Süddeutsche Zeitung

Konzertkritik:Klezmer mit Derwisch

Lesezeit: 2 Min.

Das Ensemble Noisten liefert in Iffeldorf einen musikalischen Dialog zwischen Judentum und Islam.

Von Anja Brandstäter, Iffeldorf

Minutenlang dreht sich der Derwisch Talip Elamsulu gleichmäßig um die eigene Achse. Die Arme weit ausgebreitet, den Kopf leicht zur Seite geneigt, die Augen geschlossen. Sein Gesicht ist dabei völlig gelöst. Er trägt einen langen roten Rock, der durch die Drehbewegung fast in die Waagrechte wirbelt. Musikalisch begleitet wird er von dem Neyflötisten Murat Cakmaz und dem Ensemble Noisten. Das sind Reinald Noisten an Klarinette und Bassklarinette, der Gitarrist Claus Schmidt, Andreas Kneip am Kontrabass und Shanmugalingam Devakuruparan, der die Percussions bedient.

An diesem Abend nimmt das Ensemble Noisten die Zuhörer mit auf eine musikalische Reise nach Osteuropa, in den Orient und nach Indien. Fröhliche und melancholische Klezmer-Klänge treffen bei den Iffeldorfer Meistersolisten am Samstagabend auf die aus dem islamischen Kulturkreis kommende Sufi-Musik und begeistern das Publikum. "Klezmer trifft Derwisch" heißt das Programm, welches das Ensemble Noisten, gemeinsam mit den beiden Gästen Murat Cakmaz und Talip Elamsulu, entwickelt hat, um zwei verschiedene Kulturen musikalisch gegenüberzustellen und zu verbinden. Das Interesse an dieser Weltmusik ist groß: Das 1998 in Wuppertal gegründete Ensemble spielt vor ausverkauftem Haus im Gemeindezentrum Iffeldorf. Die Pandemie scheint kaum jemanden zu interessieren, nur wenige Zuhörer tragen Masken.

Bei "Freilach", was so viel wie fröhliches Stück heißt, möchte man am liebsten aufstehen und mittanzen. Es ist ein mitreißendes Stück im 2/4-Takt. Auf Jiddish sagt man: "a freylekhs shtikele" - ein fröhliches Stückchen. Die Hauptrolle übernimmt hier die Klarinette. Anders verhält es sich bei den indischen Klängen, die der aus Sri Lanka stammende Shanmugalingam Devakuruparan mit Schlaginstrumenten wie Tabla, Mirudangam oder Kanjira erzeugt, die aus der indisch-tamilischen Musiktradition stammen. Unterstützt wird er dabei von dem Gitarristen Claus Schmidt und dem Kontrabassisten Andreas Kneip. "Gewidmet ist das Stück der hinduistischen Gottheit Shiva, dem Gott des Tanzes", sagt Reinald Noisten, der den Abend moderiert.

Was würde passieren, wenn ein Rabbi, ein Imam, ein Künstler, ein Pfarrer und ein Buddhist sich in Jerusalem treffen würden, um zu tanzen? Das fragt sich Reinald Noisten. Sicherlich etwas Positives. Viel Gutes nimmt auch das Publikum mit: Fremde Klänge wandern in die Herzen, erzeugt von hierzulande eher wenig verbreiteten Instrumenten, wie der Neyflöte oder der Schalenhalslaute Bouzouki und ungewöhnlichen Schlaginstrumenten. "Wir können schon alle miteinander", das ist die Botschaft von Bandleader Reinald Noisten. "Alle Religionen, egal ob Islam, Judentum oder Christentum, wollen das Gleiche: Liebe und Frieden", sagt er. Musik verbindet, egal wo sie herkommt. Darüber hinaus beeindruckt der Auftritt des Derwischs Talip Elamsulu. "Sein Tanz ist eine Meditationsübung, mit der er die Nähe zu Gott sucht", erklärt Noisten.

Ein begeistertes Publikum spendet frenetischen Applaus für das mitreißende Hör- und ­Seherlebnis und wird mit zwei Zugaben belohnt. Darunter eine Bearbeitung von Beethovens "Ode an die Freude". "Beethoven hatte nicht die Gelegenheit, den Orient zu bereisen, aber aus seiner Feder stammt das Stück ,Chor der Derwische'", sagt Noisten zum Abschluss.

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