Ausstellung im Kunstraum OltremareWesensgleich, aber nicht identisch

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Zwei Meister des Siebdrucks: Michael Eckle (links)  mit seinen Medusa-Variationen und Jozef Melichercik mit Gesichts-Tattoos unterschiedlicher Kulturen.
Zwei Meister des Siebdrucks: Michael Eckle (links)  mit seinen Medusa-Variationen und Jozef Melichercik mit Gesichts-Tattoos unterschiedlicher Kulturen. (Foto: Hartmut Pöstges)

„No Pokerface“: Die Künstlerfreunde Michael Eckle und Jozef Melichercik zeigen in ihrer Ausstellung „individuelle und komplexe Identitätskonzepte“.

Von Felicitas Amler, Münsing

Der Begriff „Identität“ hat in den vergangenen Jahren eine stark aufgeladene politische Bedeutung erfahren. „Identitätspolitik“ richtet sich auf die Interessen unterschiedlicher Gruppen, die sich etwa durch Ethnie oder Geschlecht, durch sexuelle Orientierung, soziale Klasse oder Religion definieren. Hier ordnet sich auf künstlerische Weise auch die neue Ausstellung in Michael Eckles Kunstraum Oltremare in Münsing ein. Unter dem Titel „No Pokerface“ vereint sie Werke der beiden Künstlerfreunde Eckle und Jozef Melichercik.

Es sind handwerklich vollendete Siebdruck-Arbeiten, die sich einerseits mit Tätowierungen (Melichercik), andererseits mit traditionellen großen Meisterwerken der Kunstgeschichte (Eckle) auseinandersetzen. Die beiden Kollegen erforschen, so sagen sie, „in der Kombination von figurativer Darstellung und Tattoo-Kunst individuelle und komplexe Identitätskonzepte, die über traditionelle Kunstformen hinausgehen“. Das mag grau-theoretisch und abgehoben klingen, zeigt sich aber farbintensiv und offenbart bei mehr als oberflächlicher Betrachtung bewegende persönliche Geschichten.

Alle Werke dieser Ausstellung sind Siebdrucke auf der Grundlage bearbeiteter Fotografien. Das Spektrum des Dargestellten allerdings ist breit, es reicht von der Renaissance und dem Barock bis zur Jetzt-Zeit, von Fra Angelicos ätherischem Engel aus der „Verkündigung“ und Caravaggios furchterregender Medusa bis zu Tattoos mafiöser Gangs in Südamerika oder eines finnischen Fotomodells. Pokerfaces - also ausdrucks- und emotionslose Gesichter - sind dies allesamt tatsächlich nicht.

Zeichen von Freiheit, aber auch Stigmatisierungen

Jozef Melichercik hat sich tief in die Geschichte und die Traditionen von Tattoos eingearbeitet. Er präsentiert Gesichtstätowierungen aus drei verschiedenen Kulturen und verweist damit auf drei ganz eigene Identitäten. Heutige europäische Tätowierungen seien rein ästhetisch motiviert, erklärt er, sie seien damit Zeichen von Freiheit. Die Tattoos, genannt Tā moko, der indigenen Maori Neuseelands machten Herkunft und Volkszugehörigkeit sichtbar. Hingegen signalisierten die von ihm ausgewählten Motive in mexikanischen und südamerikanischen Gesichtern die Mitgliedschaft in Gangs - für den Künstler ein Ausdruck der Unfreiheit.

Technisch unterscheiden sich die Siebdrucke der beiden Künstler in der Anzahl der farblichen Lagen. „Ich schichte sehr gern“, sagt Melichercik. „Michael dagegen verwendet nur eine oder zwei Farben - und es entsteht trotzdem ein Bildraum.“ Das ist aber mitnichten der einzige Unterschied.

Michael Eckle mit dem Sieb seiner Druckvariationen der Medusa.
Michael Eckle mit dem Sieb seiner Druckvariationen der Medusa. (Foto: Felicitas Amler/oh)
Eine Technik, zwei Sujets: Michael Eckles „Urbild eines Engels“ nach Fra Angelico (links) und Jozef Melicherciks Tattoo-Verfremdung.
Eine Technik, zwei Sujets: Michael Eckles „Urbild eines Engels“ nach Fra Angelico (links) und Jozef Melicherciks Tattoo-Verfremdung. (Foto: Hartmut Pöstges)

Bei aller freundschaftlichen Verbundenheit und künstlerischen Harmonie, welche die Kollegen betonen, liegen zwischen ihren Motiven Welten. Es lohnt sich, mit Michael Eckle über seine Herangehensweise zu sprechen. „Ich arbeite aus meiner Biografie heraus“, sagt er. Und da eröffnen sich für alle, die nur den „Blauen Michael“ kannten, also den unentwegten Erforscher der Farbe Blau, den jahrelang an monochromen und doch tiefgründigen ultramarinen Bildern arbeitenden Künstler, ganz neue Horizonte.

„Mein Archiv - der Kopf“

Eckle ist ein profunder Kenner der Kunstgeschichte, ein akademisch gebildeter Maler, der in seiner Anfangszeit noch ganz realistisch gearbeitet hat. All seine heutigen Motive, jene Vorlagen großer Meister, die er farblich und technisch verfremdet, hole er „aus meinem Archiv heraus“, so sagt er. Und er meint damit seinen Kopf, in dem er seit seiner Kindheit in einem kunstsinnigen schwäbischen Pfarrershaushalt Bilder gespeichert hat. Schon morgens beim Treppe-Hinabsteigen sei sein Blick auf einen Michelangelo gefallen, im Amtszimmer des Vaters habe ein Grünewald gehangen, über dem Esstisch ein Caspar David Friedrich.

Das Bildnis der Medusa mit den Schlangenhaaren aus der griechischen Mythologie habe ihn schon als Kind fasziniert, nun hat er es per Siebdruck variiert und in seinen Farben gestaltet. Und der Himmelsbote aus dem Gemälde „Verkündigung“ von Fra Angelico ist für Eckle „das Urbild eines Engels“. Gleichzeitig hat das aus Lapislazuli gewonnene Ultramarinblau, mit dem Beato Angelico den Mantel der Madonna gemalt hat, Eckles Atelier den Namen gegeben: Oltremare. All dies sind Verneigungen eines modernen, zeitgenössischen Malers vor den Traditionen seines Metiers.

Nur die Frage, inwiefern der Titel „No Pokerface“ auch seine Arbeiten in dieser sehenswerten Schau bezeichne, die bleibt am Ende offen. Eckle macht dazu ein echtes Pokerface.

„No Pokerface“, Eröffnung am Freitag, 28. März, 19 Uhr, Kunstraum Oltermare, Bachstraße 7, Münsing. Geöffnet am 29./30. März sowie 5./6. April von 11 bis 18 Uhr, am 2. bis 4. April von 16 bis 19 Uhr.

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