestizide und Schneckenkorn: Igel können vergiftete Insekten oder Schnecken fressen und erkranken. Auch als „igelfreundlich“ deklariertes Schneckenkorn ist nicht immer ungefährlich, warnt Schneider.

Bürger können helfen: Die Igel-Challenge

Um mehr über die Verbreitung und den Zustand der Igelpopulationen zu erfahren, hat der Bund Naturschutz (BN) die „Igel-Challenge“ ins Leben gerufen. Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, ihre Igelbeobachtungen mit der kostenlosen App ObsIdentify zu melden. Durch das Sammeln dieser Daten können Gefahrenquellen identifiziert und gezielte Schutzmaßnahmen ergriffen werden. „Je mehr Menschen mitmachen, desto besser können wir den Igeln helfen“, betont Monika Schotte vom BN in Wolfratshausen. Die Aktion läuft noch bis einschließlich September 2025.

Wer einen unterernährten oder verletzten Igel findet, kann selbst helfen – doch das will gut überlegt sein. „In den meisten Fällen ist eine vorübergehende Pflege erlaubt, wenn der Igel krank, verletzt oder offensichtlich zu schwach ist, um den Winter zu überleben“, erklärt Georg Unterholzner, Amtstierarzt im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Da Igel zu den geschützten Wildtieren gehören, ist die Pflege grundsätzlich nur in Ausnahmefällen und kurzzeitig gestattet. Das Ziel muss immer sein, die Tiere wieder auszuwildern. In jedem Fall sollte fachkundiger Rat eingeholt werden.

Die Käfige mit den Igeln stapeln sich im Gaißacher Behandlungszimmer. (Foto: Manfred Neubauer)

Mit der richtigen Nahrung kann man einem geschwächten Igel unter die Arme greifen: „Katzennassfutter, rohes Hackfleisch oder gekochtes Ei sind geeignet“, betont Unterholzner. Solange Babyigel keine Zähne haben gehen auch speziell aufbereitete Katzen- oder Hundemilch, erklärt Schneider – Igel sind laktoseintolerant und sollten deshalb keine gewöhnliche Milch bekommen. Sobald sie aber Zähne entwickeln, brauchen sie unbedingt Fleisch, um die Versorgung mit Protein sicherzustellen, sagt die Igelhelferin. Sonst riskiere man eine Unterernährung. Wer Nahrung für Igel nach Draußen stellt, erklärt Unterholzner, sollte nur kleine Mengen füttern und darauf achten, dass die Nahrung nicht verdirbt. Gesunde Igel benötigen kühle, ruhige Plätze, wenn sie vorübergehend untergebracht werden müssen, idealerweise bei Temperaturen um fünf bis zehn Grad, die ihrem natürlichen Winterschlaf entsprechen, so der Tierarzt. Verletzte oder stark unterernährte Igel hingegen müssen gewärmt werden, bevor sie Medikamente oder Nahrung bekommen, erklärt Schneider.

Gerade im Herbst und Winter wird die Lage für die kleinen Tiere kritisch. „Wir erwarten jetzt bald Schneefall – das macht es den Igeln besonders schwer“, meint Schneider. Sie hat kürzlich einen Jungigel mit nur 410 Gramm aufgenommen, der ohne menschliche Hilfe einen plötzlichen Wintereinbruch wohl nicht überlebt hätte. Mindestens 500 Gramm sollte ein Igel vor dem Winterschlaf wiegen, besser noch 600 bis 650 Gramm, sagt Osterhuber. Durch den unerwarteten Kälteeinbruch sind schwache Tiere oft nicht in der Lage, die nötigen Fettreserven anzufressen, um gesund in den Winterschlaf zu gehen. „Es ist für die Jungtiere einfach eine kritische Zeit“, erklärt sie. Trotz der vielen Arbeit sind sich Osterhuber und Schneider einig: „Wir machen weiter bis wir nicht mehr können“ – denn Ferrari, Bugatti, Minnie und die anderen benötigen ihre Hilfe.

Wer einen Igel findet, der dringend versorgt werden muss, kann sich beim Bund Naturschutz, dem Landesbund für Vogelschutz, den Tierheimen sowie Tierärzten melden. Diese vermitteln meist an private Igelhelfer weiter.

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