Iffeldorf:"O Fortuna" zwischen Kühen und Kornblumen

Das hätte Carl Orff gefallen: Die "Klangkunst im Pfaffenwinkel" unter Andrea Fessmann inszeniert die Carmina Burana mit exzellenten Solisten vor passender Kulisse

Von Paul Schäufele, Iffeldorf

Mit magischen Bildern, "atque imaginibus magicis", sollen Carl Orffs Vertonungen der Benediktbeurer Lieder aufgeführt werden. Was der Komponist mit dem rätselhaften Untertitel zu seinem berühmtesten Werk, den "Carmina Burana", gemeint haben mag, ist bis heute Gegenstand von Diskussionen. Doch damit wäre Orff - dessen Werk erklärtermaßen ohne die bayerische Landschaft nicht denkbar wäre - mit dieser Kulisse also wäre Orff sicher zufrieden gewesen. Chor und Ensemble haben sich unter der Leitung von Andrea Fessmann vor dem Iffeldorfer Gemeindestadl versammelt, Wald und Seen in unmittelbarer Nähe. Mit Sing- und Spielfreude feiern die Musikerinnen und Musiker die wiedergewonnene Möglichkeit, vor Publikum auftreten zu können. Und das dankt mit Ovationen.

Der lange Applaus, mit dem das Konzert abschließt, zeigt, wie überzeugend die Aufführung dieses letzten echten Welterfolgs der klassischen Musik gewirkt hat. Das liegt auch am Werk selbst, an der Faszination, die Orffs Vertonungen lateinischer und mittelhochdeutscher Verse seit ihrer Uraufführung 1937 ausüben. Egal, was man sonst von Orff halten möchte, das war sein Geniestreich.

Orff nimmt Texte, die zwar 700 Jahre alt sind, aber Problemfelder beackern, die jeden angehen (glückliche und unglückliche Liebe, Natur und Vergänglichkeit, Essen und - , vor allem - Trinken). Diese Texte verbindet er mit einer an den Alten Meistern geschulten Musik, die kinderliedhaft eingängig ist, repetitiv und statisch, aber nicht langweilig; denn der Münchner Komponist weiß zwar um die Kraft nachpfeifbarer Melodien, aber auch, wie mitreißend extravagante Rhythmik wirkt und ein exotisches Instrumentarium.

Iffeldorf: Anna Karmasin singt mit dunkeltimbriertem Sopran. Der Tölzer Knabenchor verkündet, dass Amor überall fliegt.

Anna Karmasin singt mit dunkeltimbriertem Sopran. Der Tölzer Knabenchor verkündet, dass Amor überall fliegt.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Das lässt sich schön nachvollziehen in der Fassung, die Orffs Schüler Wilhelm Killmayer erstellt hat. Anstatt des großen Orchesters treten dem Klangkunst-Chor, verstärkt durch den trotzcorona-Chor und die Tölzer Knaben, nun zwei Flügel gegenüber (Anne Horsch und Klaus Fessmann) sowie großes Schlagwerk, das den typischen Carmina-Burana-Sound entscheidend prägt. Hier trommelt und ratscht, klappert und klingelt das Index 4 Percussion-Ensemble (Yuko Saito, Stefan Gimpel, Christopher Fellinger und Leander Kaiser), unterstützt durch Andreas Langanki.

Also eine stattliche Zahl Musikbegeisterter, die nun anhebt, die berühmte Initiale "O Fortuna" in den Abend zu rufen. Das ist vielleicht der einzige Moment, der ein wenig enttäuscht, denn natürlich verliert und verflüchtigt sich der Klang auch vieler Dutzender Stimmen auf der weiten Wiese zwischen Kühen und Kornblumen.

Doch was folgt, ist eine engagierte, vollmundig-temperamentvolle Interpretation der Carmina, die in jeder Nummer des Werks die charakteristische Stimmung herauszubringen sucht. So etwa in dem spröden Klagegesang über die Unbeständigkeit der Schicksalsgöttin Fortuna, deren Abbildung als Raddreherin Orff im Codex Buranus sehen konnte - wer jetzt oben sitzt, wird einmal auch unters Rad kommen. Doch bald geht der düstere Chor über in den ersten Teil der "cantiones profanae" (weltliche Gesänge), wie die vage Gattungsbezeichnung Orffs lautet.

Iffeldorf: In herrlicher oberbayerischer Atmosphäre entfalten sich bei der "Klangkunst" die Beurer Gesänge.

In herrlicher oberbayerischer Atmosphäre entfalten sich bei der "Klangkunst" die Beurer Gesänge.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Mit Xylofonschlägen kommt der Frühling an, lädt zu ausgelassenen Tänzen ein und weckt erotische Ambitionen. "Ecce gratum", seht den Holden, so wird die Jahreszeit begrüßt, schwungvoll und mit Witz die simplen Melodien ausfüllend. Das alles passiert "uf dem anger", wo auch das Publikum sitzt. Wobei es fast stilgemäßer wäre, aufzuspringen und Volkstänze zu üben, schließlich hat sich Orff hier an den bayerischen Zwiefachen orientiert, einem schnellen Paartanz mit häufigen Taktwechseln. Jodelnd überschwänglich und mit sichtbarer Freude entwirft der Iffeldorfer Chor ein pastorales Frühlingsbild, ehe der Szenenwechsel stattfindet.

Vom hellen Anger in die dunkle Kneipe. Thomas Hambergers geerdeter Bariton stimmt darauf ein, "voluptatis avidus", begierig nach Sinnenlust, was nicht mehr viel mit zarten Neckereien auf grüner Wiese zu tun hat. Dass dass Fressen und Saufen nicht ohne Schaden zu haben sind, davon singt der gebratene Schwan sein Lied. Im Hitze-Stress schluchzt das schwarze Geflügel, dreht sich am Spieß über offenem Feuer und sieht schon die gebleckten Zähne auf sich zukommen. Kein Wunder, dass ihm dabei gelegentlich das hohe D aus der Kehle kiekst. Dieses berüchtigte Tenor-Solo meistert Oscar de la Torre mit Leichtigkeit und Ironie.

Iffeldorf: Andrea Fessmann gibt den Takt vor.

Andrea Fessmann gibt den Takt vor.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Ein Hymnus auf den Alkoholgenuss beschließt die Episode in der Taverne. Dramaturgisch wirksam ist hier der Kontrast. Denn nach den grölenden Männern verkündet der Tölzer Knabenchor: "Amor volat undique", Amor fliegt überall, besonders hier, im Hof der Liebe, dem Cour d'amours.

An die federleichten Stimmen der Jungen schmiegt sich Anna Karmasins voller, dunkel timbrierter Sopran. Zart und verspielt, robust und dramatisch, stellenweise verjazzt, mit nicht nachlassender Energie, so führt das Iffeldorfer Ensemble durch den Hof der Liebeslieder, bis nach Karmasins ausgedehntem Seufzer "O dulcissime" die Kantate mit dem jubelnden "Ave formosissima" ihren Höhepunkt erreicht. Doch weil Fortunas Rad den Kreis vollenden muss, kehrt hier der Eingangschor wieder.

Diese Idee ist so einfach wie genial, was man auch über das Konzept der Klangkunst-Leiterin Andrea Fessmanns insgesamt sagen kann. Sängerinnen und Sänger mit Lust am Musizieren, ein verlässliches Instrumental-Ensemble und exzellente Solisten, das alles vor einer passenden Kulisse - hier kommen die drei Elemente, die Carl Orff am wichtigsten waren, auf schlüssige Weise zusammen: Musik, Sprache und Raum.

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